Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Rapid Eye Movies
Fakten
Jahr: 2012
Genre: Horror, Psychothriller, Metafilm
Regie: Peter Strickland
Drehbuch: Peter Strickland
Besetzung: Toby Jones, Antonio Mancino, Guido Adorni, Fatma Mohamed, Tonia Sotiropoulou, Salvatore LI Causi, Tonia Sotiropoulou, Guido Adorni
Kamera: Nicholas D. Knowland
Musik: Broadcast
Schnitt: Chris Dickens
Review
Ab und zu kommt ein Film um die Ecke, dessen Intention nicht klarer sein könnte, dessen Richtung einem Pfeil gleicht, der auf ein einzelnes, voll ausformuliertes Ziel zuzufliegen scheint, um dort voll ins Schwarze zu treffen. BERBERIAN SOUND STUDIO, der zweite Film des noch recht unbekannten britischen Regisseurs Peter Strickland, ist so ein Film – er existiert, um eine einzige liebevolle und riesengroße Huldigung einer viel zu oft übersehenen Kunst darzustellen: Dem Sounddesign!
Was wäre ein Horror- oder Slasherfilm ohne seine akustischen Effekte?
Dieses widerlich-schleimige Glitschen, wenn ein Messer ins Fleisch eindringt.
Das saugend-ekelhafte Reißen, wenn irgendetwas zerfleischt wird.
Das unheilvolle Knarzen der Dielen, das Klacken des Windes an der Scheibe, das unzuordbare Flüstern in der Ferne.
Oder auch nur die düsteren Sphären, die im Hintergrund wabern, und den dunklen, verlassenen Gängen durch die unser Protagonist sich bewegt einen maßgeblichen Teil ihrer Angst einflößenden Wirkung verleihen.
Das alles ist nicht beim Dreh durch ein Mikrofon aufgezeichnet worden, sondern nachträglich designt und hinzugefügt. Aber es ist selbstverständlich für uns, die Illusion ist meist perfekt und gerade deshalb lohnt es sich zu reflektieren, was Filme ohne diese Selbstverständlichkeit wären – nämlich nicht im Entferntesten solch ein einnehmendes Erlebnis, wie sie es durch den Sound werden. Zu dieser Reflektion fordert BERBERIAN SOUND STUDIO auf. Dazu, einmal inne zu halten und den Menschen hinter diesen Klängen den Respekt und Dank zu zollen, den sie verdienen. Den Technik-Profis, die damals in penibelster Kleinarbeit mit Tonbändern, analogen Effektschleifen, ganzen Studios voller überquellender Racks und den verrücktesten Tricks zur Klangerzeugung die Audiokulisse für unseren Grusel geschaffen haben. Oder heute am Rechner sitzen und aus dem Nichts Akustik schrauben, die uns ins Mark geht.
Gilderoy ist ein Tontechniker aus dem England der Siebziger Jahre. Eigentlich lebt er ein geordnetes, sicheres Leben mit Haus und Ehefrau – in seinem Schuppen vertont er Naturdokumentationen, erhält seine Gehalts-Cheques und ist mehr als glücklich damit. Doch aus irgendeinem Grund – warum, das weiß er nicht – ordert ihn eine italienische Firma zur Vertonung eines besonderen Filmes nach Italien. Was dem konservativen, still-unsicheren Mann als ein Film über eine Reiterin schmackhaft gemacht wurde, entpuppt sich schnell als etwas anderes – ein Giallo! Und zwar einer der ganz deftigen Sorte. Einer, der Bilder zeigt, die Gilderoy kaum auszuhalten imstande ist. Doch er ist ein Profi und beginnt sich durch die Flut aus Blut, Qual und Folter eisern durch zu kämpfen – so weit, dass seine Realität langsam ins Wanken gerät.
Der Film – BERBERIAN SOUND STUDIO, nicht der behandelte Giallo – bedient sich einer Methodik, die richtig angewandt in ihrer Wirkung geradezu unübertroffen sein kann. Einem simplen Leitmotiv:
Der wahre Horror passiert im Kopf!
Niemals sehen wir auch nur ein einziges Frame aus dem ultra brutalen italienischen Hexen-Slasher. Nicht einen Tropfen Blut bekommen wir zu Gesicht, nicht eine brutale Schandtat. Lediglich ausführlichste verbale Beschreibungen der gezeigten Szenen und den dazugehörigen Sound. Immer und immer wieder. Gilderoy’s penible Arbeit an Effekten und Klangflächen führt zu endlosen Schleifen aus Schreien, gruseligem Dröhnen und schleimig-blutigen Splatter-Vertonungen – ein ganz feinsinniger, effektiver Katalysator für die Formation der unschönsten Bilder im eigenen Kopf. Und gerade das führt zu der unumstößlichen Erkenntnis, die Strickland mit seinem Film transportieren möchte: Der Klang ist ein maßgeblicher Teil in der emotionalen Reaktion auf einen Film! Wie sonst könnte sein Film ohne auch nur einen Sekundenbruchteil des Horrors zu zeigen, eben solchen hervorrufen?
Wirklich großartig!
In einer zweiten Ebene gesellt sich zu dieser Reflektion über die Filmtechnik zudem noch ein schöner Psychothriller hinzu. Von Anfang an weiß Gilderoy nicht, an welche Art Mensch er in besagtem Tonstudio geraten ist. Zwei schweigsame Männer namens Massimo hacken inbrünstig mit Macheten auf Melonen ein, ein mürrischer Tontechniker sagt kein Wort und guckt böse wann es nur geht, die zwei schmierigen Leiter der Institution wirken, gelinde gesagt, dubios, ein wenig sogar als ob die Killer ihres Filmes auch in ihnen schlummern und die Warnung einer der Synchronsprecherin vor Santini, dem Produzenten des Films, befeuert Gilderoy’s skeptisches Unwohlsein noch weiter. Bis nach und nach seine Wahrnehmung von echter und filmischer Realität verschwimmt, sich vermischt und schließlich untrennbar verwoben ist.
Ein wirklich besonderer Film, denn nicht oft denkt man nach dem Schauen mit Überzeugung: “So etwas habe ich irgendwie noch nie gesehen!”. Klare Empfehlung!
Wertung
8 von 10 zermatschten Melonen
Weblinks
IMDB
OFDB
MOVIEPILOT
ROTTEN TOMATOES
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
2 Gedanken zu „Film: Berberian Sound Studio (2012)“