Hat ja richtig gut geklappt mit dem regelmäßigen Lesen (und vor allem “im Blog Reviewen”) von Kurzgeschichten und Romanen. Nicht. Seit ich vor fast einem Jahr das erste (und einzige Mal) mit dem Text zu DIE BEWOHNTE INSEL der Strugatzkis versuchte, etwas zu einem Buch zu schreiben, habe ich von den Autoren zwar noch die zwei weiteren Teile der Kammerer-Trilogie gelesen, aber den Allerwertesten nicht zum Schreiben hoch bekommen. Nun geht es weiter – für mehr Diversität im Blog und gegen den Schweinehund.
Was habe ich gelesen?
Autor(en): Arkadi & Boris Strugatzki
Titel: Picknick Am Wegesrand (OT: Пикник на обочине)
Erscheinungsjahr: 1972
Entstehungsland: Russland
Genre: Science-Fiction, Dystopie, Gedankenexperiment
Worum es geht?
An sechs über den Globus verteilten Orten ist es zu seltsamen, unerklärlichen Besuchen von vermeintlichen Außerirdischen gekommen. Ohne dass die ansässigen Menschen etwas davon bemerkten, ließen die Besucher in kreisrunden Arealen, “Zonen” genannt, eine Fülle an technologischen Artefakten, biologischen Veränderungen, etc. zurück, die die Menschheit vor große Rätsel stellen. Der Roman PICKNICK AM WEGESRAND setzt in den Nachwehen dieser Ereignisse an: In den umliegenden Städten sind sowohl wissenschaftliche Forschungsinstitute zur Untersuchung der unbekannten Technologien entstanden, wie auch ein florierender Schwarzmarkt, auf dem illegale Schatzsucher, genannt “Stalker”, das Diebesgut ihrer lebensgefährlichen Streifzüge in die Zone(n) handeln. Rotfuchs ist einer von ihnen und in mehreren, teils etliche Jahre auseinanderliegenden Momentaufnahmen seines Lebens, begleiten wir ihn (und seine sich wandelnde Weltsicht) auf seinen Wegen in und um die Zone bei Harmont, Canada.
Wie ich es fand?
In seinen vier (sehr unterschiedlichen) Hauptsegmenten streift der Roman unzählige Themen- und Gedankenkomplexe – so viele, dass es fast unmöglich ist, einen sinnvollen Anfang zur Besprechung zu finden. Ganz allgemein lässt sich zunächst sagen, dass die Strugatzki-Brüder für ihre Erzählung einen Ansatz wählen, der wahrscheinlich den meisten Freunden klassischer Science-Fiction sehr zusagen dürfte: PICKNICK AM WEGESRAND ist nicht primär an einer offensichtlichen Handlung interessiert, sondern fungiert wie ein Fluss aus Gedanken und Eindrücken, ein Treiben durch Situationen. Was uns hier geboten wird, ist eine chiffrierte Sammlung an mal mehr, oft weniger offensichtlichen Denkanstößen, die sich aus den Subtexten und Gesprächsfetzen eines hypothetischen Szenarios ableiten und eins zu eins auf unsere aktuelle Welt anwenden lassen – wahrscheinlich sogar noch treffender, als auf die Epoche der Siebziger in der das Buch originär zu Papier gebracht wurde. Dabei spielen psychologische, menschlich-intime Themen eine ebenso starke Rolle, wie gesellschaftliche, gar universelle Fragestellungen.
Rotfuchs versucht zunächst am wissenschaftlichen Institut unterzukommen, um seine illegale Vergangenheit hinter sich zu lassen, muss Jahre später, schon lange wieder unerlaubt in der Zone unterwegs, einen schwer verletzten Gefährten aus dieser bergen, gerät in die Fänge des Gesetzes und landet schlussendlich an einem Punkt, der durch die Annahme eines letzten, besonderen Auftrags das endgültige Ende seiner Stalker-Karriere darstellen soll. Im Laufe dieser Ereignisse (und der mit ihnen vergehenden Jahre) wandelt sich die Welt und ebenso Rotfuchs’ Innerstes. Aus dem jungen, aufopferungsvollen Mann, der das schnelle Geld roch und sich darüber Perspektiven schaffen wollte, wird ein zunehmend desillusionierter, gebrochener und zynischer Zeitgenosse, der an nichts mehr glaubt. Alkohol spielt dabei eine Rolle, vor allem aber die Beobachtung der Menschen um ihn herum: An einem Ort der Wohlstand und Erkenntnisgewinn im gleichen Maße verspricht, fallen die Menschen in Horden ein – doch welchen Preis fordert das? Was passiert mit einer Gesellschaft, die sich der unbedingten, fast zwanghaften Monetarisierung ihrer Umgebung verschrieben hat? Was macht das mit dem Menschen (und der Menschlichkeit)?
