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#52FilmsByWomen 2020 #7 – Atlantique

Titelbild © by Netflix

Lange Jahre hat das Thema Armut – selbst-abbildend in den verzweifelten Wellen der aus ihr resultierenden Migrations-Ströme – unsere Medien dominiert, wie kein Zweites. Was der hiesigen Berichterstattung (leider) jedoch immer gemein war, ist der zutiefst einseitige Blickwinkel. Stets schauen wir von hier, aus der sicheren Bastion des Wohlstands, nach da. Nur ist dieses “da” selten weiter entfernt, als das Mittelmeer, in dem abertausende Seelen in Hoffnung auf ein besseres Leben ertrinken.

Zur Basis der Probleme geht es selten, warum auch, es könnte ja bei einer ehrlichen Betrachtung heraus kommen, dass genau das globale System, was uns Sorgenfreiheit und einen Platz auf der Seite der Gewinner beschert, auch eine düstere Kehrseite hat. Dass der Wohlstand einiger weniger immer auf den Schultern von vielen entsteht.

Die französische Schauspielerin und jetzt auch Regisseurin Mati Diop möchte weiter gehen, als Tagesschau und co. und erzählt in ATLANTIQUE von einem Leben in genau den Regionen Afrikas, wo die Leute nichts haben – weder Geld, noch eine Aussicht auf Jobs und erst recht keine Perspektive. Und wenn es doch mal Jobs gibt, dann unter unwürdigen Bedingungen, deren Gefahren in keinem Verhältnis zur geringen, falls überhaupt erfolgenden Bezahlung stehen.

Einige Ausschnitte solcher Leben verwebt sie in einem, nicht nur in Bezug auf die Aspekte der behandelten sozialen Realitäten, verdammt vielschichtigen Film, dem es gelingt, trotz einer Fülle gesellschaftlicher Themen, beginnend bei besagter Perspektivlosigkeit, zu keiner Zeit vollgestopft zu wirken. Im Gegenteil, aufgrund der den Figuren immer sehr nahen Perspektive bleibt der Inhalt greifbar, was übersetzt vor allem fühlbar meint.

Was gibt Halt und ein wenig Glück im Leben? Für Protagonistin Ada könnte die Antwort, zumindest teilweise, in einer glücklichen Beziehung liegen. Doch diese darf in einem System, in dem Familien ihre Töchter ohne deren Mitsprache versprechen und verheiraten nicht sein. Zwangsehe als vermeintlicher Ausweg aus den Zuständen – dieses nächste Große Thema stellt sich als ein weiterer Kernaspekt in ATLANTIQUE heraus. Das Leben als Frau in einer, unter dem Deckmantel der Religion gewaltvoll-patriarchisch dominierten Gesellschaft ist alles Andere als ein freies und in Beziehungen ist oft kein Platz für Liebe.

Im Blick der Regisseurin auf diesen und die weiteren Themenkomplexe im Film schwingt eine nachdenkliche Ambivalenz mit. Was ist Freiheit? Ein Symbol, oder ein Zustand? Eine Chance, oder ein Recht? Die Bilder von Kamerafrau Claire Mathon transportieren – visuell wie inhaltlich – eben diese Ambivalenz: Der Ort des Geschehens ist sowohl sonniges Schein-Paradies, wie auch zwielichtige Endstation. Das Meer stellt sowohl trügerische Hoffnung auf ein besseres Leben, als auch eine tödliche Gefahr dar. Der Wohlstand von Adas Zukünftigem Zwangs-Ehemann eine vermeintliche Rettung aus der Armut, aber eigentlich den Eintritt in noch größere Unfreiheit.

All dies lebt neben den starken inhaltlichen Aussagen von einer immerfort leicht undurchsichtigen, tief melancholischen Atmosphäre. Ein elementarer Eckpfeiler dieser Stimmung istneben besagten Bildern auch Fatima Al Quadiris Score, den ein mysteriöses, undurchsichtiges Element durchzieht. In Anbetracht der vollkommen unerwarteten Richtung, die der Film in der zweiten Hälfte einschlägt, wenn Diop uns brillant verdeutlicht, dass die Gespenster der ausbeuterischen Globalisierung nicht ewig schlafen werden, geht perfekt Hand in Hand mit der bereits früh gesetzten Audiovisualität.

