Die humanistische Melancholie in AD ASTRA

Beitragsbild (c) by 20th Century Fox

James Gray macht Filme, die ich immer – zumindest in den Exemplaren die ich kenne – als unperfekt ansehen würde. Filme, deren Gesamtbild sich aufgrund der Anordnung und Beschaffenheit einzelner Szenen unrund anfühlt, oder die an den sich auf tuenden Kreuzungen der Dramaturgie seltsame Abzweigungen nehmen, sich zeitweise gar auf fremden Terrain verirren. Und doch treffen diese ungeschliffenen Diamanten immer wieder einen ganz besonderen emotionalen Spot in mir.

Als z.B. Jeremy Renner in THE IMMIGRANT als Magier vor gestrandeten Auswanderern eine Rede über die Möglichkeiten in der Freiheit des neuen Lebens hielt, inszenierte Gray dies – ganz der Sache entsprechend – mit einer solch magischen Hoffnung für die Zukunft, dass mir die Tränen in den Augen standen. Danach brach der Film diese Aussagen in Ambivalenz auf und demaskierte den American Dream, verirrte sich aber dann zunehmend in seiner Erzählung und scheiterte auf dem höchsten denkbaren Niveau.

Und auch hier in AD ASTRA passt vieles nicht zusammen – leise in sich gekehrte charakterliche Emotionalität trifft auf Mond-Action, ein melancholischer Abgesang auf die Menschheit und ihren gierigen Raubbau an der eigenen Zukunft trifft auf die angenehm angekitschte Hoffnung, dass die Menschen und ihre Liebe zueinander langfristig siegen können. AD ASTRA prangert an was mies läuft, prognostiziert sogar, dass das alles in Zukunft nicht besser werden wird, egal wie weit wir technologisch kommen, doch kontrastiert dies mit der Gewissheit, dass tief in uns dennoch etwas schlummert, dass das Leben für uns und unsere nächsten Mitmenschen lebenswert macht. Oh Mann, viel drin in dieser Gleichung, auch einiges, was sich per se nicht vertragen dürfte.

Doch trotz all der inhärenten Widersprüchlichkeit gelingen Gray erneut Momente von absolut erhabener Emotionalität. Zahlreich. Ein immer kontrollierter, fokussierter, fast maschinell funktionierender Mann lässt nach Jahrzehnten erstmalig bis ins Letzte die Gefühle zu, die ein emotionaler Verlust der schlimmsten Sorte einst in ihn pflanzte und muss dahin gehen wo Milliarden von Kilometern um ihn herum nichts ist, um zu erkennen was er am Leben hat. Reise ins All als Reise ins Ich – nichts neues, aber in der vorliegenden Form auch nichts was je alt werden würde.

All dies mag nach simpler Küchen-Weisheit klingen, wenn man es nüchtern als Text runter getippt wird. Verpackt in Metaphern, Symbole und Stimmungen steht Wirkung jedoch weit über der Ratio. Dieser Film muss erfühlt werden, denn er wurde (zu gleichen Teilen) von Gray, dem unglaublich agierenden Pitt, sowie den zwei – jeweils zu den Besten ihrer Zunft gehörenden – Virtuosen Hoyte van Hoytema und Max Richter mit einer durchweg vereinnahmenden, hypnotisch anmutenden Sogkraft auf die Leinwand gebracht.

Some call it Kitsch, für mich ist AD ASTRA ein melancholisches Sinnieren über das Leben und den Menschen – ganz tief drin in Herz und Seele, wie auch makroskopisch, als Ressourcen- und Planeten-verschlingende Lebensform. Bin platt.

