Film: The Wolf Of Wall Street (2014)


Trailer © by Universal Pictures Germany GmbH


Fakten
Jahr: 2014
Genre: Komödie, Pseudo-Satire
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Terence Winter
Besetzung: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey, Kyle Chandler, Rob Reiner, Jon Bernthal, Jon Favreau, Jean Dujardin
Kamera: Rodrigo Prieto
Musik: Howard Shore
Schnitt: Thelma Schoonmaker


Review
Eine knappe Stunde lang, hat der Film für mich ganz gut funktioniert: Überdrehte Inszenierung, dadurch auf eine absurde Art recht witzig, außerdem kreativ geschnitten und gefilmt, mit ein paar schön unzuverlässigen Erzählmomenten – feucht-fröhlich zeichnet Scorsese das schillernde Portrait von ein paar Wertpapier-Zockern, eigentlich miesen Arschlöchern, da merkt man jedoch jetzt und auch im weiteren Verlauf des Films nichts von.

Gegen Ende dieser ersten Stunde keimte in meinem Kopf langsam die Frage auf, wann THE WOLF OF WALL STREET endlich mal anfängt, die ganzen widerlichen Junkie-Broker-Typen nicht mehr bloß hemmungslos abzufeiern (denn das tut der Film, er zeigt sie nicht nur beim Feiern, sondern nickt breit grinsend und anerkennend in ihre Richtung) und als die ultimativen Helden, welche schlau genug waren den dummen Anlegern die Kohle aus der Tasche zu ziehen darzustellen? Als die, mit dem erstrebenswerten Leben, die es richtig gemacht haben und als Belohnung jetzt reichlich koksen und ficken dürfen? Ab wann er mal reflektiert, hinterfragt und beginnt ihrem auf Betrug, Lügen und gnadenloser Arroganz gebauten Lebensstil den Spiegel vorzuhalten?

Die nächsten knapp zwei Stunden kam NICHTS dergleichen und daher empfinde ich THE WOLF OF WALL STREET lediglich als einen unendlichen, brutal-ermüdenden Kreislauf aus dem immer gleichen Exzess, den immer gleichen Koks- und Nutten-Orgien und den immer gleichen Belford-steht-gottgleich-vor-seiner-Mannschaft-und-wird-geifernd-bewundert-Ansprachen, woraus sich eine höchst fragwürdige moralische Aussage ergibt. Man sagt: “Ist doch voll die Satire, Mann, siehst du nicht wie überzeichnet das ist?” Ich sehe, dass der Film gnadenlos überzeichnet ist, aber ich sehe auch, dass diese Überzeichnung nicht ausreicht, um dem Gezeigten eine Richtung zu geben, dazu eine Position zu beziehen, die über komödiantische Ausschlachtung ziemlich mieser Ereignisse hinaus geht. Alles wird hier immer wieder als Gag aufgelöst: “Ist doch nicht so schlimm, party on mo’fos!”.

Zwar gibt es immer wieder Momente, die getaugt hätten, das glorreiche Bild von Belfort ins Wanken zu bringen und darüber den Zuschauer wach zu rütteln, indem sie in die schillernde, oberflächliche Fassade der Figuren den nötigen Subtext einflechten, welcher den eigentlichen Horror dieses Lebens freilegt und über diesen Mechanismus den gesamten Belfort-Lifestyle in Frage stellen! Man muss sich vor Augen rufen, dass diese Männer ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen gehen, um sich selbst zu bereichern, in diesem Zuge am laufenden Band Existenzen gutgläubiger Kunden zerstören und auf jegliche (!) denkbare Moral vollkommen scheißen. Doch sobald der Film im Ansatz in diese Richtung steuert, zieht Scorsese die Notbremse, wodurch Belfort und co. schillernd und vor allem UNHINTERFRAGT bleiben.

Ein Beispiel: Belfort hat sich eine Überdosis extrem starker Pillen gegeben und muss plötzlich zu einem Münztelefon im Foyer eines Country-Clubs, weil seine Telefon getapt ist. Dort knallen die Pillen, er verwandelt sich in ein zuckendes, gelähmtes (und eigentlich höchst erbärmliches) Etwas, kriecht sabbernd durch die Lobby und schafft es irgendwie mit seinem Ferrari nach Hause zu kommen. Zwar lachen sich die meisten Zuschauer darüber tot (was ist nur los mit ihnen?), aber an sich könnte die Szene taugen, um ein Gefühl für Belforts Maß an Abgestürztheit zu erzeugen (weit mehr als seine später halbherzig verbal kommunizierte Erkenntnis: “Ich bin wohl drogensüchtig.”) – wenn nicht alles im Nachhinein wieder durch einen Gag, der die ganze Szene humoristisch relativiert als eine riesen Feier dargestellt würde. Oh, der Ferrari ist doch nicht heile geblieben, wie witzig?! Und das ist eine Situation von etlichen, nie geht Scorsese dahin wo es weh tut, nie interessiert er sich für die Folgen des Handelns, nie zweifelt er die Figur an sich auf eine ehrliche Art an.

