Film: The Immigrant (2013)


Trailer © by Universum Film GmbH


Fakten
Jahr: 2013
Genre: Drama, Romanze
Regie: James Gray
Drehbuch: James Gray, Ric Menello
Besetzung: Marion Cotillard, Joaquin Phoenix, Jeremy Renner, Angela Sarafyan
Kamera: Darius Khondji
Musik: Christopher Spelman
Schnitt: John Axelrad, Kayla Emter


Review
Die Geschichte einer handvoll Menschen, die vor etwa hundert Jahren in New York aufeinander trafen und versuchten ihr Leben zu leben. Wenn man das Setting von THE IMMIGRANT betrachtet, erwartet man anderes, als James Gray uns hier schlussendlich erzählt. Heutzutage wird die Kulisse eines New York der Zwanzigerjahre in der Regel nicht digital und detailgetreu errichtet, um den unscheinbaren Leidensweg einer unscheinbaren Person zu zeichnen. Um lediglich eine kleine Geschichte zu erzählen.

Nein, ein derartiger Ansatz schürt (leider) mittlerweile andere Erwartungen: Größe, Bombast, Epik – eben das, worauf uns das Kino der Neuzeit getrimmt hat. Geschichten von maßloser Tragweite, die trotz all des überbordenden Scheins, dem Leben nicht ferner sein könnten.

Doch glücklicherweise geht dieser Film einen ganz anderen Weg. Er erzählt eine kleine Geschichte, eine menschliche Geschichte, eine Geschichte wie sie das Leben hundert(tausend)fach geschrieben hat. Eine Geschichte in der verdammt viel drin steckt – über Verzweiflung und die daraus resultierende Anfälligkeit für Ausnutzung, über Hoffnung und den Wunsch nach einem besseren Leben, über Vorurteile, Verurteilung und Scheinheiligkeit. Und über Liebe. All dies und noch vielmehr streift THE IMMIGRANT im vorbei gehen, erwähnt und skizziert Thema über Thema, doch arbeitet kaum damit, formuliert wenig bis ins Detail aus und hinterlässt dadurch kaum eine bleibende Emotion.

Dabei ist dies, wie auch schon in Bezug auf die Wahl des Settings, eine Konsequenz daraus, dass Gray nicht den auf der Hand liegenden Weg geht: Die Polin Eva kommt mit ihrer Schwester am New Yorker Hafen an – sie sind vor dem 1. Weltkrieg geflohen und wollen in die USA immigrieren. Doch ihre Schwester ist schwer krank und kommt zunächst in Gefängnis artige medizinische Zwangs-Versorgung. Eva selbst wird von einem wohlhabenden Unbekannten nach anfänglicher Verwehrung der Einreise quasi ins Land gekauft. Eine Abhängigkeit ist also bereits entstanden, bevor sie den ersten Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat und die Kosten der medizinischen Versorgung ihrer Schwester erledigen den Rest.

Diese Prämisse bildet das offensichtliche Fundament für ganz großes Drama, doch THE IMMIGRANT ist in seinem Verlauf unter jedem denkbaren Aspekt zurückgenommen. Der Film diktiert nicht, aber liefert im Umkehrschluss auch seltsam wenig – vor allem kaum einen Standpunkt. Das äußert sich noch recht positiv in der Zeichnung der Figuren – besonders der von Phoenix gespielte Pimp ist eben nicht wie sonst so oft ein klares, fieses, eindeutig böses Arschloch. Eigentlich ist er, abseits seiner ab und an aufflammenden Cholerik, ein ganz sympathischer Kerl. Auch Eva ist alles andere als nur verschüchtert und verzweifelt – im Gegenteil, sie weißt ganz klar verschiedene Eigenschaften, Motivation und Charakterzüge vor. Menschen haben Facetten, warum also nicht in Filmen? Doch all die Eigenschaften dieser Figuren wirken so wenig konkret, stattdessen so zaghaft angedeutet, dass beinahe das Gefühl entsteht, Gray habe sich im Skript zur Vermeidung von Schwarz/Weiß-Malerei und Klischees ZU weit reduziert – bis an den Punkt, wo eine Positionierung zu ihren Erlebnissen nicht mehr stattfindet und die Zurückgenommenheit nur noch Blässe bedingt.

Dieser Eindruck verstärkt sich durch die fehlende Wirkung der Geschichte. Alles passiert einfach, selbst die fürchterlichsten Dinge. Nun kann man sagen das sei nun mal das Leben, doch da widerspreche ich. Der Film bleibt in seiner Erzählweise völlig frei von fühlbaren Meilensteinen – selbst grauenhafteste Ereignisse, wie der Einstieg in die (Zwangs)Prostitution sind nur Momente in einem Fluss der Zeit, der in seiner Ganzheit THE IMMIGRANT ergibt. Und selbst wenn man die überbordende Frontal-Emotionalität des Hollywood-Kinos abziehen will – echtes Leben zeigen will – bleibt noch weit mehr als hier übrig.

Der Zuschauer als unbeteiligter Beobachter also? Irgendwie ja, irgendwie auch nein. Seltsamerweise konnte der Film mich in gänzlich unscheinbaren Momenten trotzdem vollkommen abholen. Es ist schwer zu beschreiben warum, vielleicht war es einfach nur der richtige Titel des klassischen Scores (einer der schönsten die ich kenne) im richtigen Moment, aber urplötzlich verströmt der Film ab und an eine vollkommene Magie, wie es nur das Kino kann. Da spricht der unerwartet, nein, unglaublich (!) charismatische Jeremy Renner als Magier bei seinem ersten Auftritt im Film als Eröffnung seiner Show über Hoffnung, über Glauben, über Ziele und plötzlich liegt da dieses unbeschreibliche Knistern in der Luft und THE IMMIGRANT bewegt durch so weniges in einem Maße, dass die Tränen in die Augen drückt.

Davon mehr und es wäre einer der schönsten Filme der letzten Jahre geworden – so ist es ein stetiges, wunderhübsch inszeniertes auf und ab aus Distanziertheit und Intensität geworden. Vielleicht zeigt Gray hier auch den reinen Menschen in seiner puren Form und all die sonstigen, gnadenlos überschriebenen Filmfiguren haben uns verlernen lassen genau dass zu erkennen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich diesen Film ein wenig schön und auch ein wenig banal fand – unterm Strich steht hier leider kaum mehr, als dass das Leben seinen Lauf nimmt und wir es irgendwie wohl meistern werden. Das ist ein bisschen wenig. Aber genauso auch die Wahrheit. Schwierig!


Wertung
6 von 10 zerbrochenen Träumen


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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