Serie: Marvel’s Daredevil – Season #1 (2015)


Trailer © by Netflix


Fakten
Jahr: 2015
Genre: Neo-Noir, Comicverfilmung, Thriller, Drama
Showrunner: Drew Goddard
Crew (Writer, Director, Cinematographer, Editor): IMDb-Übersicht
Besetzung: Charlie Cox, Rosario DawsonVincent D’Onofrio, Deborah Ann WollElden HensonToby Leonard MooreAyelet ZurerVondie Curtis-HallBob Gunton
Musik: John Paesano


Review
MARVEL-Studios, die kompromisslos voran walzende Allround-Verwertungsmaschine heutiger Kino-Tage, steht vor allem für bunt, laut und lustig. In enger Taktung kämpfen die bekanntesten Superhelden auf der Leinwand um den Erhalt der Welt, der Galaxie, des Universums. Viel Krawall auf Kosten der (eigentlich so bitter notwendigen) Charaktermomente, but the crowd goes wild. Aber im Fernsehen? MARVEL’s Eigenproduktions-Premiere auf dem TV-Sektor AGENTS OF S.H.I.E.L.D. schlug sich außerordentlich gut – zwar orientierte man sich sehr nah am damals brandaktuellen AVENGERS-Hype, referierte die Ereignisse des noch recht frischen MCUs und wob von Arsgaard bis H.Y.D.R.A. all die vorangegangenen Motive ein, doch tat der Serie vor allem das Downsizing auf ein kleineres Budget recht gut. Kleinere Plots und bodenständigere Actionszenen trieben die Arbeit des Agenten-Teams voran, damit einher gingen schöne Character-Arcs, wie sie nur Serien unterbringen können.

Nun haben sie DAREDEVIL in Kooperation mit Netflix produziert, sich also mit ganzer Kraft in die Welt der “neuen” Distributions-Formate gewagt. Die Vorzeichen standen auf “anders”, denn die Produktionsautonomie von (ursprünglich mal) Cable-Networks, heutzutage auch VOD-Anbietern, wird schon länger als eines der Qualitätsfundamente gesehen – immer wieder hört man Thesen wie: “(nur noch) in TV-Serien kann sich heutzutage etwas getraut werden”. Und siehe da: MARVEL’s DAREDEVIL hat alles, was den großen Bombast-Schinken aus gleichem Hause fehlt – Zeit für (und Lust an) echte(r) Charakterentwicklung und Figurendynamik, spürbare Brutalität in offensichtlich gewalttätigen Szenen, sowie allerlei Ecken und Kanten, die den glatten Computerspie.., äääh, Filmen des AVENGERS-Universums größtenteils vollkommen abgehen.

Auf der anderen Seite lässt die Serie genau das aus, was in besagten Blockbustern schnell übersättigt – es geht nicht um die Rettung der Welt, sondern völlig bodenständig um das Wohl der Community eines einzelnen Stadtviertels, es werden keine Metropolen in minutenlangen, blutleeren CGI-Action-Setpieces zu Staub zermahlen, stattdessen bollern knallharte Faustkämpfe mit heftigem Martial-Arts-Einschlag über den Schirm und die immer zu helle (weil zwangs-3D taugliche) Atmosphäre der Filme weicht einer schmutzigen Noir-Ästhetik, die den dreckigen Moloch Hell’s Kitchen viel bei Nacht und dann meist nur im Neonlicht der Werbetafeln und Schaufenster erstrahlen lässt.

Inhaltlich schöpft die erste Staffel DAREDEVIL voll aus dem Möglichkleiten-Topf des seriellen Erzählens: Eine übergeordnete Storyline bildet das Raster, an dem sich immer wieder orientiert wird – Charlie Cox ist der blinde Matt Murdock AKA Mann mit Maske (AKA The Daredevil) und kämpft nachts gegen das Verbrechen in seinem Viertel – Hell’s Kitchen, New York City. Nach und nach kommt er organisierten Strukturen auf die Spur, Korruption und Gewalt sind an der Tagesordnung, alles deutet daraufhin, dass Vincent D’Onofrio als Wilson Fisk, nach außen ein gönnerhafter Samariter, der das Viertel gentrifiziert, seine Finger mit im Spiel hat. Bis ins Letzte verflochten mit diesem Thriller-lastigen Haupt-Erzählstrang und Murdocks langsamen voranschreiten, sind jedoch vielfältige andere Aspekte.

