Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Pierrot Le Fou
Fakten
Jahr: 2015
Genre: Endzeit, Drama, Kammerspiel
Regie: Stephen Fingleton
Drehbuch: Stephen Fingleton
Besetzung: Mia Goth, Martin McCann, Olwen Fouere
Kamera: Damien Elliott
Musik:
Schnitt: Mark Towns
Review
Was wird wohl aus uns werden, wenn das Öl bald alle ist? Zwar glauben vereinzelte Träumer, wir bekämen das hin – erneuerbare Energien, Wissenschaft und co. werden es schon richten – THE SURVIVALIST, der aktuellste Vertreter des Endzeit-Kinos hingegen, eröffnet eine weitaus pessimistischeren Prognose (und ist damit wahrscheinlich ein gutes Stück näher an der tatsächlichen Zukunft): In einer so simpel wie effektiven Eröffnungssequenz, bekommen wir durch Auftragung zweier Werte gegen den Lauf der Zeit veranschaulicht, wie ein rapides, nahezu totales Aussterben der Menschheit nach dem Verebben der Ölquellen nicht allzu lange auf sich warten lässt. Restliche Population nahe null.
Dies bildet den Ausgangspunkt. Eine Zukunft, in der es keine Ressourcen mehr gibt, weil unser gesamtes derzeitiges System auf fossile Brennstoffe ausgelegt ist und deren Ausbleiben den totalen Kollaps herauf beschwören wird. Entgegen anderer Filme dieses düsteren Schlages ist THE SURVIVALIST jedoch nicht daran interessiert die daraus resultierenden Ruinen der Zivilisation zu zeigen und sich an Bildern des Zerfalls zu laben, sondern bricht das Szenario gekonnt auf das Schicksal des einzelnen herunter. Überlebenskampf auf persönlicher Ebene, erzählt als bittere Fabel der paranoiden Einsamkeit.
Im Resultat liefert der Film nicht das gewohnte Kino der Irrsinns-Apokalypse – die Implosion von Gesellschaft dient nicht als Antriebsmotor zur Formung durchgeknallter Wüsten-Gangs, oder faschistoider religiöser Kulte – sondern zeigt nüchtern und minutiös den Rückschritt in den Status des Einzelkämpfers. Einen solchen bekommen wir in Form unseres namenlosen Protagonisten zu Gesicht – tief im Wald hat er sich in seiner kleinen Hütte verschanzt, wahrscheinlich weit entfernt von den zerborstenen Überbleibseln unserer Jetztzeit, hermetisch abgeriegelt gegen Eindringlinge und potentielle Feinde. Wie sich zeigt, haben die Umstände sein Weltbild soweit verengt, dass zu letzterer Gruppe ein jeder Mensch zählt, der ebenso einsam auf Antlitz verfallenen Erde wandert.
Und so nah THE SURVIVALIST seiner Hauptfigur auf Schritt und Tritt folgt, so sehr ist der irische Filmemacher Stephen Fingleton auch an deren Innenleben interessiert – primäres Anliegen des Films ist die Ergründung von Isolation, Verzweiflung und dem Verfall gesellschaftlicher Werte. Was macht das alles aus uns? Was bleibt, wenn uns all die Dinge, über die wir uns im modernen Leben definieren, genommen werden? Entwicklung und Fortschritt nicht nur gestoppt, sondern regelrecht umgekehrt werden? Als letzte Bastion einer unwiederbringlich vergangenen Epoche, klammert der Survivalist sich an eine Handvoll Fotos – seine Mutter, sein Bruder, die Frau die er einst liebte – doch in einem symbolischen Akt, müssen selbst diese rettenden Fäden, die ihm seit (mindestens) sieben Jahren emotionale Orientierung im Leben spendeten, der kargen Realität weichen. Träumerei endgültig durch Pragmatismus ersetzt, die Fotos füllen seinen Magen nicht, ebensowenig hindern sie seinen Körper nachts am erfrieren.
