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#52FilmsByWomen 2020 #4 – Das Mädchen Wadjda

Titelbild © by Koch Media

#4: Das Mädchen Wadjda von Haifaa al-Mansour

Der erste Spielfilm der ersten Saudi-Arabischen Regisseurin dreht sich von vorn bis hinten um die “Rolle”, dechiffriert also “um die Unterdrückung” der Frau in der arabischen Gesellschaft.

Es geht in diesem Film um eine, aus unserer (verdammt freien!) westlichen Sicht, ziemlich simple Sache: Ein Mädchen möchte Fahrrad fahren.

Und dass dies in gewissen Teilen der Welt in diesem Jahrtausend so konsequent verhindert wird, dass es immer noch eine Unmöglichkeit darstellt, hat mich unglaublich wütend gemacht, mich in meinem Hass auf patriarchale Machtstrukturen bestärkt, es mir ein erneutes Mal umso schwerer Gemacht (sämtliche) Religion(en) nicht ebenso zu hassen, mich gerührt, mich bewegt und mir am Ende zum Glück auch ein Bisschen Hoffnung gemacht.

Denn das titelgebende Mädchen Wadjda – umwerfend gespielt von Waad Mohammed – hinterfragt das System in dem sie lebt mit der schärfsten Waffe, die uns zum Ausbrechen aus sinnbefreiten Strukturen gegeben ist: gesundem Menschenverstand. Selbiger bringt sie schnell zu der Erkenntnis, dass das für sie geltende Verbot ungerecht ist, dumm und selbst mit aller Vorstellungskraft der Welt nicht auf nachvollziehbaren Argumenten oder gar Fakten basiert (es ist so, weil es schon immer so war und Menschen, vor allem Männer, gern darauf bestehen, dass Dinge so bleiben wie sie sind – die waren ja schließlich schon immer so). Und dank dieser Erkenntnis, nimmt sie die Zustände einfach nicht hin, fordert Erklärungen statt Befehlen, steht für ihre Sache ein und schafft es mit Beharrlichkeit irgendwann etwas zu bewegen.

Dabei sind ihr nicht einmal alle Männer, die ihr Vorhaben blockieren, ablehnend oder feindselig eingestellt – für viele ist das einzige Problem an dem Wunsch nach einem Fahrrad, dass das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft diese Vorhaben nicht als schicklich ansieht. Durch konsequentes hinnehmen, statt hinterfragen, werden Menschen zum Zahnrad eines kaputten Konstrukts.

Treffend wird die traurige Wahrheit, wie bestehende Systeme in Schieflage unsere menschlichen und charakterlichen Werdegänge lenken, an Wadjdas heimlichen Kumpel Abdullah angedeutet. Jung (und unverdorben) lässt er Wadjda gern auf seinem Fahrrad fahren, versteht die Verbote ebenso wenig, aber hat im Gegensatz zu ihr keinerlei Bedürfnis gegen sie zu rebellieren – ihm werden schließlich immer alle Türen offen stehen und mit großer Wahrscheinlichkeit braucht es nur noch etwas Zeit, bis er selbst beginnen wird den Status Quo zu pflegen, oder schlimmer noch zu verteidigen. Warum auch mit unpopulären Ansichten die eigene Position gefährden, wenn man doch alle Freiheit hat.

Beängstigend ist es im Zuge aller dieser Themen auch, dass dies bis jetzt Waad Mohammeds einziger Film ist. Der Zyniker in mir befürchtet, dass sie wahrscheinlich der “Bestimmung” ihres Geschlechts zum Opfer gefallen ist und mittlerweile zwangsverheiratet und eingesperrt hinter hohen Mauern vor sich hin vegetiert. Schauspiel ist FÜR EINE FRAU doch wirklich etwas viel – Kochen und Erziehen hinter verschlossener Tür steht den Damen doch nun wirklich besser.

Sorry, mir bleibt bei so fundamentalen Unrecht oft nur hilfloser Fatalismus übrig. Aus diesem wächst aber wenigstens der Wille, wann immer möglich dafür einzustehen, dass Gleichberechtigung immer und überall ein elementares Gut ist.

Mein Fazit zur emotionalen Zerstörtheit, die dieser Film auslöste: Ein riesengroßer Mittelfinger geht raus in Richtung aller Gottesstaaten, Zwangshochzeiten, unterdrückenden Arschlöchern und all dem obsoleten Mittelalter-Scheiß, der wir hier noch thematisiert wurde.

#HabSonnHals!

