Roman von KiWi, Foto von Jacker

Roman: Don DeLillo – Cosmopolis (2003)

Es sollte wieder eine Weile dauern, bis ich den nächsten Roman hier im Blog featuren konnte – zwar las ich endlich wieder viel, jedoch fast nur Comics – doch immerhin lohnt es sich jetzt auch. In aller seiner (bewusst) verkopften Sperrigkeit ist COSMOPOLIS nämlich dennoch (ähnlich wie David Cronenberg’s neun Jahre später umgesetzte Verfilmung) ein extrem gelungenes Werk.


Eckdaten
Autor(en): Don DeLillo
Titel: Cosmopolis
Erscheinungsjahr: 2003
Entstehungsland: USA
Genre: Satire, Gesellschaftskritik, Groteske
Umfang: ca. 200 Seiten
Gelesen: Juli-September 2016, Trade Paperback, Deutsche Übersetzung


Plot
Eric ist ein neureiches Technik- bzw. Finanz-Genie und hat es durch gekonnte Markt-Prognosen vom Niemand zum Multimillionär gebracht. An einem Tag, wo der Yen, auf den er waghalsig spekuliert hat, entgegen aller Erwartungen rapide steigt, beschließt Eric die Situation wissentlich zu ignorieren und sich während die Milliarden seiner Firma im Minutentakt dahin schmelzen einen Haarschnitt verpassen zu lassen. Eine befremdliche Reise durch ein New York, welches Kopf zu stehen scheint, nimmt ihren Lauf – tiefgründig-philosophische Begegnungen, trauernde Sufis, Sex in der Öffentlichkeit und eine zunehmende Entfremdung von den weltlichen Geschehnissen außerhalb der tiefschwarzen Limousine sind nur einige Aspekte dieses Roadtrips.


Review
Don DeLillo lesen, bedeutet immer auch, die Welt ein Stück weit mit gänzlich anderen Augen zu sehen, denn wie kaum ein anderer (zumindest aus meiner, einem literarischen Analphabeten gleichenden Sicht) verwebt er die behandelten Themen und Thesen elementar mit Gedanken und Sicht seines/r Protagonisten. Zauberei ist das natürlich nicht, sondern lediglich stark im Dialog mit den Möglichkeiten der Literatur – vergleicht man erzählende Medien, so offenbaren sich schließlich die verschiedensten Stärken und Schwächen. Und manche Kreative – wie zum Beispiel DeLillo – wissen diese einfach mit maximaler Effektivität zu nutzen, erlauben das tiefe Abtauchen in die Gedankenwelt ihrer Figur, das Wahrnehmen ihrer Weltsicht aus erster Hand und bei genügender Immersion das fühlen ihrer Gefühle. Keine beobachtende, sondern eine erlebende Perspektive.

Hier gelingt es dem Autor, indem er weit über eine reine emotionale Verschmelzung mit dem Protagonisten hinausgeht und eine Bestandsaufnahme des modernen Hyperkapitalismus, sowie die daraus abgeleitete Kritik an selbigem, komplett über Eric als Figur und seine bizarre Weltsicht formuliert. Dieser ist reflektierender Beobachter, selbsternannter Gott und eiskalter Geschäftsmann zugleich – alles, und das meint ebenso banalste Alltagssituation oder -objekte, wie auch existenzialistische und tiefgreifendes Themenkomplexe, was auch nur peripher in seine Wahrnehmung rutscht, wird nicht nur erfasst, sondern regelrecht zerpflückt, nach den absurdesten Parametern analysiert, aus einer verfremdeten Perspektive demontiert und in diesem Zirkel schlussendlich auf eine hochgradig subjektive, schwer greifbare Essenz herunter gebrochen. 

Dieser Prozess umfasst nicht nur seine Umwelt, sondern reicht ebenso bis tief in den eigenen Kopf hinein – so tief und auf eine so basale Ebene des menschlichen Agierens hinab, dass selbst genutzte Worte und Begrifflichkeiten auf dem Prüfstand stehen, um als legitim und von Dauer, oder ersetzbar kategorisiert zu werden. Die heutigen, alles umfassenden, ständigen Optimierungsprozesse auf ein übertrieben es, weltfremd-absurdes Maß verschoben. Und viel ist es demnach nicht, was gegen Eric’s Betrachtungen Bestand hat, denn nur wer selbst in seiner Anpassungsfähigkeit der Zukunft voraus ist, kann sie formen. Oder noch extremer: gegen sie halten, um nicht geschluckt und gefressen zu werden. Zeit, Entwicklung und Verfall sind elementare Bestandteile von Eric’s Gedankenwelt.

Und so absurd das klingen mag – in dieser ins Extrem übersponnenen Art steckt viel über uns und die Welt, die tagtäglich zu großen Teilen unbemerkt an uns vorbei rauscht, obwohl wir sie bevölkern. Sich Dinge bewusst machen, heißt immer auch, sich zu ihnen positionieren zu müssen – die meisten von uns sollten das öfter tun, das hier vorliegende Maß zeigt jedoch das gegenteilige Extrem zur gängigen Abstumpfung auf. Der Fluss des Lebens geht verloren, die Welt wird auf Formeln und Patterns herunter gebrochen, das führt zu vollkommener Entfremdung.

Und so zeichnet DeLillo Eric’s schleichende Reise, hinaus aus den Glas- und Stahl-Finanzdistrikten als Strudel, der kraftvoll in den Wiedereintritt in eine normale (aber in Eric’s Wahrnehmung überholte) Welt hinein zieht, die abseits von Trades in Millisekunden und abstrakten Zahlenströmen längst abgehängt wurde. Für Eric ist dies eine Rückkehr in ein Leben, zu dem er längst jegliche Verbindung verloren hat. Ähnlich abstrakt wie das Zerschmelzen von digitalen Milliarden von Dollars in Minuten und Stunden, gestaltet sich aus seiner Sicht die Teilnahme an den Riten und Abläufen dieser gänzlich banalen Welt – doch im Trivialen findet er den endgültigen Absprung. Schafft loszulassen.

Und so werden die Ereignisse – nach wie vor Spiegel seiner verzerrten Wahrnehmung – im Verlauf des letzten Drittels zunehmend surrealer, vermischen sich Realität, Wahn und Vision zu einer untrennbaren Mixtur. Ein beiläufiger Mord, Straßenkreuzungen voller nackter Körper, bekannte Personen, die Eric in einem nahezu unmöglichen Kontext über den Weg laufen…

Das Setting wandelt sich schleichend von einer entmenschlichten zu einer entrückten Realität, alles steht auf Absprung, ein seelischer Verfall wird spürbar. Der traurige Zustand der Stadtviertel in denen Eric’s Tour endet, zeichnet diesen lediglich nach. Ein Endpunkt- COSMOPOLIS ist somit also rein oberflächlich eine Reise ins Verderben. Doch bleibt vor allem ein zynischer Beigeschmack, denn trotz allem was dieser eigenartige Protagonist verloren hat, will das Gefühl nicht weichen, dass dieses tiefe Verderben für ihn dennoch eher Erlösung bedeutete.


Weblinks
KiWi
Lovely Books
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