Schlagwort-Archive: Irrsinn

Film: The Visit (2015)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Universal Pictures Germany


Fakten
Jahr: 2015
Genre: Horror, Found-Footage
Regie: M. Night Shyamalan
Drehbuch: M. Night Shyamalan
Besetzung: Olivia DeJonge, Ed Oxenbould, Deanna DunaganPeter McRobbieKathryn Hahn
Kamera: Maryse Alberti
Musik: –
Schnitt: Luke Franco Ciarrocchi


Review
Die Zeichen standen schlecht für M. Night Shyamalan – nachdem der Mann nach THE SIXTH SENSE und UNBREAKABLE als der Newcomer schlechthin und potentieller nächster Spielberg gefeiert wurde, verrannte er sich zunehmend in immer größeren Projekten, verlor aufgrund des zu starken Fokus auf sein Trademark, den immer zwanghafter platzierten, irgendwann redundant gewordenen Twist, zunehmend die restliche Substanz seiner Werke aus den Augen und rutschte zuletzt mit Fantasy- und Science-Fiction-Adaptionen von zweifelhafter Qualität endgültig in die Belanglosigkeit ab. Erscheint es überhaupt noch möglich aus einer derartigen, bereits über ein Jahrzehnt andauernden Abwärts-Spirale auszubrechen? Ein vielversprechender Ansatz scheint der Reset auf Null zu sein – weg mit dem Ballast der Vergangenheit, die totale Entrümpelung, sowie 10 anstatt 100 Millionen Dollar Budget –  et voila: selbst ein Michael Bay, ebenfalls für hübsch aufpolierten Kino-Schrott der unerträglichen Extraklasse bekannt, hat es mit PAIN & GAIN geschafft den Teufelskreis des hohlen Big Budget-Mülls zu durchbrechen. Shyamalan nun auch? Man glaubt es kaum, doch es tut irgendwie gut, endlich verkünden zu können, dass er mal wieder ein gescheites Werk auf die Leinwand gebracht hat – nicht von der inszenatorischen Stärke seines Debuts THE SIXTH SENSE getragen, nicht die Neuerfindung des Horrors, aber dennoch durchweg solide und daher mit Freude genießbar.

Nana: “Why are your pants so low?”
Tyler: “I rap!”

In einer gesunden Paarung aus skurrilem Humor und reduzierter Creepiness erzählt THE VISIT von exakt dem, was der Titel verspricht: einem Besuch zweier junger Teenager bei den, ihnen bis dato aufgrund eines Jahre zurück liegenden Streits mit der Mutter, noch unbekannten Großeltern. Sie, die 15jährige Becca, als Amateur-Dokumentarfilmerin unterwegs und vom unbändigen Gedanken beseelt, durch den Aufenthalt eine Wiedervereinigung der Generationen zu initiieren, und er, der 13jährige “Rapper“ Tyler, immer zu einem spontan-lässigen Freestyle aufgelegt, in dem er großspurig vom (imaginären) klarmachen der “Bitches“ fantasiert, bringen eine für Jungdarsteller (in dieser Qualität) seltene Chemie auf den Schirm. Ihr Geschwister-Gehabe, also das gegenseitige Necken oder gelegentliche genervt sein, im Kontrast mit der tiefen Bereitschaft, im entscheidenden Moment immer voll und ganz füreinander einzustehen, ist in jedem Moment glaubwürdig und überzeugend. Letztere wird schon bald auf die Probe gestellt werden, da kurz nach ihrer Ankunft, die auf Anhieb lieb und fürsorglich wirkenden Großeltern – von den Kids als Nana und Pop Pop getauft – beginnen sich nächtens zunehmend seltsam zu benehmen. Dieser, für die zwei Geschwister zunächst als mysteriöses, absonderliches Spiel verstandene Zustand, kippt schnell vom detektivischen Abenteuer in den blanken Terror. Film: The Visit (2015) weiterlesen

Film: We Are Still Here (2015)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Tiberius Film