Die Erblindung des Helden im Kindesalter, die übermenschliche Zunahme seiner verbliebenen Sinne, das Training zum Martial-Arts-Künstler – all diese prägenden Epochen seines Lebens sind elementarer Teil der Serie, immer wieder wird über toll montierte, morphende Szenenübergänge in Rückblenden gewechselt, die den Figuren stetig mehr Profil, Motivation und Glaubwürdigkeit verleihen, plus weit mehr als nur Murdock’s Story erzählen. Auch die Freundschaft zwischen ihm und seinem Anwalts-Partner Foggy Nelson, die aus deren gemeinsamen Studium entstand, bekommt ein glaubhaftes Fundament, ebenso die Figur des Fisk – ein beherrschter, zurückhaltender Mann, der nur selten in explosiven Ausbrüchen dem Wahnsinn freien Lauf lässt und ein Tor zur Hölle aufstößt. DAREDEVIL liegt eindeutig etwas an den Figuren und ihrem Zusammenspiel.

Ebenso an körperlicher, knackiger Action: das beginnt bei Parcours-lastigen Verfolgungen auf den Dächern New Yorks, die zwar ab und an zum reinen Skill-Showoff verkommen, größtenteils aber von gesunder Dynamik getrieben sind und endet in einer schier endlosen Flurkampf-Plansequenz, die zwar an das offensichtliche südkoreanische Vorbild nicht heran reicht, sich aber dennoch in Bezug auf Kameraarbeit und Fight-Choreo nicht verstecken muss. Erwähnenswert ist wohl auch, dass die blutige Gewalt in DAREDEVIL für den Protagonisten nicht folgenlos bleibt – im Gegenteil, Murdock kassiert mächtig und zwar nicht nur Faustschläge. Dieser Held ist verletzbar, schliddert einige Male ganz knapp am Jenseits vorbei und ist auch mal eine Episode vollkommen außer Kraft gesetzt – wenn es dann doch hart auf hart kommt, treiben ihn nur noch der eiserne Wille und eine übermenschliche Entschlossenheit, die man ihm voll abkauft. Derbe Gewalt ist in dieser Welt notwendiges Mittel zum Zweck, aber heiligt dieser die Mittel tatsächlich?

Hier taucht DAREDEVIL in moralisch komplizierte Gefilde ab und hinterfragt das Handeln seiner ambivalenten Hauptfigur mit gesunder Skepsis. Zum einen über das ungeschönte Zeigen von dessen Taten – wenn Murdock einen Kinderschänder so lange die Fäuste ins Gesicht drischt, bis dessen Blut sein eigenes Gesicht ziert, hat das trotz richtigem Ziel so gar nichts heroisches mehr – zum anderen aber auch über den Kontrast zu seinem Partner Foggy, der das Handeln des maskierten Vigilanten aufs stärkste verurteilt, weil sein ungebrochener Glaube an Recht und Gesetz den moralischen Kompass eicht. Handelt der Daredevil aus einem reinen Gerechtigkeitssinn, oder soll vielleicht doch die Welt leiden, um die eigene Vergangenheit erträglicher zu machen? Nicht eindeutig beantwortbar und inwieweit man mit seinem Handeln mitgeht, schwankt sicher von Mensch zu Mensch – beachtlich, ist MARVEL doch sonst so vollkommen eindeutig in plakativen gut/böse-Schemata gefangen.

Neben den Herren der Schöpfung brillieren zudem noch Rosario Dawson in einer viel und Deborah Ann Woll in einer etwas zu klein geratenen Rolle, die beide hoffentlich in der Season #2 weiter ausgebaut werden. Ohne diese Ladies (plus Fisks aufflammender Liebschaft) würde DAREDEVIL ein wichtiger Teil fehlen, denn obwohl es mit dem Bechdel-Test mal wieder nichts wird, sind die Damen weit mehr als Mittel zum Zweck, treiben Plot und entscheidende Figurenentwicklungen voran und bereichern die Serie durch tolles Schauspiel, Ausstrahlung und Chemie. Ohne sie, würde den Hauptfiguren ein wichtiger Gegenpol genommen sein, der sie eicht, ihnen Antrieb gibt und im Notfall sogar für ihr Durchkommen verantwortlich ist. Mehr von diesen Damen bitte, denn trotz zu wenig Screentime sind sie schon weit mehr als nur hübsche Platzhalter.

Klares Fazit: Weiter so MARVEL, macht mehr Serien, es scheint zu funktionieren!


Wertung
8 von 10 zu Matsch geprügelten Schurken


Serie auf:
IMDB
MOVIEPILOT
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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10 Gedanken zu „Serie: Marvel’s Daredevil – Season #1 (2015)“

  1. Ich mochte insbesondere Fisks Story-Arc, das war in Sachen Drehbuch wirklich ganz feine Arbeit. Erst haben sie ihn eine halbe Staffel lang als den Über-Villain aufgebaut, dann haben sie ihn in der zweiten Hälfte demontiert, und ihn mit Schwächen und Ängsten fast sympatisch zu machen um das dann alles wieder in sich zusammenbrechen zu lassen. Das war echt gut und geradezu Anti-Marvel.