Insgesamt vereint ATLANTIQUE sehr viel, was ich gern auf internationaler Bühne häufiger sehen würde: 1. Ein Film einer Regisseurin, der 2. von und mit PoC geschrieben, inszeniert, gespielt ist, die 3. aus einem afrikanischen Land stammen und die dort angesiedelte Handlung erst lebendig machen, sowie 4. die profunden (und erneut wieder völlig niederschmetternden) Beobachtungen zu weiblicher Lebensrealität in gewissen Kulturkreisen glaubhaft darstellen. Auch wichtig: 5. ist der Film ein “anspruchsvoller” Autor/innenfilm, der aber trotzdem Elemente des “elevated Genre” nicht scheut und so eine ungewöhnliche Mischung ergibt. 

Ganz stark.

#52FilmsByWomen 2020 #4 – Das Mädchen Wadjda

Titelbild © by Koch Media

#4: Das Mädchen Wadjda von Haifaa al-Mansour

Der erste Spielfilm der ersten Saudi-Arabischen Regisseurin dreht sich von vorn bis hinten um die “Rolle”, dechiffriert also “um die Unterdrückung” der Frau in der arabischen Gesellschaft.

Es geht in diesem Film um eine, aus unserer (verdammt freien!) westlichen Sicht, ziemlich simple Sache: Ein Mädchen möchte Fahrrad fahren.

Und dass dies in gewissen Teilen der Welt in diesem Jahrtausend so konsequent verhindert wird, dass es immer noch eine Unmöglichkeit darstellt, hat mich unglaublich wütend gemacht, mich in meinem Hass auf patriarchale Machtstrukturen bestärkt, es mir ein erneutes Mal umso schwerer Gemacht (sämtliche) Religion(en) nicht ebenso zu hassen, mich gerührt, mich bewegt und mir am Ende zum Glück auch ein Bisschen Hoffnung gemacht.

Denn das titelgebende Mädchen Wadjda – umwerfend gespielt von Waad Mohammed – hinterfragt das System in dem sie lebt mit der schärfsten Waffe, die uns zum Ausbrechen aus sinnbefreiten Strukturen gegeben ist: gesundem Menschenverstand. Selbiger bringt sie schnell zu der Erkenntnis, dass das für sie geltende Verbot ungerecht ist, dumm und selbst mit aller Vorstellungskraft der Welt nicht auf nachvollziehbaren Argumenten oder gar Fakten basiert (es ist so, weil es schon immer so war und Menschen, vor allem Männer, gern darauf bestehen, dass Dinge so bleiben wie sie sind – die waren ja schließlich schon immer so). Und dank dieser Erkenntnis, nimmt sie die Zustände einfach nicht hin, fordert Erklärungen statt Befehlen, steht für ihre Sache ein und schafft es mit Beharrlichkeit irgendwann etwas zu bewegen.

Dabei sind ihr nicht einmal alle Männer, die ihr Vorhaben blockieren, ablehnend oder feindselig eingestellt – für viele ist das einzige Problem an dem Wunsch nach einem Fahrrad, dass das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft diese Vorhaben nicht als schicklich ansieht. Durch konsequentes hinnehmen, statt hinterfragen, werden Menschen zum Zahnrad eines kaputten Konstrukts.

Treffend wird die traurige Wahrheit, wie bestehende Systeme in Schieflage unsere menschlichen und charakterlichen Werdegänge lenken, an Wadjdas heimlichen Kumpel Abdullah angedeutet. Jung (und unverdorben) lässt er Wadjda gern auf seinem Fahrrad fahren, versteht die Verbote ebenso wenig, aber hat im Gegensatz zu ihr keinerlei Bedürfnis gegen sie zu rebellieren – ihm werden schließlich immer alle Türen offen stehen und mit großer Wahrscheinlichkeit braucht es nur noch etwas Zeit, bis er selbst beginnen wird den Status Quo zu pflegen, oder schlimmer noch zu verteidigen. Warum auch mit unpopulären Ansichten die eigene Position gefährden, wenn man doch alle Freiheit hat.

