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Comic: Ed Brubaker – Criminal Vol. I – Coward (2006)

Titelbild & Bildausschnitte © by Image & Icon Comics (MARVEL)


Eckdaten
Story: Ed Brubaker
Artwork: Sean Phillips
Colorist: Enigma (Val Staples)
Genre: Noir, Crime, Psychologischer Thriller
Label: Icon Comics (MARVEL)
Umfang:  143 Seiten (5 Hefte)
Gelesen: Englisch, digital, Juli 2016



Plot
Leo ist ein Dieb mit einem strengen Kodex, angeblich der Beste seines Fachs und wandelt nur noch, so denkt er zumindest, in Freiheit (und unter den Lebenden), weil er immer konsequent seinen Prinzipien treu bleibt. Ein Gangster aus seiner Vergangenheit, mit einem korrupten Cop im Schlepptau, eröffnet ihm jedoch ein Angebot, welches er aufgrund der desaströsen Zustände, die derzeit sein Leben bestimmen, nicht abschlagen kann. Obwohl die Sache etwas fishy und die anderen Beteiligten zu nervös erscheinen, lässt er sich darauf ein – und so Gott (und das Noir-Genre) will, wählt der Lauf der Dinge eine unangenehme Richtung.


Review
Premiere in meiner kleinen und bescheidenen Comic-Kategorie – erstmalig schreibe ich über ein Buch, dass ich nun sogar schon zum zweiten Mal gelesen habe. Vor Jahren schwärmte mir ein Comic- und Film-verrückter Freund von einem großartigen Noir-Band vor. Ästhetik und Themen der klassischen Filmgattung seien perfekt getroffen, die Atmosphäre ein Knaller und in den einzelnen Heften fänden sich sogar noch Essays des Autors zum Film-Noir, die jedem Filmfan auf der geistigen Zunge zergehen würden. Obwohl ich heute weiß, dass besagter Kumpel ein hoffnungsloser Brubaker-Fanboy ist, sollte er recht behalten, denn als ich mich einige Tage später überzeugen durfte wurde schnell klar: CRIMINAL VOL. ICOWARD (und auch LAWLESS, dazu aber wann anders mehr) ist ein ziemlich starkes Buch und huldigt den düsteren Noir-Themen in jedem Panel. 

Die Story hat alles, was ich an geradlinig-abgefuckten Genre-Stoffen so liebe – das Gefühl sich in einer, dem Normalsterblichen unter der sichtbaren Oberfläche verborgen gebliebenen, dreckigen Parallelwelt voll schmieriger Gesellen und roher krimineller Energie zu bewegen, fantastische (wenn auch keineswegs überraschende) Twists im Handlungsverlauf und eine durch und durch fatalistische Stimmung.

Protagonist Leo streift, Jahre nachdem ein riskanter Banküberfall katastrophal in die Hose ging, wie ein Schatten durch die Welt. Er ist einer dieser aus der Realität gepurzelten Individuen, die sich um keinen Preis in die Wogen der Normalität eingliedern können (und wollen), hält sich dürftig als Taschendieb über Wasser und pflegt aufopferungsvoll Ivan, den besten Kumpel seines verstorbenen Vaters, der nicht nur an Alzheimer, sondern auch einer ausgeprägten Heroinsucht leidet. Ein tristes Leben ohne Hoffnung. Der wichtigste Teil seiner Persönlichkeit ist jedoch sein Beharren auf den eigenen Regeln und Prinzipien. Wie der Titel des Buches bereits andeutet, ist Leo gemeinhin als brillanter Dieb geachtet, gleichzeitig aber als egoistischer Feigling ohne Mut zum Risiko verschrien. In einer Welt voll aufdringlich zelebrierter Männlichkeitsposen, Gefahr und Brutalität ist es jedoch genau das – eben nicht blind mit der Knarre in den Kugelhagel zu rennen, nicht mit dubiosen Typen auf Jobs zu gehen, deren Hintergründe er nicht kennt, etc. – was ihm, im Gegensatz zu vielen anderen, immer das nötige Quäntchen Vorsprung bescherte, um sich nicht die Finger zu verbrennen.

Und es wird auch in den Ereignissen dieser ersten fünf Hefte (COWARD war ursprünglich CRIMINAL #1-5) wieder sein klares Regelwerk sein, das ihm in der ausweglos erscheinenden, hochgradig brenzligen Situation während des (zu) kurzfristig geplanten Raubüberfalls auf einen Polizeitransporter den Arsch retten wird. Eine brenzlige Situation, die tatsächlich nur entstehen konnte, weil er eine andere Regel erstmalig außer Acht gelassen hat. Gewissermaßen könnte der Titel der Reihe nicht besser gewählt sein, denn die Story liefert mehrfach den direkten Blick “into the mind of a Criminal”, erzählt uns von dessen Beweggründen, Werdegang und Ethik.

Wohl austariert treibt Brubaker uns im Verlauf des Thrillers sowohl durch das kontrast- und schattenreiche Zwielicht dieser unmoralischen Zwischenwelt, verharrt in verrauchten Spelunken, blickt schonungslos in Richtung abgestürzter Typen und eiskalter Auftragskiller, die die Löcher wieder kitten sollen, welche korrupte Cops in den Lauf der Dinge gerissen haben, wie auch immer tiefer in Leo’s Psyche, seine Zweifel und Komplexe, seine Zerrissenheit zwischen Bereuen und Hoffen. Hochgradig komplex ist die Summe dieser Teile trotz impliziter Abhandlungen über Verantwortung, Lebenssinn, etc. vielleicht nicht, dafür aber inhaltlich wie visuell verdammt mitreißend – wie auch bei Filmen dieser Gattung sind die Themen bekannt, ihre Ausformulierung und Inszenierung entscheiden also vollkommen über Sieg oder Scheitern des Stoffes.

CRIMINAL VOL. I siegt. Der visuelle Stil erzählt uns mindestens genau so viel über die Welt, wie der Inhalt und von vornherein herrscht die Gewissheit, dass in dieser verkommenen Welt ein einziger Fehltritt das bittere Ende bedeuten kann. An emotionaler wie physischer Gewalt (und ihren drastischen Folgen) spart Brubaker nicht und weil die Möglichkeit ihrer Vollstreckung durch sadistische Widerlinge dauerhaft wie eine dunkle Wolke über den Geschehnissen schwebt, kauft man sämtlichen Beteiligten ihre Nervosität, ihre Ausbrüche und ihre Angespanntheit ab. Und Leo seine Wandlung. Das richtige zu tun, war zwar schon immer sein Ding, nur meinte dieses “richtig” immer und ausnahmslos “für ihn selbst richtig”. Im Laufe von COWARD, erkennt er langsam, dass das Leben auch Interaktion ist, dass es mehr gibt, als den Kopf aus der Schlinge zu winden, um sich einsam und allein in Sicherheit zu begraben. Und beginnt zu handeln. Dass dafür das überschreiten des Point-of-no-Return nötig war, ist tragisch, gemessen an Brubaker’s Motiven und Themen aber nur folgerichtig.

Der einzige Dämpfer ist eigentlich nur, dass in den seit 2014 neu veröffentlichten Edition bei Image Comics Brubaker’s Essays über den (Film) Noir nicht mehr enthalten sind. Ansonsten gilt: Atmosphärisch dicht, kompromisslos hart und insgesamt richtig stark!


Weblinks
IMAGE COMICS
ICON (MARVEL)
COMICBOOKDB
COMIXOLOGY
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