Aus dem schlichten Vorhandensein der außerirdischen Artefakte in greifbarer Nähe, der Gier nach ihnen und der stetigen Lebensgefahr, der die Stalker sich aussetzen, um sie nach außen zu bringen, ergeben sich reichhaltige Denkimpulse: Wie weit gehen wir, um den Fortschritt der Menschheit voran zu bringen? Welche Verantwortung haben wir beim Spiel mit dem Feuer, wie gehen wir also mit Macht-bringender Technologie um, die wir nutzen, aber nicht im Entferntesten verstehen können? Welchen Einfluss hat Technologie überhaupt auf uns und unser tägliches Leben? Und welchen das liebe Geld? Wie stufen wir Gefahren ein, deren Ausmaße aufgrund ihrer Fremdheit schlicht nicht abzuschätzen sind? Wann sind wir so weit, Gefährten ins offene Messer laufen zu lassen, um eventuell selbst davon zu profitieren? Die Kapitalismus-Analogien sind unübersehbar, die Politik beginnt aus Ahnungslosigkeit im Umgang mit der Zone zunehmend repressiver, bzw. totalitärer zu agieren und so kommt Rotfuchs (und wir mit ihm) langsam zu der Erkenntnis, dass die Welt um ihn durch das plötzliche Auftauchen der Zone nicht unbedingt ein besserer Ort geworden ist. In derben, meist alkoholisierten Gesprächen, sowie einer Vielzahl innerer Monologe seitens Rotfuchs dringen die Strugatzkis jedoch noch wesentlich weiter vor, als diese offensichtliche Ebene es zunächst erahnen lässt: Philosophisch-existenzialistische Themen kommen auf den Tisch, die persönlichen Fragen nach dem Sinn, nach der eigenen Bestimmung und gar dem weiteren Fortgang unserer Zivilisation werden gestellt – und der Leser soll mitdenken, Antworten liefert PICKNICK AM WEGESRAND nämlich nur wenige!
Um es also konkret auf den Punkt zu bringen: Nicht die unterhaltenden Abenteuer-Geschichten, die im Setting einer derart fremdartigen, lebensgefährlichen Zone ganz klar hätten erzählt werden können, sondern die Veränderung des – im Ganzen, wie auch auf tief persönlicher Ebene – sind Inhalt und Anliegen von PICKNICK AM WEGESRAND. Die Bandbreite, in der diese Punkte behandelt werden, reicht von Seiten-langen, kompletten Gesprächen bis zu beiläufigen Nebensätzen – immer wieder laden die Strugatzkis ein, die Zeilen eine Weile niederzulegen, um zu durchdenken, wie man selbst sich zu den angeschnittenen Themen positioniert – wer die Substanz also sorgsam sucht, wird den Roman vielleicht gar als vollgestopft, regelrecht überfrachtet empfinden. Sind die etwas über 200 Seiten erstmal beendet, raucht der Kopf – und doch herrscht das Verlangen vor, direkt von vorne anzufangen, um noch tiefer in die betrunkene Welt von Harmont, mit ihren unerklärlichen Phänomenen und ausgebrannten Stalkern einzutauchen, um vielleicht ein wenig mehr vom Menschen und seiner Art und Weise zu verstehen. Die gute alte Science-Fiction.. ich liebe sie!
Wo man es her bekommt?
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3 Gedanken zu „Roman: Arkadi & Boris Strugatzki – Picknick Am Wegesrand (1972)“