Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Ascot Elite Home Entertainment
Fakten
Jahr: 2014
Genre: Schwarze Komödie, Horror, Psychothriller
Regie: Marjane Satrapi
Drehbuch: Michael R. Perry
Besetzung: Ryan Reynolds, Gemma Arterton, Anna Kendrick, Ella Smith, Jacki Weaver
Kamera: Maxime Alexandre
Musik: Olivier Bernet
Schnitt: Stéphane Roche
Es ist wieder so weit: der #horrorctober hat gerufen. Was das ist und was das soll erfahrt ihr auf dieser Info-Seite (die auch alle Links zu meinen Filmbesprechungen im Rahmen des “Events” enthält). Wer alles mitmacht, kann man auf dieser Info-Seite der CineCouch nachlesen. Also haut die Zombies weg, packt die Kettensäge aus und lasst euch nicht mit frechen Geistern ein – fröhliches Gruseln!
Review
Blutrünstiger Wahnsinn kann sooo viel Spaß machen – das beweist die iranisch-stämmige Regisseurin Marjane Satrapi zwei Filme nach ihrem gelungenen Debut, der Coming-Of-Age Zeichentrick-Gesellschaftskritik PERSEPOLIS, mit stilsicherem, höchst makaberem Händchen: Es lief doch so gut für Jerry, wäre da nicht aus versehen dieser Mord passiert. Und wäre da nicht seine Hauskatze, die mit Nachdruck auf einen weiteren drängt. What? Richtig, was Satrapi in THE VOICES auftischt, ist mit den Worten “ziemlich irre” noch zurückhaltend beschrieben.
Bereits zu Anfang, als Hauptdarsteller Ryan Reynolds erstmalig mit seinen Haustieren spricht und diese nicht nur stillschweigend lauschen, sondern ihm wahlweise schlecht gelaunt in fiesem Schottisch (die Katze), oder kumpelhaft in tiefstem Südstaaten-Slang (der Hund) aufmüpfige Antworten entgegen bringen, dürfte kein Zweifel mehr bestehen, dass THE VOICES eine herrliche, offenkundig schräg konzipierte Angelegenheit werden könnte. Und so ist es: Satrapi’s vergnügliche, so tiefschwarz wie kunterbunte Killer-Komödie ist skurril von vorne bis hinten und das in der reinsten Bedeutung des Wortes – fast ausnahmslos jeder Moment gestaltet sich vollkommen schräg, die Schraube des Grotesken ist so fest angezogen, dass im Laufe der Ereignisse vor ungläubigem Staunen mehrfach die Kinnlade runter klappt. Set-Design, Farbgebung, Absurdität – der Stil ist völlig eigen und die Inszenierung in Verbindung mit dem gelungenen Spiel der Darsteller so knuffig, dass das Resultat fast schon kindliche Begeisterung hervor ruft. Von Anfang an entführen Satrapi und Reynolds uns augenzwinkernd in eine seltsam-morbide Welt voller Retro-Farben und sprechender Tiere. Sich darauf einen Reim zu machen, fällt zunächst nicht leicht, immerhin scheint all dies durchweg ein gutes Stück der Realität entrückt (jedoch immer noch nah genug dran, um nicht gänzlich die Verbindung zu verlieren) – eine blutige Fabel für Erwachsene, deren leicht überzogene, fast märchenhaft-bunte Farbgebung eine gekonnte Wirkung entfaltet – alles in THE VOICES ist genau das kleine (notwendige) Stückchen drüber, dass jedem klar sein sollte, wie sehr sich alle Beteiligten bewusst gewesen sind, was sie hier eigentlich aberwitziges tun.