Beängstigend ist es im Zuge aller dieser Themen auch, dass dies bis jetzt Waad Mohammeds einziger Film ist. Der Zyniker in mir befürchtet, dass sie wahrscheinlich der “Bestimmung” ihres Geschlechts zum Opfer gefallen ist und mittlerweile zwangsverheiratet und eingesperrt hinter hohen Mauern vor sich hin vegetiert. Schauspiel ist FÜR EINE FRAU doch wirklich etwas viel – Kochen und Erziehen hinter verschlossener Tür steht den Damen doch nun wirklich besser.

Sorry, mir bleibt bei so fundamentalen Unrecht oft nur hilfloser Fatalismus übrig. Aus diesem wächst aber wenigstens der Wille, wann immer möglich dafür einzustehen, dass Gleichberechtigung immer und überall ein elementares Gut ist.

Mein Fazit zur emotionalen Zerstörtheit, die dieser Film auslöste: Ein riesengroßer Mittelfinger geht raus in Richtung aller Gottesstaaten, Zwangshochzeiten, unterdrückenden Arschlöchern und all dem obsoleten Mittelalter-Scheiß, der wir hier noch thematisiert wurde.

#HabSonnHals!

Wie #52FilmsByWomen mich wieder zum Schreiben brachte

Stetig war es zu hören, das kühle Pfeifen des Windes, welcher hier über eine leere Steppe wehte, die einst ein lebendiger Wald aus inbrünstigen Musikempfehlungen und halbwegs vernünftig formulierten Film-Reviews war.

2018 hatte ich eine (als vorübergehend erhoffte) Pause mit dem Schreiben verkündet, weil das Ganze eher zur Pflicht verkommen, denn Spaß geblieben war.

2019 flammte dann wieder vereinzelt der Impuls auf, gesehene Filme mit ein paar Worten zu ehren (bzw. niederzumachen), so dass ganze vier Einträge ihren Weg auf diese Plattform fanden.

In 2020 herrscht bis jetzt wieder gähnende Leere…

Wer meine anderen Online-Präsenzen verfolgt (was ihr sicherlich alle tut, denn wer könnte relevanter für den medialen Kurs und eure persönlichen Star-Kulte sein, als der jackermonkey [/Sarkasmus off]), könnte aber mitbekommen haben, dass es nicht an Motivation mangelte, sich lang und breit mit Filmen und den Themen in ihnen auseinander zu setzen – im Gegenteil. Einzig das Medium hatte sich gewandelt.

Ich habe es nicht zusammen gerechnet, aber grob geschätzt habe ich in 2018-2020 bei Enough Talk! und Superhero Unit etwa 70 Podcast-Episoden mit im Schnitt je ca. 2,5h Laufzeit veröffentlicht. Irrsinnige Eskapaden in diesem Portfolio an Sendungen – zum Beispiel der insgesamt ca. 13 stündige Jahresrückblick 2018 mit Christian Steiner – deuten an, dass das Mitteilungsbedürfnis ungebrochen war. Nur eben in Wort, statt in Schrift.

Und dies dominierte auch lang meine Auseinandersetzung mit der Kunstform – warum in wenigen Worten wenige Aspekte eines Werkes ausloten, wenn es doch verbal so viel umfangreicher geht? In der Theorie richtig, aber dem Ganzen fehlt ein wesentlicher Aspekt, der meine Texte hier früher stark dominierte: Das Format eignet sich nur bedingt, um unmittelbar nach dem Schauen eines Films die ersten Gedanken, die Überwältigung, die Wut, das Glück, etc. einzufangen und zu kanalisieren.

Das fehlte mir beim Casten manchmal ein wenig, da man Sendungen oft erst Tage nach dem Schauen aufzeichnet und (im worst case) die Stimmung nach dem Film wieder aktiv heraufbeschwören muss, statt noch voll auf der Welle zu schwimmen.

Auf den anderen Seite stellte ich mir aber immer wieder die Frage: “Worüber lohnt es sich zu schreiben?”

Und die Antwort lieferte mir eine Aktion, die ich Anfang des Jahres auf Twitter entdeckte: #52FilmsByWomen

Der Grund für das Aufkommen dieser Aktion ist ganz simpel. Wir alle schauen leider stetig viel zu wenige von Frauen gemachte Filme.

Das passiert aus verschiedensten Gründen und wenn man diese alle auflistet (was ich aus Gründen des Umfangs hier nur anreiße), zeigt sich ganz gut, dass sie Hand in Hand einen perfiden Teufelskreis formen.

