Review Eigentlich wollte der arme Michael doch nur nach Berlin reisen, um “der Gabi” ihren Schlüssel zurück zu bringen – dechiffriert bedeutet das in etwa “die Hoffnung nicht aufgeben, sie wieder zurück zu gewinnen” – doch als er nach seiner Ankunft schnell auf rabiatem Wege feststellen muss, dass nicht nur die Gabi ihm fremd, sondern anscheinend die ganze Welt blutrünstig und wahnsinnig geworden ist, steht zunächst mal auf der Agenda ich in der Wohnung zu verschanzen, um den eigenen Hintern zu retten. Um die Gabi sorgt er sich dennoch weiter.
Bereits ganze drei Jahre vor seinem gelungenen Öko-Horror BLUTGLETSCHER macht Marvin Kren auf deutschem Boden den ersten Ausflug ins wilde Genrekino – sein Debüt, ein Zombiefilm. Finanziert aus deutschen Filmförderfonds, integriert in ZDF’s “Das kleine Fernsehspiel”. Moment. Den letzten Satz sacken lassen. Zurückspulen. Noch mal lesen… Komisch. Es steht immer noch das gleiche da – doch so seltsam und ungewöhnlich es klingt, sind dies tatsächlich Eckdaten, die in der Entstehungsgeschichte des Films eine Rolle spielen, obwohl Mut zum Genre nun wirklich keine der Kerneigenschaften der öffentlich rechtlichen Sendeanstalten ist. (Neuer) Deutsch(sprachig)er Genrefilm #14: Rammbock (2010) weiterlesen →
Review Nachdem Yorgos Lanthimos vor mittlerweile bereits sieben Jahren mit dem Meisterwerk DOGTOOTH die internationale Filmszene in Aufruhr versetzte – selten wurden das Wesen des Menschen, die Formung von dessen Weltsicht und der elementare Antrieb unseres Handelns scharfsinniger hinterfragt – und in 2011 mit dem ähnlich starken ALPEIS nachlegte, der gekonnt hinter alltägliche Fassaden und unser aller selbstdarstellerisches Schauspiel blicken lies, war die Erwartung hoch. Konnte dieses Niveau gehalten werden? Welcher menschlichen Eigenart wird der griechische Autorenfilmer sich als nächstes annehmen? Welche unbequemen Wahrheiten aus dem Miteinander unserer Spezies heraus filetieren?
Eine verdammt schwere Last auf den Schultern eines Kreativen, doch Lanthimos wuchtet sie und überzeugt in THE LOBSTER erneut durch eine unglaubliche Beobachtungsgabe und die folgerichtigen Schlüsse aus all dem Treiben, was es 24/7 um jeden von uns herum zu sehen gibt. Punktlandung. Denn die Art, wie der modernen Gesellschaft hier ein Spiegel vorgehalten wird, schmerzt erneut bis tief ins Mark. Natürlich stecken in diesem neusten Werk wieder unzählige Facetten und Gedankengänge – vor allem zu Gesellschaft, dazu später mehr – oberflächlich sind jedoch zunächst Partnersuche und menschliche Bindung Thema. Oder eher: das obskure Etwas, zu dem “moderne” Entwicklungen, das Internet und der omnipräsente Selbstdarstellungswahn dieser Zeit, sie gemacht haben. Film: The Lobster (2015) weiterlesen →
Review Als Alexandra Aja im Jahr 2003 mit dem knallharten Genre-Kracher HIGH TENSION schlagartig auf den Schirmen der Horror-Gemeinde erschien und drei Jahre später mit dem mehr als gelungenen Remake des Wes Craven Terror-Klassikers THE HILLS HAVE EYES nachlegte, war sich das Gros der Genre-Freunde einig: Hier hat ein vielversprechender Filmemacher, einer der uns in den nächsten Jahren schonungslos und kraftvoll seelisch zermarternde Bilder um die Ohren knallen wird, die Bühne betreten. Mit dem zwei Jahre später folgenden MIRRORS (wieder einen Remake, dieses Mal jedoch eines asiatischen Films) setzte die erste, dafür jedoch umso intensivere Ernüchterung ein. Der verflixte dritte Film, die Allgemeinheit war wenig angetan – die erhoffte Härte war weg, der Film wenig stilsicher erzählt, die zuvor etablierte eigene Handschrift schien verwässert. Gutes Stichwort: Wasser. Mit dem wieder zwei Jahre später auf die Leinwand gebrachten PIRANHA 3D (nunmehr das dritte Mal in Folge, dass Aja bereits vorliegende Stoffe konservierte) polarisierte er enorm, da dieses formelle Experiment voll Blut und Titten die endgültige Abkehr von beklemmender Verstörung markierte. Die einzige Intention: durch ins Groteske überzeichnete Blut-Fontänen und unmissverständlichen Party-Appeal simpel Spaß machen – mehr sollte PIRANHA 3D nicht. Nur vier Filme seit dem Durchbruch also und doch schon ein großes auf und ab in der Wahrnehmung der Karriere dieses Horror-Filmers. Schön an derartiger Varianz im Werk eines Filmemachers ist jedoch die vollkommene Unberechenbarkeit seines nächsten Beitrags – wo also positioniert sich nun die gleichnamige Adaption des Joe Hill Romans HORNS? Die Antwort ist nicht leicht, denn das einzige was vollkommen klar erscheint, ist das Aja sich mit diesem (international schon 2013-2014 veröffentlichten) Werk in Gefilde vorwagt, die für ihn bis dato noch brachliegendes Terrain darstellten. Film: Horns (2013) weiterlesen →
Review THE ONE I LOVE – dieser eine Mensch, den du liebst. Wer ist er? Was zeichnet ihn aus? Welche unvergleichlichen Eigenschaften machen ihn besonders, welche nagenden Macken zeitweise unerträglich? Fragen, die sich jeder Mensch der in längeren Beziehungen lebt, zwangsweise irgendwann stellt. Mal mehr, mal weniger, mal aus einem heftigen Streit und mal aus der beflügelnden Verzückung heraus, die nur dieser eine Mensch hervorrufen kann. Der eine, den man liebt. Doch was, wenn man ihn vielleicht gar nicht wirklich kennt? Denkt ihn vollkommen zu lieben, aber doch nur die halbe Wahrheit sieht? Was wenn man das Unangenehme so effektiv ausblendet, dass das große Glück nur fälschlicher Trug ist? Wie viele seiner Ticks muss man ignorieren, um glücklich zu bleiben? Letztere sind wichtige Fragen, die ein hohes Maß an Ehrlichkeit zu sich selbst erfordern und daher in der Regel mit Vorliebe weit von sich geschoben werden – das Ergebnis könnte schließlich unangenehm sein.