#horrorctober 2019, Film #3: Die Farbe (2010)

Ich bin erst spät zu H.P. Lovecraft‘s Werk gekommen, doch so sehr mich meine ersten Versuche im zarten Jugendalter an der – in meiner damaligen Sicht – altbackenen Sprache und Erzählweise scheitern ließen, so sehr haben mich knapp 20 Jahre später seine beklemmenden Grusel-Geschichten kosmischen Ausmaßes gepackt. Am stärksten daran wohl ein besonderer Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch sein Werk zieht: Der Autor erzählt vom Unsichtbaren hinter der Fassade des normalen, von Dingen, Wesen und Ereignissen auf die seine Protagonisten treffen, die zu begreifen der menschliche Geist schlicht nicht im Stande ist. Doch so wenig das Unbeschreibliche zu beschreiben ist, so sehr macht er es fühl- und erlebbar.

Letzteres ist wohl der Punkt, warum seine Werke filmisch abzubilden keine triviale Aufgabe ist. Angespannte Stimmung an der Grenze zum Wahnsinn, eine Welt die nicht ist wie sie scheint, sich aber deshalb ein klein bißchen verschoben und falsch anfühlt, ohne klar als Hölle auf Erden erkennbar zu sein – ohne ein Händchen für Wirkung und ein intensiv ausgeprägtes Stilbewusstsein brauchen Filmemacher_innen sich an diese Stoffe gar nicht erst heranzuwagen, auch will sehr genau überlegt sein, was genau die Filme tatsächlich auf der Leinwand abbilden. Das Unzeigbare zu zeigen kann schnell ins Lächerliche abdriften.

Nun habe ich Huan Vu‘s DIE FARBE von 2010 gesehen und kann mich vor diesem, ganz offensichtlich ohne nennenswertes Budget entstandenen Film (nicht “finanziert durch”, sondern “gesponsert by lokale Brauerei”), nur verneigen. Richtiger als Vu – seines Zeichens übrigens treibende Kraft hinter der empfehlenswerten Website genrefilm.net – es mit seiner Interpretation des Lovecraft-Kurzromans THE COLOUR OUT OF SPACE angeht, geht es wohl kaum.

In kontrastreichem, die Welt in einen mysteriösen Schein kleidenden Schwarz/Weiss zeigen Vu und Kameramann Martin Kolbert uns den Einfall einer fremdartigen kosmischen Macht in die natürliche Idylle deutscher Wälder. Nervenzerreibend flimmern Streicher, unerklärlich stellen sich die Phänomene im Sommer nach dem Meteoriteneinschlag da, fiebrig entwickelt sich der mentale Verfall aller involvierten Dörfler. Dass einige Darsteller in den kleineren Rollen nicht der A-List entspringen, gibt dem ganzen sogar noch zusätzlich etwas leicht entrücktes.

In der Limitierung liegt hier auch sonst die Kraft, denn der Horror entspringt, ganz dem Erbe Lovecrafts verschrieben, nicht aus dem offenkundig Sichtbarem, sondern der eigenartigen Veränderung von Natur und Mensch und einem damit einergehenden Vertrauensverlust in die Regeln unserer Welt. Menschen scheinen besessen, Insekten und Früchte mutieren, etwas stimmt nicht – doch niemand versteht wie man dies wieder umkehren kann. Alles scheint möglich, das schlimme Ende unabdingbar.

Auch wenn der Film nach herkömmlichen Maßstäben sicher nicht als perfekt durchgeht, hat Vu hier weit mehr als das Bestmögliche rausgeholt – was an Budget fehlt, holen Schnitt, Kamera und Erzählweise auf natürlichem Wege wieder rein. Ich war gefesselt und verbleibe begeistert, aber auch mit einigen zynischen Fragen im Hinterkopf.

Wieso redet über diesen Film kaum jemand?

Wieso ist man nach Fertigstellung als Filmproduzenten nicht an Huan Vu herangetreten, hat ihm einen Blanko Scheck – von mir aus gedeckelt – ausgestellt und gesagt “mach mal!”?

Wieso durfte Martin Kolbert, der hier einige der atmosphärischsten Bilder einfängt, die ich im deutschen Film bis jetzt bewundern durfte, abseits von DIE FARBE nur vier Kurzfilme machen dürfen?

Die Antworten kenne ich. Akzeptieren werde ich sie jedoch so schnell nicht…