Am wichtigsten sind wohl zwei Faktoren:

  1. Weil das schon immer so war: Da Popkultur seit jeher männlich dominiert ist, und unser liebes Publikum leider vor allem immer mehr von dem will, was es bereits kennt, schaut es vor allem Filme, die dieser Jahrzehnte lang praktizierten Sozialisierung entsprechen. Von Männern (also in “männlichem Ton”) erzählte Geschichten, in denen zumeist männliche Helden die Welt retten – Hollywood wie es schon immer leibte und lebte – sind nach wie vor das dominierende Ding. Die ANgst vor Veränderung dieser Erzählmuster geht so weit, dass weibliche Stars und Filmemacherinnen langsam davon genervt sind, dass sie keinen eigenen Ton entwickeln dürfen, sondern nur mit weiblicher statt männlicher Hauptrolle alte Muster replizieren.
  2. Gender Bias: Weil es in der Filmindustrie (wie leider auch in so gut wie jeder anderen Industrie) ein extremes Ungleichgewicht auf Ebene der Entscheider hin zu Männern gibt und diese dazu neigen Jobs und Projekte eher an ihnen selbst ähnelnde Akteure (also Männer) zu vergeben, plus, wie andere Studien zeigen, sogar Frauen dazu neigen, eher Männer einzustellen, gibt es schlichtweg weniger Filme von Frauen. Frauen müssen zudem viel höhere Hürden überwinden, um Projekte zu realisieren, bzw. nach einem Flop noch mal ein Projekt zu bekommen (sorry, ich finde den Link nicht mehr, googelt mal selbst, Hinweise sind willkommen), die Angst der Männer vor Machtverlust scheint immens zu sein (was so weit geht, dass Companies mit Frauen im Management-Board größere Probleme haben Investoren zu mobilisieren).

Das führt zu der prekären Situation, dass es weniger Filme von Frauen gibt, die zudem auch noch strenger bewertet werden, weil sie unter Umständen eine andere Tonalität und Erzählweise haben, weswegen sie schneller als Flop gelten, weswegen es noch weniger Filme von Frauen gibt. Teufelskreis.

Und um dies aufzubrechen, sollte jede*r Filmfan sich vornehmen in den vielen Sachen die man schaut wenigstens (mehr geht immer) einmal pro Wochen einen Film einer Regisseurin zu sehen und darüber zu twittern, bloggen, podcasten, oder vielleicht einfach nur mit Freund*innen und Bekannten zu reden.

Im Gegensatz zu #horrorctober, #oWEstern und was es da noch alles gibt, erschien mir diese Aktion endlich einmal wirklich wichtig, weil sie uns dazu motiviert den Bias zu bekämpfen und Filme zu sehen, die wir sonst nicht sehen würden, anstatt (wie bei obigen Beispielen) nur Genres die wir eh schauen in ein bestimmtes Zeitfenster zu verschieben.

Und deswegen beschloß ich (in Woche 16, als ich von #52FilmsByWomen hörte) auch mitzumachen. Ein paar Filme von Frauen hatte ich dieses Jahr zu diesem Zeitpunkt schon gesehen und den weiteren Rückstand “aufzuholen” musste möglich sein. Bzw. schrieb ich damals: es nicht zu schaffen, wäre ein Armutszeugnis

Gesammelt habe ich die Filme in einer Letterboxd-Liste, promoted habe ich sie über Tweets, bzw. einen Twitter-Thread. Doch irgendwann merkte ich, dass ich für jeden Film 4-5, später 10-12 Tweets brauchte, um meine Gedanken zu sammeln, begann sie auf Letterboxd zu posten und plötzlich war es geschehen: Ohne es zu merken, hatte ich wieder mit dem Review-Schreiben begonnen.

Dass ich das nicht gleich hier tat, hatte den simplen Grund, dass ich ja davon ausging “nur ein paar Worte pro Film zu schreiben”. Aber da es deutlich mehr wurde, haltet die Augen offen, ich werde in den nächsten Tagen beginnen, diese Reviews ins Blog zu überführen – wer weiß, vielleicht beginnt die zweite Renaissance von Jacker’s 2 Cents? Ich selbst bin gespannt wo es hin führt.