Review [ZARTE SPOILER enthalten] Endlich mal wieder etwas brauchbares aus dem Hause Soderbergh. Nachdem er zuletzt mit seiner Schlaftablette CONTAGION weltweit viral Langeweile verbreitete und sich selbst dann auch noch mit dem Totalausfall HAYWIRE toppte, kann sein Pharma-Verschwörungs-Psycho-Thriller SIDE EFFECTS nun endlich wieder besänftigen und zunehmend verblassende Erinnerung an Soderbergh’s frühere Größe vor dem Entschwinden retten.
Zum einen behandelt die Story von Drehbuchautor Scott Z. Burns (der ironischerweise auch schon für besagten CONTAGION verantwortlich war) ein aktuelles und heikles Thema: fatale Nebenwirkungen von Psychopharmaka in Verbindung mit deren rasant wachsendem Konsum. Zum Anderen macht Soderbergh’s diffus-unscharfer, von Farbfiltern dominierter Stil hier nun tatsächlich auch wieder Sinn – es geht um Unklarheit, um Blackouts, um Schlafwandeln, später dann auch um Komplotte und Verschwörungen – alles undefinierte Zustände also, deren emotionale Unklarheit hier durch (die von Soderbergh selbst geführte) Kamera und den (ebenfalls von ihm umgesetzten) Schnitt zusätzlich intensiviert werden.
Worum geht es: Als der Psychologe Jonathan Banks einer hoffnungslosen Patientin, deren Mann gerade aus dem Knast zurück ist, ein neues, von der Industrie als Testmuster in den Markt gedrücktes Medikament verschreibt, beginnt sie zu schlafwandeln. Bliebe es nur dabei, wär der “Side Effect” tolerierbar, doch Emily tut im weggetretenen Zustand etwas schlimmes. Etwas sehr schlimmes. Und das lässt sich schnell zum Medikament zurückführen, also zwangsweise auch zur Verantwortung von Dr. Banks. Ging hier wirklich alles mit rechten Dingen zu? Es folgt eine spannende Aufklärungsjagd, die Schuldfragen klären und Licht ins Dunkel bringen soll.
Positiv sticht hier ganz klar Rooney Mara hervor, die facettenreich und eindringlich die verschiedenen Stadien und Zustände der Emily verkörpert. Auch Jude Law liefert übersolide ab und so wirkt SIDE EFFECTS über weite Teile fesselnd und aus einem Guss. Zumindest, bis die ersten Schatten langsam weichen. Was wie ein großangelegter Komplott aus rechtlicher Unterdrückung und gekonnter Vertuschung der Pharma-Konzerne beginnt, mutiert leider auf den twistreichen letzten Metern in ein geradezu banales Konstrukt aus enttäuschten Liebeleien und konspirativen Rachegeschichten. Nicht der vermutete Rundumschlag gegen die modernen Aktions-Mechanismen einer milliardenschweren, profitorientierten Pharma-Industrie, sondern viel, viel kleiner auf der Skala angesiedelt. Von der Sache her ist das kein Beinbruch, wäre Z. Burns und Steven Soderbergh doch ein etwas weniger platt-verkrampftes Lüften des Vorhangs gelungen und all dies in ein, klüger als nach TATORT-Leier durch-exponiertes Geständnis verpackt worden.
Zum Glück betreffen diese Kritikpunkte nur das letzte Viertel des ohnehin in 100 Min. knackig erzählten Films, massive Abzüge in der B-Note hagelt es dafür aber gewiss – denn Atmosphäre, Inszenierung und Schauspiel hätten für einen richtigen Kracher getaugt.
Wertung 7 von 10 fremdgesteuerten Blackouts
Veröffentlichung SIDE EFFECTS ist bei Universum Film & Wild Bunch Germany als BluRay und DVD erschienen. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.
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