Fakten
Jahr: 2015
Genre: Horror, Haunted-House
Regie: Ted Geoghegan
Drehbuch: Ted Geoghegan
Besetzung: Barbara Crampton, Andrew Sensenig, Lisa Marie, Larry Fessenden, Monte Markham, Susan Gibney
Kamera: Karim Hussain
Musik: Wojciech Golczewski
Schnitt: Aaron Crozier, Josh Ethier


Review
Selbst ohne sich durchweg mit der Fülle an neuen Veröffentlichungen im Horrorgenre auseinanderzusetzen, fällt unübersehbar ins Auge, dass das klassische Sujet des Spukhaus-Films eines der am breitesten ausgetretenen Stilrichtungen der dunkleren Sorte ist. Da inhaltlich sowieso immer das gleiche passiert, aber besonders, weil die Rückkehr zur altbekannten Langsamkeit und Stilistik vergangener Tage, welche in den letzten Jahren zum Beispiel durch frische Vertreter wie THE HOUSE OF THE DEVIL oder INSIDIOUS erfolgte, von vielen Genre-Freunden als die längst überflüssige Rettung (von anderen hingegen als endgültiger Untergang) der verwunschenen vier Wände abgefeiert wurde, ist es mittlerweile inmitten der Flut an Vertretern kaum bis gar nicht mehr möglich sich ohne besondere Originalität oder eine markante eigene Handschrift in relevanten Qualitätsregionen oberhalb des Durchschnitts zu tummeln. Das Langfilm-Debüt des US-amerikanischen Autorenfilmers Ted Geoghegan trägt eine solche Handschrift in sich. Film: We Are Still Here (2015) weiterlesen

Film: Men & Chicken (2015)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by DCM & Universum Film


Fakten
Jahr: 2015
Genre: Tragikkomödie, Satire, Groteske
Regie: Anders Thomas Jensen
Drehbuch: Anders Thomas Jensen
Besetzung: David Dencik, Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Søren Malling, Nicolas Bro, Lisbet Dahl, Poul Ib Henriksen, Bodil Jørgensen
Kamera:  Sebastian Blenkov
Musik: Frans Bak, Jeppe Kaas
Schnitt: Anders Villadsen


Review
Bizarr, bizarr, was der dänische Filmemacher Thomas Anders Jensen in seinem lang erwarteten Nachfolger zum euphorisch gefeierten ADAMS ÄPFEL an schwer zu durchdringendem Irrsinn auffährt. Dass dänischer (oder allgemein nordischer) Humor bzw. die gesamten erschaffenen Filmwelten oftmals von tiefschwarzer Skurrilität durchzogen sind, dürfte zwar keinen mehr überraschen, die Sphären, in die sich jedoch MEN & CHICKEN empor hebt, stellen wohl einige etablierte Werke in den Schatten – vielleicht auch, weil man eine gute Weile graben muss, um unter der hässlichen Oberfläche zum menschlichen Kern vorzustoßen. Film: Men & Chicken (2015) weiterlesen

Film: Der Meister Und Margarita (1972)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Koch Media GmbH


Fakten
Jahr: 1972
Genre: Satire, Mystery, Drama
Regie: Aleksandar Petrovic
Drehbuch: Aleksandar Petrovic, Romain Weingarten
Besetzung: Ugo Tognazzi, Mimsy Farmer, Alain CunyVelimir ‘Bata’ ZivojinovicPavle VuisicFabijan SovagovicLjuba TadicTasko Nacic
Kamera: Roberto Gerardi
Musik: Ennio Morricone
Schnitt: Mihailo Ilic