    Albern fand ich hingegen, dass jeder, sogar der Schneider, ein Martial-Arts-Genie war und dass DD mit ein paar Saltos oder Rädern Maschinengewehren ausweichen kann. Knarren, okay, aber MGs?

    1. Die war auch wirklich klar. Endlich mal ein Villain mit Profil im MCU. Ich würde aber deinen Einwand nicht unbedingt albern nennen, denn dann wären seine übermenschlich scharfen Sinne es auch. Für mich war das eher noch die letzte Bastion der Comighaftigkeit in einem sonst recht abgeklärten Setting. Seine Parcours-Fähigkeiten gehen streng genommen ja auch auf keine Kappe (auch für eine sehende Person nicht)…

  2. Schade, dass ich zu wenig Zeit für Serien habe. Das hört sich alles gut an, was du da schreibst.

    Übrigens (ohne die Serie zu kennen) glaube ich nicht, dass die von dir beobachtete Diskrepanz von Bombast und Bodenständigkeit irgendwelchen distributiven umstrukturien in der TV-Serienlandschaft geschuldet ist.

    Denn auch in den DD-Comics weht ein anderer Wind. Avengers und die Fantastic Four (manchmal auch die X-Men) sind für Weltrettung zuständig. In Solo-Auftritten oder Nicht-Teammitglieder erleben dagegen schon immer auch “bodenständigere” Abenteuer. Gerade DD ist ein Paradebeispiel dafür. Auch alle anderen Helden mit minimierten (oder keinen) Superkräften bekämpften meist nur im Faustkampf das Verbrechen. Oft wird dabei auch viel mehr charakterisiert.

    Übrigens wer Blut geleckt hat, und einfach nicht genug vom blinden Anwalt ohne Angst bekommen kann, der sollte unbedingt die DD-Comics von Bendis und Brubaker (jeweils 3 dicke Bände) lesen. Die sind 1A!

    Sorry, aber ich konnte nicht widerstehen und musste meinem (Blog-)Namen alle Ehre machen

    1. Zu wenig Zeit für Serien? Man kann doch gerade bei Serien immer mal gut eine Episode zwischen schieben, wenn wenig Zeit da ist

      Was ich im Text meine, ist allerdings keine Verschiebung der Action-Größe auf einen kleineren Rahmen, weil nun Netflix und nicht mehr Cable Networks die Serie produzieren, sondern schlicht der Unterschied des Budgets zwischen MARVEL-Kinofilmen (oder allgemein Blockbustern) und dieser Serie (bzw. AGENTS OF S.H.I.E.L.D). Ich habe leider aktuell den Eindruck, je mehr Budget da ist, desto mehr wird zwangsweise in übertrieben riesige CGI-Bombast-Setpieces investiert, weswegen das alles zu groß, zu laut, aber zu leer wird.

      Dass der kleinere Rahmen aber auch der Vorlage geschuldet ist, stimmt ganz sicher, allerdings würde ich widersprechen, denn außer in CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER ging es auch solo bei MARVEL im Kino immer um die Rettung, bzw. Zerstörung der ganzen Welt.

      Und zuletzt: Du klugscheißt nicht, sondern gibst schönen thematischen Input – gerne öfter, wenn du Lust hast

      1. Serien: Ja, du hast insofern Recht, als da man Serien flexibel dosieren kann, allerdings meine ich die enorme Laufzeitsumme einer Staffel und die macht’s fett, wenn man nicht mehr so oft vor den Fernseher kommt. Bei mir verlagern sich Serien deshalb schwerpunktmäßig auf Herbst/Winter DD wäre sicherlich sehr reizvoll für mich, genauso aber auch FARGO und TRUE DETECTIVE und meine laufenden Serien BOARDWALK EMPIRE und MAD MEN.

        Budget: Okay, Punkt für dich, wenn das Budget klein ist, entschließt man sich auch eher für bodenständigere Stoffe, stimmt, von daher haben wir beide recht

        Missverständnis: Solo war unpräzise von mir formuliert und bezog sich nicht auf Avenger-Solo-Auftritte, ich meinte gruppenunabhängige Charaktere wie Daredevil, Moon Knight, Punisher etc. Und ich meinte nicht die Avenger-Solo-Filme, bei den Vorlagen steht auch bei Black Widow, Cap und co. nicht immer gleich die gesamte Menschheit auf dem Spiel…

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