Und in der Tat schafft der Film ein Kunststück, welches ohne kritische Selbstwahrnehmung nie gelingen kann: er ist sowohl ein ernst zu nehmender, höchst eigensinniger Genre-Beitrag (mit bitterbösem Kern), der sich irgendwo inmitten eines Mischmaschs aus Anleihen zu Horror, Psychothriller und Mystery platziert, wie auch liebevolle Parodie all der verwobenen Genre-Fragmente. Ob plötzliche Extrem-Gewitter, nächtlicher Nebel, oder die unausweichlicheVerfolgung in den Wald – mit sichtlicher Freude wird ein Haufen Horror-Klischees liebevoll überzeichnet, aber dennoch selbstverständlich in die Handlung einbezogen. Ähnliches gilt für die typische Ästhetik generischer Romanzen – THE VOICES zitiert deren Kitsch bis ins Letzte, platziert ihn jedoch so gekonnt, dass weder flatternde Schmetterlinge, noch wärmster Sonnenschein ihre gezielte Wirkung verfehlen: Hollywood effektiv den Spiegel vorzuhalten. Nichts ist hier willkürlich: Reynolds im rosa Blaumann verlädt – mit überzogenem Elan und dauergrinsend – Badewannen und Pissoirs in einer Fabrik und wird (mal wieder) zum Opfer seiner Gefühle, Gemma Arterton als Fiona verdreht als bitchige Sexbombe (mal wieder) der halben Belegschaft den Kopf, Anna Kendrick, die mittlerweile 30 ist, kommt (mal wieder) als unsicherer quasi-Teenager daher – selbst die Besetzung der Rollen wirkt, als würden die Darsteller einen ironischen Blick zurück auf die eigene Karriere werfen.
In kleinen, spärlich gesetzten Momenten scheint jedoch eine weitere Ebene von so großer Tragweite durch, dass sie sich rückwirkend als der tragische Kern des Films entpuppt: Unter der Oberfläche ist THE VOICES trotz aller Farbe ein extrem düsterer Film, um eine traumatisierte, einsame, psychisch-kranke Figur, die vollkommen den Bezug zur Realität verloren hat. Alles bis hier beschriebene ist Jerry’s Welt, all die strahlend-hübschen blauen Fliesen und rosa Klebebänder seine Sicht. Doch sieht die Realität tatsächlich so aus? Was liegt unter der ulkigen Überzeichnung? Bei all dem stimmigen Humor, muss man sich bewusst bleiben, wie makaber das Gezeigte eigentlich ist. Wie wenig witzig es auf dem Papier klingt, dass ein psychisch gestörter Mann seine Medikamente nicht nimmt, von seiner Katze Mordanweisungen erhält und die Köpfe seiner Opfer im Kühlschrank platziert, um beim Getränke holen einen kurzen Schnack zu halten. Immer wieder streckt die “echte Welt” kurzzeitig ihre Finger nach Jerry aus – doch sie ist blutig, bizarr und angsteinflößend. On Top ist und bleibt THE VOICES dennoch eine astreine schwarze Horrorkomödie, die durch sämtliche formellen Entscheidungen und Reynolds’ Spiel konstant voran getrieben wird, bis das Lachen selten (aber oft genug) im Halse stecken bleibt.