Über die Militärpropaganda in OPERATION RED SEA

Operation Red Sea (IMDb) – Action/Militär-Propaganda, China, 2018 – Regie: Dante Lam, Skript: Feng Ji, Copyright (Titelbild, Bildausschnitte, Trailer): Splendid

Review
China ist dabei (bzw. größtenteils damit durch) sich alle nur erdenklichen Märkte zu erschließen und sie zu dominieren. Jahrelang funktionierte dies über das reine Kopieren, heute sind finanzielle Dominanz und schiere Größe die primäre Triebkraft. Dante Lam, den ich für Filme wie THE VIRAL FACTOR sehr schätze, bedient sich beider Methoden zugleich: er kopiert 1 zu 1 die Mechanismen des “AMERICA, FUCK YEAH!”-Propagandafilms und treibt diese durch besagte Größe auf ein komplett neues Level.

Mindestens 100 der ausufernden knapp 150 Minuten bestehen aus Action-Szenen, die an Bombast, Materialschlacht und Härte wohl kaum zu überbieten sind. Im Vakuum betrachtet, ist dies der absolute inszenatorische Wahnsinn und an Energie kaum zu übertreffendes Actionkino der allergrößten Sorte.

Aber ich kann vor Pathos triefende, ultra-patriotische Militärporno-Propaganda nicht im Vakuum betrachten. 

Egal aus welchem Land sie kommt und egal ob die Fahnen einer (offiziell) lupenreinen Demokratie, oder eines fragwürdigen, totalitär agierenden Regimes geschwenkt werden – die Filmemacher legen die selben Regler um, die selbstlosen Soldaten werden identisch zu engelsgleichen Heilsbringern stilisiert und am Ende sind all die herben Verluste, all die Tränen, zerfetzten Körper und präzise in Köpfe gefeuerten Kugeln es wert gewesen.

Für die Pflicht. 
Für die gute Sache.
Für den Dienst am Vaterland.

Mir wird schlecht!

Es ist schon beklemmend, wie unreflektiert und/oder durch das Regime in Hintergrund getrieben Lam hier die Trademarks eines Michael Bay übernimmt. Die China-Flagge weht in Großaufnahme im Wind, die Marine/Armee ist unbesiegbar, die genutzte Technologie die neuste, größte, schnellste, präziseste und vor allem tödlichste. In ultra-ultra-Slow Motion werden stylische Headshots und Einschläge von Mörsergranaten zelebriert, den Kontrast bilden hyperkinetische Schlachtfeld-Sequenzen in den engen Gassen zerbombter arabischer Wüstenstädte. Dort zerreißt es Körper, der über-diabolische Feind wird mit aller Kraft in die Knie gezwungen.
 
Moralisch verwerflich ist daran natürlich nichts, denn a) ist es for the FUCKIN’ CHINESE HONOUR (und somit richtig) und b) sind die Feinde ja nur – auch da hat man sich erfolgreich an das amerikanische Modell der letzten 15 Jahre angebiedert – Menschen dritter Klasse: Araber. 

Das Feindbild Turbarnträger funktioniert in den 10er Jahren einfach zu gut und somit werden hier, 13 HOURS bestellt zynische Grüße, sämtliche männliche Bewohner eines gesamten Kontinents ungebrochen zu “Terroristen” erklärt und in Egoshooter-Ästhetik zersiebt. 12jährige Jungs verdienen hier ebenso konsequent den Tod wie das folternde Oberhaupt der Terrorbande – der Feind hat kein Gesicht und keine Nuancen, jedes Y-Chromosom ist von Geburt an ein fieser Scherge, welcher einzig durch eindimensionale Mordlust definiert ist. Solchen Abschaum gibt man gern zum Abschluss frei – für den Frieden, für China, für die Ehre des Soldaten.

Ohne genauer hinzusehen ist OPERATION RED SEA sicher ganz großes Actionkino, weil es überdurchschnittlich kräftig knallt und wummert bis die Couch bebt. Und auch wenn ich den Großteil der Menschen, die diesen Text evtl. lesen für reflektiert genug halte, um den militaristischen “don’t mess with China”-Spirit des Films auch im Detail zu entlarven – über die, nach ihrer Rettung durch die hoch technisierte Halbgott-Eliteeinheit grinsend China-Fähnchen in die Kamera schwenkenden armen Geiseln und triefenden Pathos im Finale hinaus – dennoch eine allgemeine Bitte: schaut genauer hin.
 
Macht euch Gedanken über das Gezeigte, deutet mit dem Finger drauf und brandmarkt derart perfide Kriegs- und Nationalismus-Propaganda als das was sie ist, anstatt sie lobend durch zu winken “weil sie unterhaltsam ist”. Denn letzteres ist doch genau der Mechanismus wie sie gewinnen kann – Propaganda, macht sich da breit, wo keiner so genau hinsehen möchte, weil es einfach zu viel Spaß macht und der Rahmen so richtig fetzt. Aber eine so vollständige Entpolitisierung der Filmwahrnehmung dürfen wir nicht hinnehmen. Ich zumindest hätte auf diesen chinesischen 13 HOURS trotz starker Action gern verzichtet.

