Trailer © by 20th Century Fox
Fakten
Jahr: 2013
Genre: Komödie, Feelgood, Roadmovie, Selbstfindungstrip
Regie: Ben Stiller
Drehbuch: Steve Conrad
Besetzung: Ben Stiller, Kristen Wiig, Jon Daly, Adam Scott, Kathryn Hahn, Shirley MacLaine, Sean Penn, Patton Oswalt
Kamera: Stuart Dryburgh
Musik: José Gonzalez, Theodore Shapiro
Schnitt: Greg Hayden
Review
Träume.
Sie bringen dich in andere Welten, sie helfen dir deine Wünsche zu entdecken, sie lassen dich Schlimmes vergessen. Zeitweise. Aber was ist, wenn du irgendwann nur noch träumst? Wenn du so sehr in deinen Hoffnungen verweilst, dass es einen utopischen Charakter bekommt, sie überhaupt jemals zu erfüllen? Was ist, wenn du aufwachst und bemerkst, dass du so enorm viele Dinge tun wolltest, aber statt sie anzugehen auf der Stelle getrampelt bist und überhaupt nichts erreicht hast. Zu sehr geträumt, zu wenig gelebt. Die eigene Matrix erschaffen.
DAS GEHEIME LEBEN DES WALTER MITTY handelt von genau so einem. Einem Mann der viel vor hatte, doch anstatt die Welt zu bereisen, Revolution zu machen, ein Bisschen auszuflippen, urplötzlich erwachsen sein musste – schneller als es ihm lieb war, von hier auf jetzt eine deftige, unerwartete Dosis Realität – so früh, dass er noch nicht imstande war zu begreifen, wie ähnlich sich Realität und Traum sein können, wenn man sich selbst die Chance dazu gibt. Er hat sich diese Chance nicht gegeben, sondern ist in Umständen verweilt, die ihn über Jahre haben vergessen lassen, wie eigen und schön SEINE Träume mal waren.
Es sind die kleinen Dinge, die in Ben Stiller’s Regiearbeit schnell klar machen, was Walter (ebenfalls Ben Stiller) für ein Mensch ist – ein kleiner, sich seines eigenen Wesens gar nicht mehr bewusster Angestellter, der abgeschaltet hat. Fast ausschließlich auf Sicherheit bedacht – wer will es ihm bei seiner Vergangenheit und Familie verübeln – bestreitet er auf Autopilot sein Leben und verliert sich als einziges Highlight in recht häufigem Wegdriften in die Welt der Tagträume. Wilde Träume, in denen er als Actionheld aus Fenstern springt, als Superheld durch New York fightet und vor allem, so oft es nur geht, die von ihm insgeheim angeschmachtete Kollegin Cheryl (Kristen Wiig) beeindruckt. Von ihr wahrgenommen wird.
Wahrgenommen, wird Walter nämlich nämlich sonst nicht mehr. Symbolisch in eine beige-graue Jacke gekleidet, ist sein Innerstes nach außen gekehrt und er nur Teil einer grauen Masse, in der er sich wie gefangen fühlt. Um den Ausbruch aus dieser Gefangenschaft im beige-grauen Stand-By-Modus geht es in WALTER MITTY. Darum los zu lassen, in sich zu gehen und die Frage “was muss ich?” endlich mal wieder durch “was WILL ich?” zu ersetzen. Ausgelöst durch ein fehlendes Foto, welches innerhalb der nächsten 48h seinen Weg auf das Cover der letzten Print-Ausgabe des legendären LIFE-Magazins finden muss, geht Walter auf eine spontane, weite und aberwitzige Reise – drei beschreibende Adjektive, die vorher in seinem Leben keinen Platz hatten. Es folgt ein toll bebilderter, herzlicher, von wundervoller Musik getragener Feelgood-Roadtrip voller schöner Momente, Natur und Aufbruchsgeist.
