Review Unglaublich, aber wahr: THE KID ist der erste Charlie Chaplin-Film, den ich in voller Länge gesehen habe. Hätte ich Buch geführt und würde die einzelnen Szenen, die ich im Laufe meines Lebens von ihm und aus seinem Werk auf Youtube, in TV-Sendungen, etc. mitbekam aufsummieren, wäre die Spielzeit sicher ausreichend um zumindest seine großen Filme darin zu verpacken – aber diese Filme habe ich eben nie genossen, sondern immer nur kurze Slapstick-Ausschnitte aus irgendwelchen Kurz- oder Langfilmen, in denen der Tramp seinen Schabernack trieb.
Umso interessanter war es nun also, dank dem allseits geschätzten Kultursender ARTE, einmal einen Blick darauf werfen zu dürfen, wie der gute Mann in voller Kontrolle (Drehbuch, Regie, Produktion, Hauptrolle) denn eigentlich in seinen Stummfilmen Geschichten erzählen konnte?
Eine wohlhabende Frau bekommt ein unerwünschtes Kind, setzt es im Armenviertel aus, der Tramp findet es, versucht zunächst es los zu werden, was aufgrund von wachsamen Wachmännern und keifenden Müttern scheitert. Jahre später bekommen wir die beiden – nun wie Vater und Sohn zusammengewachsen, da der Tramp sich die gesamte Zeit rührend und aufopferungsvoll um das Kind gekümmert hat – wieder zu sehen, zumeist bei der elanvollen Umsetzung halblegaler “Geschäftsmodelle”. Die mittlerweile von Gewissensbissen geplagte Mutter spendet öfter für Bedürftige und ist zu diesem Zweck ebenfalls direkt im Armenviertel unterwegs, wo sie ihrem Sohn und dem Tramp durch Zufall über den Weg läuft und die Dinge ihren Lauf nehmen. Film: Der Vagabund Und Das Kind – The Kid (1921) weiterlesen →
Review Als der Tonfilm möglich wurde, haben einige wenige am Stummfilm festgehalten und schimpften, sowas brauche man doch nicht, es sei lächerlich, das könne man den Schauspielern doch nicht zumuten und wer wolle das überhaupt sehen? Als der Farbfilm herauskam, haben einige wenige am S/W-Film festgehalten und schimpften, sowas brauche man doch nicht, was könne Farbe einem Film denn geben, das er nicht eh schon habe, wo sei da der Sinn? Als Widescreen kam… Als Stereo kam… Als Surround-Sound kam… ALs digitaler FIlm kam… Als 3D kam.. Als Fernseher kamen, schimpften Filmfreunde über den Wegfall des Kino-Genusses. Als Video-Kassetten kamen, schimpfte man.. Als DVDs kamen schimpfte ausnahmsweise mal keiner. Aber als BluRays kamen, dafür dann doppelt so laut: wer brauche denn sowas, wo man doch die gute alte DVD hätte?
Oder: Als die Schallplatte kam, gingen Musiker auf die Barrikaden, sie würden dadurch obsolet werden, was wäre denn das auch überhaupt für eine Art Musik zu hören, ohne Band und ohne Etablissement, was sei das für eine Un-Kunst? Als die CD kam, schrie ein Teil der Vinyl-Gemeinde auf, sie klinge schlecht, es fehle die Haptik, wo sei denn da noch die Qualität? Als die MP3 kam, schrie man, es entwerte die Musik, wie könne man den ohne physische Träger überhaupt noch von Musik sprechen? Als Streaming-Dienste kamen, wurde endgültig der Untergang des Abendlandes herauf beschworen.
Die Geschichte technischer Entwicklungen und des Fortschritts ist eine holprige, denn wenn obige Einleitung eins zeigt, dann das “der Mensch” nichts mehr als “den Fortschritt” fürchtet. Na gut, “das Fremde” vielleicht, aber da das Annehmen von Fortschritt auch ein ums andere Mal das Einlassen auf etwas (bis dato) fremdes bedeutet, kommt das vielleicht aufs Selbe hinaus. So ticken wir anscheinend, mal die meisten Menschen, mal einige wenige, mal nur die, die er unmittelbar betrifft – im Grundzug geht es aber immer um ein essentielles Problem: Sich auf Neues einlassen bedeutet immer auch sich auf neue Herausforderungen einlassen. Das Gewohnheitstier Mensch wird gezwungen etwas zu wagen, bekannte Strukturen, also vor allem sicheres Terrain zu verlassen und dabei zu riskieren das Neue nicht mit der gewohnten Routiniertheit zu meistern. Ein Schritt, der bedeutet wieder an sich arbeiten zu müssen. Neue Hürden zu nehmen und auch Rückschläge hinzunehmen.