Interessanterweise ist es nach diesem endgültigen Abschluss mit vergangenen Zeiten etwas so banales wie eine Rasur, dass seine Erinnerung an den Wert der Zivilisation (und somit auch des menschlichen Miteinanders) wieder erweckt und ihn nach anfänglicher aggressiver Skepsis nach und nach ein Quäntchen Vertrauen zu den zwei Frauen fassen lässt, welche eines Morgens plötzlich vor der Tür in seinen Gemüsebeeten stehen. Auch diese neu entstandene Dreierkonstellation nutzt Fingleton, um aus ihr generelle Betrachtungen über den Menschen (in seinem jetzigen Stadium), das funktionierende miteinander in Gesellschaften und moralische Aspekte des Lebens abzuleiten. Lässt Verzweiflung noch Raum für Selbstlosigkeit? Müssen wir alle etwa dauerhaft aufpassen, dass die Gier uns nicht zu egoistischen Schweinen verkommen lässt? Sind wir uns, egal wie sehr wir uns das Gegenteil vormachen, im Ernstfall immer und ausschließlich und selbst der nächste?
So karg und (dem ein oder anderen vielleicht gar) reizlos der Film zunächst in seiner reduzierten Inszenierung erscheinen mag, so brillant umtanzt er die behandelten Themenkomplexe. Gesellschaftsanalyse so gekonnt auf den gezeigten Mikrokosmos zu verdichten, ist eine Kunst – Fingleton meistert sie. Für Anhänger der großen Schauwerte wird das leider nichts sein – THE SURVIVALIST spielt nun mal ausschließlich in und um eine Hütte im Wald herum und es dauert geschlagene 20 Minuten bis das erste Wort gesprochen wird, aber den maximalen Effekt haben in dieser tiefenpsychologischen Charakterstudie eben vor allem minimale mimische Regungen. Blicke, die Geschichten erzählen.
Wer also an der Erforschung unseres Wesens interessiert ist, an Abstraktion unserer Verhaltensweisen auf ein hypothetisches Setting, welches in der Lage ist sie in ihrer Fehlleitung zu entlarven, dem wird mit diesem dichten Kammerspiel ein fantastisches Regiedebüt vorgesetzt, dessen wirkliche Größe sich nicht unbedingt direkt beim schauen, sondern unter Umständen erst im Nachgang entfaltet. Ein sperriger und fordernder Film, aber gerade deshalb ein Stück Kino von brachialer Konsequenz.
Wertung
8 von 10 Ressourcen schonenden Dünge-Verfahren
Veröffentlichung
THE SURVIVALIST erscheint heute am 01. Juli 2016 bei Pierrot Le Fou als BluRay und DVD. Im Bonusmaterial befinden sich: Kurzfilme, Making-Of, Trailer. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Amazon (*) (falls ihr das Amazon-Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Danke für den Tipp, Arne! Habe mir den Film am Freitag angesehen und der war wirklich bedrückend und doch sehr sehr gut.
Ach so: Was sagst du zum Ende? Meinst du der Hauptcharakter hat sich extra abgeschieden im Wald platziert um den Leuten aus dem Weg zu gehen? Ich fand den Kontrast zwischen der “hübschen” Frau mit dem Maschinengewehr und der hinter dem Zaun mit der Glatze, nur einem Arm, dafür mit Kind schon bezeichnend. Und dann noch das Bibelzitat am Zaun…
Ich habe es so gedeutet, dass er vor seinen eigenen Dämonen (wegen der Geschichte mit dem Bruder) in den Wald “geflüchtet” ist. Wobei auch die Rückblende ja schon im Wald stattfand und sie auch damals schon gejagt wurden. Hmm. Schwer zu sagen. Ich denke aus dem Weg gehen wollte er ihnen auf jeden Fall – ob er dabei die Leute oder sich selbst als “nicht gesellschaftsfähig” angesehen hat, kann ich nach einem Durchgang wohl noch nicht einschätzen…
Freut mich – genau für solche Kommentare schreib ich mir die Finger wund