Trailer © by Sony Pictures Home Entertainment
Fakten
Jahr: 2014
Genre: Thriller
Regie: Baran bo Odar
Drehbuch: Baran bo Odar, Jantje Friese
Besetzung: Tom Schilling, Elyas M’Barek, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot Jr., Hannah Herzsprung, Stephan Kampwirth, Trine Dyrholm
Kamera: Nikolaus Summerer
Musik: Michael Kamm
Schnitt: Robert Rzesacz
Review
Der Hackerfilm – ein gefährliches Sujet, denn die Umsetzung ist in der Regel prädestiniert dafür, als wackliger Drahtseilakt mit immenser Fallhöhe zu enden. Zu viele Aspekte umfasst diese Thematik, die der Normalsterbliche Kinogänger, der wahrscheinlich seine eMails immer noch auf web.de liest und Facebook als DIE Schöpfung des Internets ansieht, nicht im Entferntesten verstehen könnte, sobald sie nur in die Nähe einer realistischen Umsetzung gerückt werden – Code-Zeilen, Darknet, etc. sind einfach viel zu weit weg von der Lebensrealität des Otto-Normalwebnutzers. Nicht dass das Kino der Schauwerte sich generell durch besonderen Realismus-Gehalt definieren würde – auch außerirdische Roboter oder glitzernde Vampire haben nichts mit dem alltäglichen Leben zu tun – doch was letztere zwei eint, ist eine überaus simple Greif- und damit eben auch Visualisierbarkeit.
In Bezug auf Coding, Hacken und Computer-Kriminalität sieht es anders aus. Schwieriger. Besagte Distanz zur Thematik ruft in Filmemachern, die tatsächlich ein Publikum über programmierende Nerds hinaus erreichen wollen, immer wieder den Zwang hervor den Zuschauern kleine Häppchen hinzuwerfen, die sie dank ungefährer Kenntnis des Geschmacks dankbar eine Weile durchkauen können – gib ihnen etwas was sie kennen, um sie bei der Stange zu halten. Doch diese Häppchen schaffen Fettnäpfchen, denn Begrifflichkeiten die zumindest die Hälfte der “Normalos” schon mal flüchtig aufgeschnappt haben, gehen in der Regel nicht über in der Tagesschau gedroppte Buzzwords wie “Anonymous”, “Cybercrime” und im besten Fall noch “DDoS-Attacke” hinaus. WHO AM I nimmt leider eine eindrucksvolle Menge diese Stolpersteine mit und schafft es selten den zwingend folgenden Fall galant abzufangen.
“Wir brauchen einen Namen, Mann. Wie ANONYMOUS oder LulzSec.”
Dazu muss gesagt werden: Ich selbst zähle mich ganz klar zu den Leuten, die von all dem wilden coden und skripten nicht den blassesten Schimmer haben. Außer zwei bis drei Dokumentationen zum Thema und dem sporadischen reinlauschen in Podcasts, die sich mit Netz-Sicherheit befassen, ist meine Bildung gleich Null. Aber TROTZDEM war ich in dieser aus dem Off kommentierten “Aufstieg-und-Fall einer Hackergruppe”-Story namens WHO AM I sehr (!) schnell an dem Punkt, nicht mehr ein einziges weiteres Wort vom gezeigten poserhaften Schlagwort-Gedresche zu kaufen. Gründe dafür gibt es viele, primär ist hier aber wohl das WIE der kompletten Umsetzung zu nennen: In seinen Motiven kratzt WHO AM I fast durchweg nur an der Klischee-beladenen Oberfläche der beackerten Subkultur. Jedes Motiv erweckt den Anschein das erstbeste zu sein, was beim Schreiben in den Kopf kam – die quietschbunten Electro-Partys, das völlige Ausrasten im ergaunerten Cabrio, die typischen Masken, wie sie seit den Anonymous-Aktionen scheinbar dazu gehören müssen. Der Film wählt, von wenigen starken eigenen Einfällen (wie der Visualisierung des Darknets in einem U-Bahn-Wagon voller Maskierter) abgesehen, immer den auf der Hand liegenden Weg zum Ziel und ermüdet dadurch weit mehr, als es die fiebrig-hyperfrequente Inszenierung eigentlich zulassen sollte.
