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Fakten
Jahr: 2011
Genre: Satire, Groteske, Gesellschaftskritik
Showrunner: David Schalko
Network: ORF Eins
Crew (Writer, Director, Cinematographer, Editor): IMDb-Übersicht
Besetzung: Robert Palfrader, Maria Hofstätter, Nicholas Ofczarek, Nina Proll, Manuel Rubey, Adina Vetter, Sabrina Reiter, Christopher Schärf, Simon Schwarz, Raimund Wallisch, David Miesmer, David Wurawa
Musik: Kyrre Kvam
Review
Österreichisches Kino hat sich in den letzten 20 Jahren zu einer filmischen Instanz mit ganz eigener Tonalität gemausert. Seidl und Haneke drehen harte, ungeschönte Filme, die dort treffen wo es weh tut und auch auf der heiteren Seite des Spektrums weht ein anderer Wind als hierzulande – die Brenner-Reihe, TV-Filme wie AUFSCHNEIDER, oder überdrehte Werke der Marke CONTACT HIGH, welche irgendwo zwischen tiefschwarzer Groteske und wohldosiertem Irrsinn hin und her schwappen, sprechen eine klare Sprache. Seltener als gewissen Kinofilme schaffen es reine TV-Erzeugnisse der Nachbarn auf den deutschen Markt – leider. Denn die 2011er Miniserie BRAUNSCHLAG, eins von wenigen Exemplare, denen dieser Sprung über die Grenze vergönnt ist (und die mit Netflix- und Maxdome-Auswertung auch eine entsprechende Bühne bekommen), lässt auf ihre ganz eigene Art und Weise keinen Zweifel aufkommen, dass sich derartige Importe mehr als lohnen.
Tief in Niederösterreich, nah der Tschechischen Grenze, ist das verschlafene Kaff Braunschlag gelegen – ein Ort in dem verkorkste Typen einen UFO-Landeplatz betreiben und täglich auf Kontaktaufnahme der Außerirdischen hoffen, erwachsene Männer von ihrer Mutter (in Schürze) mit Nackenschlägen gemaßregelt werden, wenn sie sich vor dem Essen nicht bekreuzigen und die herunter gewirtschaftete Dorfdisco die letzte (und daher tägliche) Flucht für gescheiterte Seelen bietet. Freund Alkohol wird den quälenden Zustand der Existenz schon richten – oder zumindest ein Stück erträglicher machen. In 8 Episoden dürfen wir verschiedensten, durch und durch in ihrer Skurrilität am Anschlag rangierenden Handlungssträngen beiwohnen, in denen gestrige Denke, an die Wand gefahrene Existenzen und stereotype Klischees diverser Alltagsfiguren ihr Fett weg bekommen. Nicht zu knapp und mit sarkastischem Augenzwinkern.
Ja, die von David Schalko in Personalunion erdachte und inszenierte Serie gestaltet sich als wundervoller Rundumschlag gegen die (vermeintlich unumkehrbar) verkalkte Provinz, mit völlig absurdem Aufhänger: Das Bier- bzw. Schnapsglas am Tresen ist für Bürgermeister Gerhard und seinen Kumpel Richard die letzte Freude – letzterer demnach in den seltensten Fällen in der Lage noch gerade zu stehen – denn Gerhard weiß nicht weiter. Durch dubiose Deals mit noch dubioseren Casino-Betreibern auf der anderen Seite der Grenze hat er Braunschlag in immense Schulden getrieben – das steigert weder seine Laune, noch die Gesamtsituation der Bürger, aber motiviert die zwei mürrischen, schwer alkoholisierten Herren zu einer unkonventionellen Aktion – ein selbstgeschaffenes Wunder soll religiös-fanatische Touristenströme in den Ort locken und diese dann die “Wirtschaft” ankurbeln. Und wer könnte besser drauf ansprechen, als der Knallkopf von der UFO-Landestelle? “Der’s schließlich eh deppert!”
Die vielschichtige Satire, welche Schalko aus diesem Ansatz heraus entspinnt, ist zwar hochgradig grotesk und eindeutig der Marke Österreich, verfehlt aber keinesfalls, ganz wie obig genannte Kollegen, zu einem wahren Kern vorzudringen und den dort vergrabenen (unbequemen) Wahrheiten auf den Zahn zu fühlen. Das traurige Miteinander in gescheiterten Beziehungen, welches keins mehr ist, weil, diese sich nur noch über ein trostloses NEBENeinander definieren, kommt dabei ebenso auf den Tisch, wie eine Abrechnung mit falschen Fassaden und der dörflichen Gerüchteküche. Vordergründig bloß keinen schlechten Eindruck machen und hinter vorgehaltener Hand über jeden Fehltritt eines jeden Nachbarn pikieren? Kein Problem, denn ein einfacher Abgleich mit den Regeln des “bibeltreuen” Lebens hilft dabei, jeden noch so kleinen Ausrutscher sofort zu identifizieren.
Gefangen in den Fesseln der Kirche, eingemauert in den Zwängen der konservativen Dorfgemeinde und geplagt von Träumen, die man sich nie erfüllt hat, weil die lähmende Langsamkeit dieses Lebens von vornherein den Glauben daran nahm, dass sie überhaupt in Reichweite lagen – was BRAUNSCHLAG umreißt, klingt nicht gerade nach einem schönen Leben und leichter Kost. Unterhaltsam wird das ganze jedoch durch die überzeichnete Art und Weise, in der Schalko’s Drehbuch die Wege in und aus dieser Hölle heraus verhandelt, überspitzt und in diesem Zuge menschliche Verhaltensweisen hinterfragt und dekonstruiert.
Kann Flucht, mal wortwörtlich, wie im Falle von Babs, die nach Wien ging, nur um als Koks-abhängige, abgebrannte Langzeit-Studentin wieder zu kommen, mal übertragend, wie im Falle von Herta, die zu kostümierten Kuschel-Events geht, um endlich wieder mal einen Hauch von Zärtlichkeit zu verspüren, wirklich die Lösung sein? Oder muss man sich seinen Dämonen, egal ob sie die ewig gleiche Routine am Bankschalter, die verlogene Doppelmoral des Zöllibats, oder was auch immer sind, mutig stellen?
Der Weg zu diesen Antworten, wird in BRAUNSCHLAG ungemein charmant, mit einer Aufforderung zum Dauergrinsen gegangen. Viele liebevolle kleine Details – die nicht fertig gebaute und daher mächtig schrottig anmutende Villa, in der Richard lebt, die gelangweilten Polizisten, die ständig Solitär spielen, aber im Ernstfall nicht einen einzigen Handgriff auf die Reihe bekommen, der Tratsch am Schalter des Gemischtwarenladens – werden nicht weiter thematisiert, tragen aber dazu bei, dass diese Welt als ganzes funktioniert und in jeder Einstellung klar wird, wovon Schalko uns hier eigentlich erzählen will: Davon verstaubte Systeme zu sprengen, sie hinter uns zu lassen und frei von falschen Zwängen zu machen und vor allem immer bei uns und unserem menschlichen Kern zu bleiben. Amüsiert, lässt schlucken und wirkt nach – unbedingt sehenswert.
Wertung
8 von 10 Meerschweinchen-Erlebnisparks
Veröffentlichung
BRAUNSCHLAG ist bei EuroVideo Medien GmbH als BluRay und DVD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Setbesuch; Fotogalerie; entfallene Szenen.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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