Gegen Ende fällt ihm dann aber doch noch (ganz plötzlich) auf, dass er seit 160 verdammen Minuten in die Welt raus schreit, wie geil er ganz allgemein diesen ganzen Scheiß und speziell den Typen Jordan Belfort findet. Um auf Nummer sicher zu gehen, Verherrlichungs-Vorwürfen direkt den Wind aus den Segeln zu nehmen, also ein ALLES vorher gesehene legitimierendes Alibi-Fangnetz einzubauen, spinnt er innerhalb von 10 Minuten (!) – und man lasse sich auf der Zunge zergehen, das sind 10 von 180 – schnell den Absturz der Hauptfigur ein: Seht her, war alles doch gar nicht witzig, sondern ganz böse, was diese coolen, reichen Typen hier getrieben haben. Sogar seine Frau liebt ihn plötzlich nicht mehr und die Kinder sind weg (aber wenn wir ehrlich sind, finden wir diese sympathischen Hengste schon GANZ SCHÖN bewundernswert!). Das funktioniert nicht im Ansatz! Nie im Film hat man suggeriert bekommen, dass ihm an seiner Familie auch nur irgendetwas (außer der perfekt geformten Pussy seiner Frau) liegt, warum soll er also plötzlich so dermaßen abdrehen als sie weg will? Der Knast-Aufenthalt, etc. werden dann nur noch in einer einzigen Szene abgehandelt, danach heißt es: Jordan is back.

Dass der Film viel zu lang ist – mindestens eine komplette Stunde – und sich für mich zunehmend wie ein zäher Stau auf einer Autobahn durch ewig gleiche Schallschutzwände anfühlte, verkommt zur Nebensache, wenn man sich bewusst macht, welch stumpfsinnig-dümmliche, geradezu gefährliche Message Scorsese hier verbreitet: Scheiß auf alles, du wirst damit durch kommen. Natürlich ist WOLF OF WALL STREET in gewisser Weise, das verdeutlicht die allerletzte Szene, ein Fenster in unserer kaputte Gesellschaft – da ist ein Typ, der Millionär damit wurde andere abzuzocken, aber anstatt ihn mit Ächtung zu strafen und auflaufen zu lassen, lauern hunderte, gar tausende, um seine Expertise abzugreifen und den gleichen Weg zu gehen. Das ist leider so, da kann der Film nichts für, das entscheidende Problem ist jedoch, dass ich den Eindruck nicht los werde, Scorsese IST einer dieser Jünger, die mit großen Augen in einem von Belforts Seminaren sitzen, ihm gebannt lauschen und sich denken: Dieser Jordan Belfort hat es einfach richtig gemacht.

Um es abzuschließen: Mein massives Problem mit diesem Film liegt darin, dass ich nicht das Gefühl habe, Scorsese lädt zur Reflektion ein, indem er neutral (oder geschickt im Subtext entwaffnende) einen Haufen Verbrecher mit einem perversen Welt-, Frauen und Selbstbild zeigt, sondern tut das absolute Gegenteil, versucht sogar alles ihm inszenatorisch mögliche, um diese Hinterfragung zu unterbinden, aber stattdessen den gezeigten Lebensstil als eine ziemlich coole Sache zu verklären. Und das Konzept ging auf. Wahrscheinlich ist es fast schon meta, dass WOLF OF WALL STREET als Produkt einer Gesellschaft, die moralisch verkommene Verbrecher als Gewinner abfeiert, ebenso abgefeiert wird, aber ich schüttele ratlos den Kopf und denke mir: “Schönes Weltbild, Herr Scorsese!”


Wertung
Aufgrund der heftigen Verherrlichung nur 2 von 10 Upper- und Downer-Pillen (da helfen auch die stilsichere Inszenierung und guten Schauspielleistungen nicht)


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

13 Gedanken zu „Film: The Wolf Of Wall Street (2014)“

  1. Kann mich dir nur anschließen. Interessant ist vielleicht auch, dass der Börsenfilm schlechthin “Wall Street” damals viele junge Kerle beflügelte, sich in diesem Business zu versuchen. Obwohl Gordon Gecko hinter Gitter kommt, will der Zuschauer nur das Geld, die Frauen und den Spaß sehen. Das Mantra heißt: Hauptsache eine gute Zeit gehabt. Wenigstens eine Weile dauer-high sein, statt gemächlich 08/15 sein Leben zu verbringen. Genau das vermittelt The Wolf of Wall Street, wie du so schön in deiner Kritik schreibst. Blöderweise war der Film sehr erfolgreich. Im Grunde kann man warten, bis die nächste Generation – inspiriert von Scorese – eine Börsenblase kreiert.

