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Film: The Boy (2016)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Capelight Pictures


Fakten
Jahr: 2016
Genre: Psychothriller, Horror
Regie: William Brent Bell
Drehbuch: Stacey Menear
Besetzung: Lauren Cohan, Rupert Evans, James RussellJim NortonDiana HardcastleBen Robson
Kamera: Daniel Pearl
Musik: Bear McCreary
Schnitt: Brian Berdan


Review

“Dies ist Brahms. Brahms ist anders als die meisten Kinder”

Die inhärent verstörende Wirkung, welche das Gros an lebensechten Puppen auf die meisten Menschen entfaltet, macht sich das Horrorkino seit jeher zum Instrument: Von CHUCKY, über die PUPPETMASTER-Reihe, bis jüngst ANNABELLE erwecken die gruseligen, vermeintlich leblosen Objekte allein durch ihre Anwesenheit ein ungutes Gefühl, auf welchem Filmemacher dankend aufbauen. Warum auch nicht – neben CLOWNS bieten Puppen wohl die sicherste Bank, wenn es darum geht, ohne viel Aufwand eine unmittelbare, atmosphärische Stimmung zu erzeugen.
Sie wirken einfach.

Das mag zunächst etwas abfällig klingen, soll aber eine wertfreie Feststellung sein, denn wie wir alle wissen reicht es nicht, sich auf vielversprechenden Motiven auszuruhen, man muss sie auch entsprechend einbinden, um einen Film voll starker Elemente auch zu einem insgesamt starken Film zu entwickeln – wer sich also einzig auf die Eigenwirkung von Glasaugen und stiller Beobachtung verlässt, wird scheitern. Aber Horrorfilmer William Brent Bell, durch öde Found-Footage-Machwerke wie DEVIL INSIDE nicht unbedingt mit dem kompetentesten Ruf gesegnet, legt in THE BOY, dem ersten Film in seiner Karriere den er nur inszenierte, ohne das Drehbuch selbst zu verfassen, über weite Strecken die richtigen Hebel um und liefert mehr, als nur eine omnipräsente, ohne Frage creepige Puppe. 

THE BOY setzt, ganz in der jüngeren Tradition vergleichbaren Suspense-Horrors der Marke INSIDIOUS, CONJURING oder SINISTER auf eine nagende Gesamtatmosphäre, ein (durch formelle Reduktion) beklemmendes Setting und die sorgfältig aufgebaute Paranoia der eigenen Hauptfigur. Als diese – Greta, eine junge Amerikanerin, die auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit in den Tiefen des britischen Nirgendwos gestrandet ist – eröffnet bekommt, dass das Kind, welches sie als Nanny hüten soll, eine lebensgroße Puppe ist, die die Eltern als ihren Sohn Brahms vorstellen und aufopferungsvoll wie einen lebendigen Menschen pflegen und erziehen, mutet die Situation zunächst noch wie ein schlechter Scherz an. Dass es ihnen jedoch todernst ist, macht die bierernste Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrem “Sohn” schnell klar, also akzeptiert Greta den Job – in der Hoffnung auf viel Freizeit zur Selbstfindung – und bekommt das riesige Anwesen überlassen, um Brahms während der Urlaubsreise der Eltern zu hüten. Doch, wie zu erwarten, ist nichts wie es scheint, denn Brahms umgibt ein unschönes Geheimnis.

In der Architektur heißt es “form follows function”, im Horrorkino lässt sich dieses Leitmotiv problemlos umdrehen – die Stimmung (also Funktion) eines Films ist sogar ganz maßgeblich von der Form abhängig und Bell (bzw. sein Team für visuelles und Set-Design) setzen alles daran, diese Form möglichst wirkungsvoll zu gestalten. Nicht dass ein verlassenes, Schloss-artiges Anwesen in der Einsamkeit als Kokon für eine befremdliche Puppe bereits genügend Eigenwirkung entfalten würde, schmücken die Wände der mit schwerem Holz verkleideten Gänge zahlreiche sonderbare Tierköpfe und einschüchternde Gemälde der familiären Ahnen – und sie alle scheinen Greta auf Schritt und Tritt zu beobachten. Mahnend auf sie herab zu blicken, im Wissen um etwas schlimmes, dass sich in diesen Wänden ereignen wird – ein leichtes Unwohlsein wird zum ständigen Begleiter.