Wertung
3-4 von 10 heldenhaften Slow-Mo Kopfschüssen

Film: Baskin (2015)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Capelight Pictures


Fakten
Jahr: 2015
Genre: Horror, Mystery
Regie: Can Evrenol
Drehbuch: Can EvrenolOgulcan Eren AkayCem OzuduruErcin Sadikoglu
Besetzung: Muharrem BayrakFatih DokgözGorkem KasalErgun KuyucuSabahattin YakutSeyithan Özdemir
Kamera: Alp Korfali
Musik: Ulas Pakkan
Schnitt: Erkan Ozekan


Review
Wer die Kinostarts der letzten Jahre aufmerksam studierte, konnte feststellen, dass sich schleichend (weil vom deutschen Publikum weitgehend unbemerkt) eine Fülle türkischer Produktionen in die Lichtspielhäuser einschlich. Von romantischen Komödien, über Action-Thriller, bis hin zu einer Vielzahl morbider Horror-Filme ist einiges dabei, die Türkei als Film-Nation schon lang kein unbeschriebenes Blatt mehr und demnach für ein internationales Publikum bereit – letzteres bestätigen diverse Festival-Erfolge der letzten Jahre. Wahrscheinlich mit einem Auge auf die stattliche Anzahl potentieller türkisch-stämmiger Kinogänger schielend, werden diese Vertreter hierzulande sogar meist im Original mit deutschen Untertiteln projiziert und sind so für Originalton-interessierte Kino-Geeks gänzlich ohne Umwege in der präferierten Form zu genießen.  Film: Baskin (2015) weiterlesen

Film: Drei Affen – Üç Maymun (2008)


Trailer © by good!movies


Fakten
Jahr: 2008
Genre: Drama
Regie: Nuri Bilge Ceylan
Drehbuch: Nuri Bilge CeylanEbru Ceylan, Ercan Kesal
Besetzung: Yavuz Bingol, Hatice Aslan, Ahmet Rifat SungarErcan KesalCafer KöseGürkan Aydin
Kamera: Gökhan Tiryaki
Musik: –
Schnitt: Nuri Bilge CeylanAyhan ErgürselBora Göksingöl


Review
Macht, Gewalt, Verlust.

Elementare Themen, denen man sich in großer Geste und mit lautem Knall nähern kann – die volle emotionale Dröhnung, überbordend und frontal auf die Rezeptionszentren der Zuschauer einhämmernd – oder man wählt, wie der türkische Virtuose der Langsamkeit Nuri Bilge Ceylan, den weniger offensichtlichen Weg und schleicht sich auf vollkommen anderem Wege an die vielschichtigen Dilemmata des menschlichen Seins heran. Still, verständnisvoll beobachtend und weit mehr am Abklang, plus den seelischen Nachwirkungen des Sturms, als am eigentlichen Epizentrum interessiert. Will man Effekte haschen, oder ist man auf der Pirsch, um das Wesen des Menschen zu durchdringen und, auch wenn dieses Ziel sicher ins utopische geht, irgendwann mal zu verstehen?

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Dokumentation: The Gatekeepers (2012)


Trailer © by Studio Hamburg


Fakten
Jahr: 2012
Themen: Geheimdienst, Schin Bet, Krieg, Politik
Regie: Dror Moreh
Konzept: Dror Moreh
Personen: Ami Ayalon, Avraham Shalom, Avi Dichter, Yuval Diskin, Carmi Gillon, Yaakov Peri
Kamera: Avner Shahaf
Musik: ?
Schnitt: Oron Adar


Review
Was passiert da wirklich – da hinter den Kulissen, wo alles “classified” ist, vertraulich, nur einem kleinen Kreis mächtiger Menschen zugänglich? Da wo Dinge passieren, über die die wildesten Verschwörungstheorien gesponnen werden, weil nur wenige den wirklichen Lauf der Dinge kennen? Da wo schnell und distanziert Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden?

Natürlich wird es nie eine Doku geben (können und von offizieler Seite dürfen), die vollständig die Katze aus dem Sack lässt – Geheimdienstarbeit ist nun mal größtenteils “geheim”, das steckt bereits im Namen – doch einen kleinen, überaus interessanten Einblick in diese Welt gibt THE GATEKEEPERS sehr wohl. Gemessen an dem, was tagtäglich in den Führungsriegen und Task-Forces der Geheimdienste und Militärs geplant und beschlossen wird, ist dieser Einblick sicher noch (recht) harmlos und abgemildert. Trotzdem ist es auf eine beklemmende Weise beeindruckend, wenn die sechs noch lebenden ehemaligen Chefs des israelischen “Schin Bet”-Geheimdienstes aus dem Nähkästchen plaudern. Sechs Menschen, die über Jahre einen Job gemacht haben, der an die Substanz geht, am Gewissen nagt und über weite Strecken immer wieder das akute (partielle) Ablegen der Menschlichkeit verlangt. Dokumentation: The Gatekeepers (2012) weiterlesen