Funktionieren tut das alles tatsächlich nur, weil Reynolds eine schier unglaubliche Performance aufs Parkett legt. Wie oft wurde der Mann auf sein Sixpack reduziert, als vollkommen unfähig verschrien und ewig mit dem Label des banalen RomCom-Darstellers gebrandmarkt. Ich konnte es nie fest machen, habe aber immer schon irgendetwas in ihm gesehen, was mich an seine Fähigkeiten hat glauben lassen – hier bricht exakt dieses Potential explosionsartig aus und Reynolds spielt wie vom anderen Stern – derart facettenreich, selbstironisch (ohne dabei ins alberne zu driften) und in den dunkelsten Momenten tief tragisch, wurde selten eine Rolle interpretiert. Kritiker, sehet THE VOICES und verstummet für immer. Leider lief der Film etwas unter dem Radar, dennoch besteht die Hoffnung, dass er für Reynolds das sein könnte, was MUD oder TRUE DETECTIVE jüngst für Matthew McConaughey gewesen sind: ein Befreiungsschlag, der ihn in die Riege der angesehenen, ernst zu nehmenden Schauspieler befördert. Zu wünschen wäre es, denn nicht dass seine köstliche Darstellung des Jerry reichen würde, auch als Voice-Actor schießt er den Vogel ab – oder jagt ihn auf vier Beinen, denn sowohl sein zynischer Kater Mr. Whiskers, wie auch der treu-doofe Hund Bosko werden von ihm gesprochen – nicht nur in vollkommen anderen Akzenten, sondern sogar in gänzlich anderen Stimmlagen. Das Resultat ist so divers, dass ich es im Abspann schlicht nicht glauben konnte, als Reynolds Name hinter sämtlichen Tieren aufgeführt wurde – BITTE, schaut diesen Film im O-Ton, niemals war das wichtiger!
Alles in allem agiert THE VOICES zwar (bzw. glücklicherweise) völlig fernab von Pointen, ist aber dennoch in seiner bizarren Skurrilität einer der witzigsten Filme, die ich seit einer geraumen Zeit sehen durfte, nicht zuletzt aufgrund der formell brillanten Inszenierung – der schwarze Humor entspringt bereits aus der parodistischen Gesamtwirkung. Starkes Schauspiel, eine absurde Prämisse, aber tief drin ein höchst bewegender Kern – was will man mehr? Und die Moral von der Geschicht: Kinder nehmt die Pillen (nicht).
Wertung
9 von 10 kühl gelagerten Damen-Köpfen
Veröffentlichung
THE VOICES erscheint am 06. Oktober 2015 bei Ascot Elite Home Entertainment als BluRay & DVD. Im Bonusmaterial befinden sich: Verschiedene Featurettes, Interviews mit allen Darstellern, Kinospots, B-Roll & Trailershow . Die Discs kommen im Wendecover.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Ach, das ist ja auch eine wundervolle, ansteckend begeisterte Kritik! Habe mich richtiggehend an meine Gefühle beim Schauen des Films vor über einem Jahr zurückversetzt gefühlt! Ich freue mich immer so, wenn FFF-Filme dann doch noch ein größeres Publikum finden – der hier hat’s ECHT verdient, nicht zuletzt wegen Ryan Reynolds’ groundbreaking Performance!
Danke Dir
Wobei die Aussage “größeres Publikum” hier leider relativ ist. In der regulären Kino-Auswertung lief der völlig unter dem allgemeinen Radar. Mal schauen, wie die Heimkino-Version sich schlägt (auf der BluRay sind immerhin schön viele Interviews und Features im Bonusmaterial).
Ja, “größeres Publikum” heißt bei mir in dem Fall schon, wenn nicht-FFF-Gänger den Film sehen. Fand’s halt schön, in relativ kurzer Zeit sowohl beim Medienjournal als auch bei dir so eine positive Kritik zu lesen! Aber du hast ja eh einen guten Geschmack! (mal von so Ausrutschern wie die 4 Punkte für “Mad Max: Fury Road” abgesehen… )
Oh, so eins chönes Kompliment Danke!
Übrigens werde ich mich irgendwann nochmal an FURY ROAD trauen. Jetzt weiß ich, was mich erwartet und danach kann ich entweder von 4 auf 2 gehen und das Ding ad acta legen, oder die katastrophale Erstsichtung als “nicht mein Tag” verbuchen…
Wird definitiv irgendwann nachgeholt. Klingt extrem spannend! (und ich habe schon viel Gutes darüber gelesen)
Hab jetzt gesehen, dass der Film sehr spaltet. Kein Wunder, da er echt unkonventionell und einfach MEGA-skurril ist. Aber Reynolds spielt echt göttlich und das ist alles so schräg Unbedingt gucken!