Doch lasst uns doch mal die Sichtweise umdrehen: neu bedeutet immer auch eine neue Chance!
George Valentin ist einer dieser armen Seelen, die so eng mit dem Alten, in THE ARTIST mit dem Stummfilm, verbunden sind, dass eine plötzliche technische Neuerung ihn vom Hocker (und aus der Bahn) haut. Der etablierte und geliebte Stummfilmstar ist plötzlich mit dem Tonfilm konfrontiert – kein kleines Gimmick, sondern die wahrscheinlich essentiellste Veränderung, die das Kino in seiner über einhundertjährigen Entwicklung überhaupt je erlebt hat. Plötzlich soll er sprechen, soll alles was er an Ausdrucksform und Methodik entwickelt hat auf Null setzen und noch einmal ganz vorn anfangen. Da wo er nochmal richtig an sich arbeiten müsste. Undenkbar – der coole und charimatische George begegnet der Aufgabe mit Spott und Hohn, verweigert sie, verteufelt sie und will mit aller Kraft an seiner Form der Kunst festhalten. Das alles ist schwer für ihn, es fällt auf, wie sein Selbstbewusstsein bröckelt, das Lächeln zur Fassade wird und er beginnt gute Miene zum (in seinen Augen) bösen Spiel zu machen. Sein Selbstbild bröckelt und je tiefer wir in seinen Kopf schauen, umso klarer wird: Es ist nicht der Ton der Filme und somit die neuen Filme an sich, die ihn stören – es ist die Angst vor dem Versagen! Die Angst dieser neuen, unüberwindbar scheinenden Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Sang- und klanglos unterzugehen.
THE ARTIST erzählt von diesem Kampf mit dem eigenen Ego und den tiefen Ängsten in uns. Davon, wie befreiend es sein kann etwas zu wagen, daran zu wachsen und zuletzt eine Herausforderung gemeistert zu haben. Und davon wie es immer Wege gibt eine unüberwindbare Hürde zu nehmen – zur Not eigene Wege, die trotzdem auf den Zielpfad dahinter führen.
Aber THE ARTIST erzählt auch auf seine, durch Wahl der Form absolut herausragende und natürlich ungewöhnlich eigene Art vom Fortschritt und dem viel zu seltenen Blick zurück. Alles geht immer nach vorn, ständig ist da das neueste große Ding, die Medien lieben es, stilisieren es hoch, die Leute lieben es, konsumieren es bis zum erbrechen, das “davor” ist immer schnell vergessen. Neu bedeutet gut, diese Gleichung wir nur allzu oft nicht weiter hinterfragt, stattdessen schnell und heftig Ballast abgeworfen – das Klassische ist schon bald nie dagewesen, beißt es sich doch zu sehr mit den neuen Gewohnheiten. Doch Michel Hazanavicius drehte diesen Film, so pathetisch es klingen mag: gegen das Vergessen der Anfänge des Kinos.
Kein Tonfilm ohne Stummfilm. Kein Farbfilm ohne S/W-Film. Kein Widescreen ohne 4:3. Kein 3D ohne 2D. Die Schlussfolgerung, die den Kreis zu schließen: Also auch kein 3D ohne Stummfilm.
Das (genau das!) möchte uns THE ARTIST sagen. Er ist liebevolle Hommage und kraftvolle Wiederbelebung in einem und erinnert an eine, in der Popkultur und somit im Kopf der Leute, nahezu in Vergessenheit geratene Kunstform, ohne die es die heutigen Normen nicht geben könnte. Er ahmt nach, aber kombiniert auch frei – 100 Jahre filmische Entwicklung, die jeden Rezipienten beeinflusst haben und trotz des klassischen Formats, an das THE ARTIST sich angenehm anpasst (Stumm, S/W, 4:3), natürlich auch THE ARTIST beeinflusst haben, um ihm frische Impulse zu geben. Mehr daraus zu machen, als reine Kopie des klassischen Hollywoods, sondern ein, durch Anreicherungen neuer, moderner Elemente, zu etwas neuem und größeren gewachsenes Werk.
