Ich kann nicht nur durch die Auswahl potentiell schlechter Filme Zeit verschwenden! Hier ein kleiner Schwank aus meinem Leben
Kennt ihr das: Ihr verlasst das Haus, alles ist in normal, alles ist in Ordnung. Aber irgendwann, durch ein beliebiges Ereignis oder einen völlig unsinnigen Gedanken getriggert, kommen euch plötzlich die verschiedensten Zweifel, was ihr alles vergessen haben könntet?
Der Klassiker: “Habe ich eigentlich die Tür abgeschlossen?”. Natürlich hat man die Tür abgeschlossen, man schließt immer die Tür ab – aber dennoch ist da diese boshaft nagende Skepsis, ein völliges Abhandenkommen des Vertrauens in die Stichhaltigkeit der eigenen (Nicht-)Erinnerung. “Habe ich das Fenster zu gemacht?”. Und/oder “habe ich die Kaffee-Maschine aus gemacht?”
Bei Rauchern kann es schon schlimmer sein (kenne ich aus meiner Qualm-Zeit): “Habe ich die letzte Kippe im Aschenbecher richtig ausgedrückt? Und war wirklich keine Glut mehr drin, als ich ihn in den Mülleimer gekippt habe? Oder fackelt da bereits ein Schwelbrand in meiner Wohnung?”.
Ich bin in dieser Disziplin König! Manchmal mus ich auf der Treppe umdrehen, noch mal zurück gehen und diese… Dinge… kontrollieren. Letztens hab ich aber den Vogel abgeschossen:
Ich bin Doktorand der Chemie an einem freien Institut, allerdings aus bürokratischen Gründen an der Uni angestellt. Dort muss ich aushilfsweise gelegentlich bei Laborpraktika Studenten betreuen. So auch letzten Donnerstag. Aufgrund meines Daseins als Externer, habe ich vor Ort aber weder echte Schlüssel, noch Transponder, um die Räumlichkeiten zu betreten – leihe ich mir an den jeweiligen Terminen einfach von den KollegInnen. Der Tag lief gut, die Versuche gingen fix, ich mache also Feierabend, gebe den Schlüssel zurück und fahre nach Hause.
Abends will ich meine Sachen für den nächsten Tag packen, u. A. eine Mappe, die ich vorher an der Uni dabei hatte. Mappe nicht da. Im Labor vergessen. Und plötzlich dieser fiese Gedanke, um es in Morpheus’ Worten auszudrücken, like a splinter in my mind: “Habe ich eigentlich das Messgerät vor dem Gehen aus gemacht?”.
Es war 19.30 Uhr.
Kurze Erklärung: Es handelte sich um eine HPLC zur Trennung von Stoffen in Flüssigkeit. Dieses Gerät muss ständig mit Fließmittel befüllt/gespült sein. Nicht ausmachen bedeutet (da nur ein kleines Lösemittel-Reservoir angeschlossen war), dass nach wenigen Stunden das Gerät “trocken läuft”, die Pumpe also beginnt statt Lösemittel Luft zu ziehen. Luft in einer HPLC ist in etwa so gut wie Gift in einem Mittagessen. Naja, sagen wir mal nicht Gift, aber zumindest ein wirksames Anästhetikum, was bei Überdosis zum Dahinscheiden führen kann. Gar nicht gesund und mit Potential zur Zerstörung!
Ich sagte mir: “Klar hast du die HPLC aus gemacht, das würdest du doch nicht vergessen!?”. Und je mehr ich versuchte mir das nachmittägliche Herunterfahren der Hardware vor die inneren Augen zu rufen, umso weniger kaufte ich mir meine traurigen Selbst-Überzeugungsversuche ab. Ich konnte mich einfach nicht bildlich daran erinnern, die Aus-Schalter gedrückt und den Rechner herunter gefahren zu haben, egal wie oft ich es mir einredete. Die nicht abzustreitende Feierabendstimmung gegen Ende des Laboraufenthalts, war der Erinnerung sicherlich nicht förderlich. Wie sagt man so schön: “Hirn schon im Feierabend!”.
Ich beschloss noch mal hin zu fahren – draußen ging gerade die Welt unter – und legitimierte die Sinnhaftgkeit dieses Weges über die vergessene Mappe. Aber wie gesagt, ich habe keinen Schlüssel und es war halb acht abends. Whatsapp- und Telefonterror ging los: “Wer wohnt am nächsten dran, wer kann mir einen Trasnponder leihen?”.
Und da das im Detail zu lange wird, sage ich nur so viel zuüber das was kam: nachdem ich in der nächsten Stunde zwei Mal mit geliehenen Transpondern vor dem Labor stand, die aber genau für diesen einen Raum keine Schließberechtigung hatten, weil er offiziell zu einem anderen Arbeitskreis gehört, ich im ausgestorbenen Institut tatsächlich noch zwei Leute dieses bestimmten Arbeitskreises gefunden hatte, die netterweise mit mir zum Labor latschten, nur um heraus zu finden, dass auch sie selbst keine Berechtigung besitzen und ich mir nach verzweifelten weiteren Telefonaten aus den Tiefen eines Schreibtischs in einem Büro den geheimen Zentralschlüssel besorgt hatte, stand ich endlich im Labor. Eine Stunde lang hatten mich Luftlinie 4 Meter von der HPLC getrennt, die aber genau so steht, dass ich durch die Glastür des Labors nicht sehen konnte was Sache ist. Das Ziel zum Greifen nah, aber doch unerreichbar. Nun war ich schon so lange unterwegs, dass die geplanten 2-3 Folgen FARGO längst geschaut gewesen wären. Aber ich war endlich drin…
Drei Mal dürft ihr raten, ob das Gerät noch an war…
Ich bin mal im Dezember mit einer Kommilitonin von Jena nach Erfurt (halbe Stunde mit dem Regio) gefahren, wir wollten ins Eisstadion. Unterwegs bekam meine Begleitung Angst, sie habe zuhause den Adventskranz nicht ausgemacht. Am Stadion trafen wir einen Kumpel von ihr, der mit uns schlittern wollte, und der musste dann mit dem Auto zu ihr nach Hause fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Die Kerzen waren alle aus, keine Brandgefahr.
Uiuiui. Dann bin ich ja zum Glück nicht der einzige, der solche Schoten reißt
Oh Mann. War bestimmt aus. Eine ganz tolle Geschichte. Ich habe sie wirklich sehr gerne gelesen. Was man nicht alles macht, für das beruhigende Gefühl alles in Sicherheit zu wissen.
Richtig “geraten”, natürlich war sie aus. Manchmal macht der Kopf einfach einen dermaßenen Unfug, rückblickend denkt man nur: “meine Güte, wie konnte denn so wenig Vertrauen in die eigene Zurechnungsfähigkeit da sein?”. Freut mich aber, dass die Geschichte noch für Spaß beim lesen sorgen konnte!
Ich kenn das aber, und ich bin auch erst beruhigt wenn ich es WEISS. Quasi nach dem Motto “Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser”. Man vertraut sich selbst eben auch nicht immer.
super geschichte, ich musste sehr lachen!
du hast dieses miese gefuehl wirklich gut beschrieben.
Na dann hat der verkackte Abend immerhin noch für Erheiterung sorgen können. Es bot sich auch einfach an, diese Geschichte in die Welt hinaus zu tragen!