Auch wir fühlen es, weil die suggestive Kamera von Genre-Veteran Daniel Pearl uns entsprechend zu lenken vermag, Erwartungen aufbaut, nur um diese entgegen der üblichen Genre-Methodik direkt zu unterwandern. Inmitten des gelungenen Spiels mit Schatten und Dunkelheit fängt Pearl Räume auf eine beklemmende Weise ein, die uns angespannt auf einen Knall warten lässt – verweilt oft ein Stück zu lang in der Leere der düsteren Flure – doch enthält Regisseur Bell uns diesen oftmals vor und lässt uns stattdessen noch eine Weile angespannt gemeinsam mit Greta auf den Dachboden klettern, oder an ihrem Geisteszustand zweifeln, als Brahms plötzlich die Sitzposition verändert zu haben scheint, ohne die Situation erlösend zu entladen.

Das Landhaus mutiert zum Gruselkabinett voll unsichtbarer Bedrohung – dass Greta also, inmitten des Auf und Abs aus tiefen Zweifeln an der eigenen Zurechnungsfähigkeit und tatsächlicher Überzeugung von Brahms’ Andersartigkeit, nach und nach tatsächlich eine Bindung zu diesem aufzubauen beginnt, mutet zunächst noch etwas befremdlich an, bekommt aber drehbuchseitig eine passende Legitimation. Auch sie verlor mal ein Kind, auch sie hat emotionale Löcher, die sie nie loswerden wird. Auf das Erforschen psychologischer Abgründe dürfen wir zwar vergebens warten, doch spannende Themen um Verlust, Kompensation und mütterliche Verzweiflung schwimmen am Rande mit – immerhin.

Und obwohl keins der Elemente, die Bell uns in THE BOY erleben lässt, wahrlich neu oder innovativ ist – Puppen gab es zigfach, seltsame alte Menschen, die ihr Haus der unwissenden Babysitterin überlassen, hat Ti West in HOUSE OF THE DEVIL bereits um einige Schippen weirder gezeichnet, die Mischung aus erschreckenden Alptraum-Sequenzen und langsamen Kamerafahrten bekommt ebenfalls keinen Innovations-Preis, gehört sie doch voll zum Genre-Standard – formt der Film ein stimmiges Ganzes und verfehlt seine Wirkung nicht. Der seltene Griff zu platten Jump-Scares tut dem Endprodukt gut, weil so die oftmals dichte, langsam aufgebaute Atmosphäre tatsächlich zur Entfaltung kommt. Wer also obig genannte Vertreter des langsamen New-School-Horrors genießen konnte, darf THE BOY ruhig eines Blickes würdigen.


Wertung
6 von 10 ungewöhnlichen Babysitting-Jobs


Veröffentlichung
THE BOY erscheint am 23. Juni 2016 bei Capelight Pictures als schönes 2-Disc Mediabook, Steelbook, BluRay, VoD und DVD. Das MEdiabook kommt mit 24-seitigem Booklet Im Bonusmaterial befindet sich ein Making-Of. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo, bzw. FSK-Sticker.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Amazon (*) (falls ihr das Amazon-Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

4 Gedanken zu „Film: The Boy (2016)“

  1. Diese Kritik habe ich gerne gelesen!

    Zumal ich hier deine Meinung durchaus teile. Der Film ging bei vielen Leuten und Kritikern kaum mehr als ein weiteres, billiges Horrorflick durch, was der eigentlichen Qualität des Films nicht entspricht. Ich persönlich war von dem langsamen Tempo, der Atmosphäre und dem Set-Design ebenfalls sehr angetan und fand die Idee, dass die Hauptfigur und die Puppe tatsächlich so eine Art gegenseitige Abhängigkeit entwickeln und dem anderen jeweils geben, was sie gerade zu brauchen scheinen, einen sehr schönen Twist.
    Der eigentliche ‘Twist’ am Ende des Films hat mir dann leider weniger gefallen, weil ich das Gefühl hatte, dass gerade auf ein völlig anderes Untergenre gewechselt wurde – vom langsamen Aufbau und Aufrechterhalten von Suspense zum durch-die-Gegend-werfen von Leuten und dem Zerdeppern der Inneneinrichtung in Zeitlupe.

    Alles in allem aber eine positive Überraschung nach zahlreichen Gurken, die ich im letzten Jahr erleben musste und ein vielversprechender Start ins Horrorjahr 2016.

    1. Freut mich!

      Das Ende war auch nicht so mein Ding, daher nur 6 von 10, aber insgesamt wirkte der keineswegs wie ein 08/15 runtergerotztes Ding – dafür steckt viel zu viel Liebe im Design, etc.

  2. Das klingt tatsächlich nach einem Horrorflick, der etwas für mich sein könnte. Lauren Cohan hat sowieso einige Sympathiepunkte bei mir auf Lager. Bin gespannt!

    1. Ich kannte sie gar nicht, spielt aber gut (sofern ich das beurteilen kann, musste leider Synchro sehen). Deinen Horror-Geschmack kann ich allerdings gar nicht einschätzen

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