Wie sieht ein Stummfilm beinahe 100 Jahre nach dem Stummfilm aus? THE ARTIST ist die gelungenste denkbare Antwort.
Wertung 9 von 10 expressiv-nostalgischen Tanzeinlagen
Veröffentlichung THE ARTIST ist bei DCM / EuroVideo Medien GmbH als BluRay und DVD erschienen. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.
Review Dieser Film hat etwas, was kein anderer hat und was bereits für eine lustige Zeit reichen würde: Minioooooooooooons!
Doch keineswegs nur – über diese ulkig-frechen kleinen gelben Zeitgenossen hinaus, beinhaltet DESPICABLE ME ebenso auch alle weiteren Zutaten, die ein unterhaltsamer Film für Kinder (fast) jeder Altersklasse (und, wenn auch weniger stark als bei Konkurrent PIXAR, welche die es geblieben sind) in sich tragen sollte. Animationsfilm: Ich, Einfach Unverbesserlich – Despicable Me (2010) weiterlesen →
Review 1989 ist also der Knoten geplatzt und PIXAR produzierte erstmalig einen Kurzfilm, der den allzu gut bekannten, leichten, humoristischen Charme der späteren Filmchen versprüht.
KNICK KNACK erzählt keine wirkliche Geschichte, viel mehr eine kleine, lustige Episode aus dem Leben eines (höchst verpeilt aus der Wäsche guckenden) Schneekugel-Schneemanns – mehr Sketch als Story. Das ist zwar alles nach wie vor im End-Achtziger-Stil animiert – stilistisch also zwar ein Stück Zeitgeschichte, heute aber dennoch schwer zu schlucken – doch macht einfach Spaß, weil die beteiligten, optisch stark abstrahierten, Figuren allesamt eine freche Komik versprühen und, viel wichtiger, endlich die nötige Empathie auslösen.
Jim Jarmusch zeigt mal wieder in Perfektion wie Film anders gehen kann, sich mit anderen Kunstformen trifft, mischt, verwebt, irgendwann wieder entknotet und vor Allem völlig ohne künstliche Bedeutungsschwängerung auskommt. Das meint nicht, dass THE LIMITS OF CONTROL keinerlei Bedeutung innwohnt, es existiert durchaus eine inhaltliche Parralelebene, aus der eine umfassende Interpretierbarkeit hervorgeht, es meint, dass Jarmusch nichts vortäuscht (vorzutäuschen braucht) wo tatsächlich nichts ist.
Es braucht manchmal einfach keine durchdachte, wohlkonzipierte Geschichte, keine Handlung die im Vordergrund steht, keine Fülle an Dialogen, keine Action, kein “Alles-wie-immer”-Feeling. Stattdessen reicht ein einsamer Darsteller der sich auf einer gefühlt ziellosen Reise befindet, Museen besucht, einige mehr oder weniger seltsame, inhaltlich vielleicht banale Begegnungen hat und nachts wach an die Decke starrt.
Für die meisten Betrachter wohl absolut gar nichts, für mich nahezu alles. Das beginnt zum Beispiel bereits bei der Wahl der Motive, die uns von Jarmusch gezeigt werden. Und wie sie gezeigt werden. Wie vieles im Leben sehen wir täglich und nehmen es doch nicht wahr? Unsere Wege sind so sehr auf das Ziel fixiert, dass alles was am Rande liegt wie ausgeblendet scheint. Er jedoch befreit die Stadt, die Wohnung, den Blick aus dem Fenster, das Gebäude um die Ecke, die Betonfassade, den verschlafenen Platz in der spanischen Stadt, die trockene Landschaft Andalusiens und alles, was noch auf dem Weg des wortkargen Protagonisten liegt, vom dämpfenden Schleier des Alltäglichen und bringt es in eine pure Form. Alles verdient in Jarmusch’s Blick eine gewisse Aufmerksamkeit (also auch unsere), der Weg ist hier das Ziel, der Sinn liegt darin ihn wahrzunehmen und eben das wird vom Betrachter gefordert. Somit funktioniert THE LIMITS OF CONTROL als eine umfassende Reflektion der menschlichen Wahrnehmung. Film: The Limits Of Control (2009) weiterlesen →
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