Review
Wenn ein Film derartige Wogen schlägt, dass der verantwortliche Regisseur von seiner Regierung gezwungen wird die langjährige Tätigkeit als Dozent an einer renommierten Einrichtung nieder zu legen und das Werk über Jahrzehnte in dessen Heimatland verboten wird, liegt die Vermutung nah, dass sich wohl einige hohe Tiere des jeweiligen Regimes nicht unwesentlich auf den Schlips getreten fühlten. Alexandar Petrović’s gleichnamige Adaption des russischen Romans DER MEISTER UND MARGARITA (welcher in Russland ebenfalls bei Erscheinen mit der Zensur zu kämpfen hatte) ist so ein Fall: Gedreht 1972 als jugoslawisch-italienische Co-Produktion und der Regisseur Bürger der damaligen “Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien”, wurde die Aufführung direkt für die nächsten 20 Jahre verboten. Ein genauerer Blick auf die Themen des Films bestätigt: Ein unterdrückerisches Regime sieht sich hier ganz sicher einem intolerablen Maß an Kritik ausgesetzt – Zentral im Werk stehen nämlich Begriffe wie Wahrheit, Freiheit und Machtmissbrauch.

Allerdings erschließen diese sich eher fragmentarisch, denn wenn die (dennoch nicht uninteressante) Geschichte um einen subversiven Autor, der in Moskau mit einem provokanten Theaterstück gegen Windmühlen reitet und ständig mit dem Teufel in Kontakt gerät, eines ist, dann leider ziemlich wirr inszeniert. Das ganze wirkt wie eine lose Sammlung verschiedenster Szenen, die mal banal, mal unheimlich mitreißend, bis hin zu bizarr erscheinen, aber insgesamt kein stimmiges Ganzes formen – ein wirklicher filmischer Fluss ist nicht zu entdecken, Figuren-Konstellationen entstehen aus dem (und enden im) Nichts, selten kommt das Gefühl auf, die gesamte Inszenierung wäre über die kritisierten gesellschaftlichen Themen hinaus (im Sinne einer Geschichte) zielgerichtet. Ein Blick auf den Inhalt der Vorlage offenbart, dass auch diese sich inhaltlich alles andere als geradlinig gibt: Zunächst ist dort fast die Hälfte des Romans nur dem Teufel gewidmet, welcher mit seinen Schergen in Moskau auftaucht, Menschen verdammt und aus dem Hintergrund das Zeitgeschehen lenkt. Der Titel-gebende Meister gesellt sich erst im zweite Teil dazu. Film: Der Meister Und Margarita (1972) weiterlesen

Film: Love Exposure – Ai No Mukidashi (2008)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Rapid Eye Movies


Fakten
Jahr: 2008
Genre: Drama, Liebesfilm, Wahnsinnstrip
Regie: Shion Sono
Drehbuch: Shion Sono
Besetzung: Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Andô, Yutaka Shimizu, Makiko Watanabe, Hiroyuki Onoue, Atsuro Watabe, Tasuku Nagaoka, Sô Hirosawa, Yûko Genkaku
Kamera: Sôhei Tanikawa
Musik: Tomohide Harada
Schnitt: Jun’ichi Itô


Review
Es kommt selten vor, wirklich selten, dass ein Film die Kraft besitzt alles zuvor im Kopf des Zuschauers dagewesene mit geradezu erschreckender Leichtigkeit davon zu fegen. Sich von jetzt auf gleich in den geistigen Vordergrund zu drängen, der Rest dahinten nur noch vage Schemen, und laut zu schreien: “Hier bin ich und egal, was du meinst bis jetzt gesehen zu haben, ich garantiere dir, so etwas wie mich kennst du noch nicht!” Diese Wirkung erreicht vielleicht ein Film alle paar Jahre. Doch selbst über diese seltene Gattung der Meisterwerke hebt sich Shion Sono’s 2008er Film LOVE EXPOSURE noch ein kleines Stückchen weiter empor – weil er nicht nur einmal derartig wirkt, sondern die totale Ausweitung jeglicher Grenzen und den nicht wieder zuklappen wollenden Kiefer auch bei jeder weiteren Sichtung erneut hervor ruft. Diese Achterbahnfahrten durch eine Welt aus fotografierten Schlüpfer und fanatischen Sekten immer besser werden. Ein Werk, das völlig eigen, in exotischem Maße größenwahnsinnig und streng genommen vollkommen unbeschreiblich ist – das man erleben muss, um auch nur eine Idee von der Intensität zu erhalten, die dieser Film erzeugen kann.

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