Nun wird WALTER MITTY gelegentlich vorgeworfen, der Film sei heuchlerisch, weil er die Medien-, Hollywood- und Werbungs-induzierten Tagträume seines Protagonisten schamlos durch eine glatte Reisekatalogs-Ästhetik an den realen Ziele ersetze und dem Zuschauer vorgaukle, niemand könne Erfüllung finden, der nicht mit dem Skateboard Island bereist hat. Ich hingegen sehe zunächst in den Inhalten der anfänglichen Blackouts einen gelungenen Kommentar auf die medial induzierten, stereotypen, unerreichbaren Idole und Ziele der heutigen Zeit und finde die Motivwahl im Weiteren ziemlich stringent und folgerichtig. Denn auch wenn der Zuschauer aus dem Film sehr viel für sich selbst mitnehmen kann, geht es immerhin um die Selbstfindung des Herrn Mitty. Und der arbeitet nun mal seit 30 Jahren für das LIFE-Magazin in der Foto-Abteilung, sieht dort ebenfalls seit 30 Jahren aus seiner kleinen Kammer im Keller durch 9 mal 15 Zentimeter große Fenster in die weite Welt, ohne je selbst vom Fleck zu kommen und erlebt ständig mit, wie der von Freigeist getriebene Fotograf Sean O’Connell (Sean Penn) das in seinen Augen abenteuerlichste aller denkbaren Leben führt. Ein Mann, der irgendwo auf der Welt unterwegs ist, Erlebnis für Erlebnis auf Film bannt und so frei es nur geht zu sein scheint, stellt den absoluten Gegenentwurf zu Walter’s Sicht auf das eigene Dasein dar. Dass er sich im Moment seines beginnenden Wandels am Lebensmodell dieses Mannes orientiert macht Sinn (erst recht, da er ja schließlich aufbricht, um O’Connell hinterher zu reisen).
In seiner Aussage abgerundet, wird der Film jedoch erst durch die unklare Inszenierung von Walter’s Tagträumen ab Beginn der Reise. Vieles scheint arg überzogen, manches glaubt man kaum und unterm Strich bliebt bis zum Ende nie klar, wie viel auch in Island, in Afghanistan, oder sonstwo noch Imagination und wie viel real ist. Walter findet durch das Loslassen bzw. Ausklinken auf der Reise immer weiter zu sich, doch Hechtsprünge an die Kufen von Helikoptern, Kämpfe mit Haien oder die Flucht vor frisch eruptierendem Vulkan-Rauch scheinen weit näher an den vorherigen Action-Träumen, als der Realität – es lässt sich also bis an einen Punkt, an dem man zweifeln kann, ob ab der Ankunft überhaupt noch irgend etwas real ist, problemlos hinterfragen, was hiervon für bare Münze genommen werden kann. Die Antwort obliegt jedem einzelnen Zuschauer. Wäre dies nicht der Fall, könnte man den Film sogar leicht als Manifest GEGEN das Träumen auffassen: “Hör auf zu träumen. Leb!”. So hingegen, dreht sich die Aussage ins Gegenteil. WALTER MITTY honoriert die Phantasie als ständigen, notwendigen Begleiter, der uns Halt und Abwechslung geben kann und spricht lediglich eine kleine Warnung aus: “Pass auf, dass deine Träume nicht die Realität ersetzen, denn irgendwann lebst du tatsächlich nicht mehr wirklich.”
Ein rundum wunderschöner Film.
Wertung
8 von 10 Longboard Downhill-Ritten
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Kaufen (falls ihr das Amazon-Widget nicht seht, wird dies von eurem Ad-Blocker gekillt):
Da schließ ich mich Bullion an.
Siehe Antwort an ihn – für mich ist der ziemlich stimmig!
Den fand ja ausnahmsweise ich bedeutend schwächer. Er wollte mich emotional aufgrund seiner CGI-lastigen Tagträume einfach nicht packen. Da wäre weniger mehr gewesen.
Ich fand die Tagträume aufgrund ihrer Übertriebenheit anfangs nur recht ulkig. Bei weiterem Nachdenken empfinde ich sie aber vor allem als netten Seitenhieb in Richtung Blockbuster, Serien, etc. Dass Walter davon träumt genau das zu sein, was uns die Actionfilme dieser Zeit vorgaukeln. zeigt ganz schön, wie wenig er eigentlich in seinem echten Leben verhaftet ist. Das dicke Auftragen in den Sequenzen machte für mich unter dem Aspekt viel Sinn.
Das ist eine sinnvolle Erklärung, das stimmt. Dennoch haben diese Szenen verhindert, dass ich eine emotionale Bindung aufbauen konnte.