An sich alles verkraftbar, schließlich inszeniert Regisseur und Autor Baran bo Odar den Streifen mehr als zackig in clean-technisiertem New-School-Look und lässt keine Totzeiten aufkommen, auf Drehbuch- und Figuren-Seite passt jedoch kaum etwas. Abgesehen von Tom Schilling, in dessen Psyche mächtig herum gewühlt werden soll und der genau das darstellt, als was seine Figur sich selbst bezeichnet – ein Unsichtbarer, um den sich niemand auch nur einen Deut schert – sind die drei anderen Mitglieder der sich formierenden Hacker-Gruppe CLAY (allesamt Hauptfiguren) extrem platt und dabei over-the-top angelegt. Da sind der ultra-paranoide, dickliche Misanthrop, der handsome Ladykiller, später sogar im Porsche und der vollkommene debil jauchzende Weirdo mit mächtig Aggressionspotential, der zwar völlig hohl, aber ein begnadeter Programmierer ist. Sie stellen allesamt nur schablonenhafte B-Kino-Platzhalter ohne jegliches Profil und zudem ganz sicher keine auch nur minimal glaubwürdigen Computer-Geeks dar – daraus entsteht ein schwieriger Konflikt: will sich WHO AM I in der Rezeption partiell sogar als Charakter-Drama um die Konflikte seiner Hauptfigur verstanden wissen, oder tischt bo Odar hier einen waschechten, dick auftragenden Genre-Reißer auf? Die Wahl fällt schwer: Für ersteres bleibt der Film viel zu flach, für letzteres zu verwässert – unterm Strich steht wohl der Versuch großes, Zitat-geschwängertes Genrekino zu machen, das aber durch zu viel unnötigen Ballast (die Liebesgeschichte.. Gähn!) in der B-Note doch wieder als zu klassisch Deutsch daher kommt. Wieso muss hierzulande immer und überall das (in diesem Fall außerordentlich dünne pseudo-)Drama rein gestopft werden? Reduktion auf das Wesentliche hat sich in Genrefilm meist als Pluspunkt heraus gestellt – wer also Genrekino macht, tut gut daran den Thriller auch mal Thriller sein zu lassen. WHO AM I hätte gut daran getan, denn die wenigen wirklich starken Momente hat der Film, wenn er Bilder und Score effektiv wirken lässt und genau das ist: ein Thriller über Computer-Kriminalität.
Neben diesen charakterlichen Abziehbildchen ist der Film auch noch unheimlich schwach und inspirationslos erzählt – Schillings dauernde verbale Erklärung der vergangenen Ereignisse aus dem Off wirkt eher unbeholfen als subtil lenkend und rückwirkend wie ein schmerzhafter Versuch den großen Vorbildern zu huldigen – Meisterwerke, denen WHO AM I nicht nur im Erzählstil, sondern auch durch offensives Spiel mit Twists nacheifert, von deren Klasse ihn aber ganze Übersee-Leitungen trennen. Twist im Twist im Twist – was anfangs noch positiv aufwertet (ich hab’s nicht kommen sehen), tut dann sein bestes den netten Wow-Effekt direkt wieder zu dekonstruieren. Zu viel gewollt, zu heiß serviert.
Trotz all der Kritik macht WHO AM I in seinen guten Momenten dennoch in beachtlichem Maße Spaß – bo Odar beweist ein gutes Händchen für audiovisuellen Fluss, spannend angelegte Suspense-Szenen fesseln unbestreitbar und ein gelegentlicher Drift ins trashige – besonders durch Wilke-Möhrings irre Creep-Figur – sorgt für Stimmung. Dennoch: straighter (im Sinne von z.B. DRUG WAR) wäre besser gewesen, weniger Mindgame und noch weniger Romanze hätten das ganze komplett abgerundet.
Wertung
4-5 von 10 überdeutlichen Filmzitaten
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Klingt sehr durchwachsen, da ich deutschen Genrefilmen aber auch immer recht gerne eine Chance gebe, werde ich bestimmt noch irgendwann reinschauen…
Finde ich gut, ich denke nämlich auch, man sollte dem deutschen Genrefilm unbedingt mehr Aufmerksamkeit schenken – deswegen habe ich ja auch diese Reihe mit Reviews gestartet. Und WHO AM I ist kein Totalausfall, macht sogar streckenweise echt Spaß. ich denke es hängt auch davon ab “wie man ihn sieht” – also Erwartung und Aufnahme des (in meinen Augen eben recht plakativen) “Slangs”.