    1. Ich bin ganz froh, dass doch noch von einigen Zustimmung kommt. Bevor ich den Film gesehen habe, war mir keine einzige negative Kritik bekannt. Ob so ein Film inspirirend wird ist natürlich zu einem gewissen Teil out-of-hand. ich finde aber halt das Scorsese nicht viel tut um gegen diese Inspirationswirkung gegen zu arbeiten!

  2. Lustig, dass du genau die Szene mit den Pillen und dem Ferrari als Beispiel genommen hast. Genau so ging es mir auch und ich saß kopfschüttelnd im Kinosessel als der Kinosaal um mich rum vor Lachen brüllte.
    Ansonsten: Top Review, ging mir genauso wie dir.

  3. “Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.”
    Henry Ford

    Den WOLF habe ich noch nicht gesehen, aber ich weiß von BWL-Studenten, die den WALL STREET mit diesem Gordon Gecko regelmäßig schauen – allerdings nicht als Mahnung, sondern als Ansporn. Die satirischen Elemente sind von der Realität schon völlig überholt worden, dass die Herren Studiosusse wohl eher einen Abenteuerfilm sehen als ein Drama.
    Unsere Wirtschaftsweisen und Finanzberater der Zukunft, hahaha….

    Meine Lieblingsfalschzuordnung eines Films sah ich in einer TV-Doku über jugendliche Schulabbrecher aus einem Hauptstadtghetto. Auf die Frage nach ihren beruflichen Plänen antwortete einer tatsächlich: “Scarface!”.
    Der Reporter fragte nach: “Ah, Al Pacino! Du willst also Schauspieler werden?”
    “Nee, Scarface!”
    “Aber du weisst auch wie das ausgegangen ist mit dem?”
    “Alter, der war halt dumm.”

  4. Spannend, ein Standardthema von Paula und mir ist ja, ob Filme eine moralische Verantwortung haben. Nur eine Frage dazu: Hast du Goodfellas gesehen und würde alles, was du hier schreibst, nicht auch auf den zutreffen? Ich sage gleich: Ich habe ihn (zu meiner Schande) nie gesehen. Aber was ich so gelesen habe, unterscheiden sich die Filme in ihrer Inszenierung nicht sonderlich. Bis auf die Tatsache, dass Goodfellas von coolen Mafiosi handelt. Vielleicht ist das einfach Scorseses Ding: Unsympathen zu porträtieren ohne sie zu verurteilen …

    1. Ich habe den (und CASINO) vor Jahren gesehen und mochte sie auch. Gefühlt merkt man in den Filmen aber weit mehr von den Folgen des kriminellen / unmoralischen / brutalen Handelns als hier, außerdem ist der Absturz in meiner Erinnerung viel ausgiebiger und heftiger dargestellt. Werde das aber demnächst mal überprüfen, in wie fern sich die Filme ähneln.

      Ich möchte ja außerdem gar nicht, dass Scorsese die Figuren verurteilt, einfach nur, dass er mir selber überlässt, was ich von ihnen halten soll – das ist es, was ich hier nicht mehr sehe, er rückt sie durch die Inszenierung (Humor immer und überall) zu sehr in ein gewisses Licht, weswegen es mir schwer fällt (bzw. unmöglich ist) zu akzeptieren, dass ein kritischer, oder zumindest hinterfragender Unterton da sein soll.

      Zur moralischen Verantwortung: Man kann schon erwarten, dass der Zuschauer selbst denkt, aber wenn üble Machenschaften fast ungebrochen in schillerndem Licht erscheinen, kann es “gefährlich” werden.

  5. Oha, klingt hart. Muss mir selbst noch eine Meinung bilden. Mag ja Scorseses Gangsterstreifen sehr, auch wenn man diesen in weiten Teilen ebenso Verherrlichung vorwerfen könnte.

    1. Ich habe die alle vor Jahren gesehen und mochte sie auch. Gefühlt merkt man in denen aber weit mehr von den Folgen des kriminellen / unmoralischen / brutalen Handelns als hier. Ich möchte ja gar nicht, dass Scorsese die Figuren verurteilt, einfach nur, dass er mir selber überlässt, was ich von ihnen halten soll.

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