Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Walt Disney
Fakten
Jahr: 2016
Genre: Komödie, Utopie, Gesellschaftskritik
Regie: Byron Howard, Rich Moore, Jared Bush
Drehbuch: Jared Bush, Phil Johnston, Byron Howard, Rich Moore, Jennifer Lee
Sprecher: Ginnifer Goodwin, Jason Bateman, Idris Elba, J.K. Simmons, Jenny Slate, Octavia Spencer, Nate Torrence, Bonnie Hunt, Don Lake, Tommy Chong, Alan Tudyk
Musik: Michael Giacchino
Schnitt: Jeremy Milton, Fabienne Rawley
Review
Nick (nach einem Blick zur stellvertretenden Bürgermeisterin, dem Schaf Bellwether): “Do you think, she counts herself before sleep?“
Wäre es nicht schön, wenn wir alle einfach friedlich zusammen leben könnten? Die unterschiedlichsten Kulturen, Vertreter aller Nationen, Gesandte aus den verstecktesten Ecken der Welt gehen Tür an Tür ihrem täglichen Treiben nach, das Miteinander geprägt von Achtung, Respekt und Toleranz – ohne Hass und Vorurteile könnte das perfekte, friedvolle Utopia entstehen. Dieser seit jeher präsenten, in Anbetracht der fatalen realen Zustände höchst attraktiven Wunschvorstellung nahm sich das Kino zumeist in Form opulenter Science-Fiction-Filme an, nun jedoch abstrahierte Disney den Zustand des kunterbunten Miteinanders auf die Tierwelt und schuf ZOOTOPIA – eine quietschlebendige Welt, in der Jäger und Beute gemeinsam eine belebte Metropole besiedeln, weil das wilde, unbeherrschte Dasein der Vergangenheit angehört. Schade eigentlich nur, dass die treffende Doppeldeutigkeit des Titels durch die nicht nachvollziehbare Vermarktung als ZOOMANIA hierzulande einfach gestrichen wurde. Marketing halt.
Der Qualität des Films tut das selbstverständlich keinerlei Abbruch, denn kurz gesagt: ZOOTOPIA ist absolut fantastisch! Der technisch schier unglaublich umgesetzte Animationsfilm macht – inhaltlich wie audiovisuell – auf so vielen Ebenen absolut alles richtig, dass man gar nicht weiß, wo man mit dem Lob anfangen soll. Vielleicht am sinnvollsten damit, dass die wundervolle Utopie (die real alles andere als rund läuft, denn sobald der Faktor Tier (respektive: Mensch) dazu kommt, macht er dem perfekten Konstrukt schnell einen Strich durch die Rechnung), bei weitem nicht das einzige ist, was ZOOTOPIA an Substanz zu bieten hat. Es geht um Träume, um Selbstvertrauen und -verwirklichung, um dem Willen ein Teil von etwas zu werden, das einem konzeptuell eigentlich keinen Platz einräumt.
Die junge Häsin Judy Hopps – ein Landei aus einem verschlafenen Karotten-Farmer Städtchen – will nämlich, so erfahren wir es in Form eines knuffig aufgeführten Schul-Theaterstücks, welches uns alles wichtige über die filmische Welt erklärt (eine simple, aber effektive Exposition), von Kindesbeinen an Polizistin werden – ein rauer Job der eigentlich männlichen Muskelpaketen, also Bullen, Nashörnern und anderen Raubtieren vorbehalten ist. Und wie die Welt so tickt, erntet sie Unverständnis, Hohn und Spott für ihren Wunsch. Ein Hase als Cop? Sie solle doch lieber einen Beruf, der zu ihr passt wählen. Karotten-Farmer zum Beispiel.
Judy’s Dad: “The key to a good life is pretty simple – just forget about your dreams, settle down and everything’s fine.“
Aber Judy ist smart und will sich nicht in die Schranken weisen lassen, also geht sie an die Akademie, um irgendwann mal Ordnungshüter im weit entfernten Zootropolis zu werden – und beißt ein ums andere Mal auf Granit. ZOOTOPIA, bzw. die Heerschar an Autoren, die ihn geschrieben haben, begeht hier – und das ist die erste von vielen großartigen Aussagen, die der Film zwischen den Zeilen trifft – nicht den Fehler, uns auf’s neue vorzugaukeln, was der “American Dream“ so lang er existiert und Hollywood in tausendfacher Ausführung seit jeher an Unwahrheiten verbreiteten, sondern zeichnet ein weitaus glaubhafteres Bild: Es reicht eben NICHT etwas bloß ganz fest zu wollen, damit es geschieht. In Gegenteil: entgegen aller Erwartungen an einem Ziel festzuhalten, ist verdammt harte Arbeit, man wird immer wieder Rückschläge in Kauf nehmen müssen und die Flut an Steinen, die einem in den Weg geschmissen werden, ebbt nicht ab, bis man auch noch dem allerletzten Zweifler (und Neider) unmissverständlich klar gemacht hat, wie ernst man es meint und dass man es bringt. Und das tut Judy, macht körperliche Defizite durch Grips wett, findet immer wieder Mittel und Wege die Herausforderungen zu meistern und tritt schlussendlich (gefördert durch das Inklusions-Programm der Stadt) den Dienst in Zootropolis an.
Was den Zuschauer dort für eine detailverliebte, klug durchdachte und aufgrund der Anwesenheit sämtlicher Gattungen anthropomorphisierter Tiere absolut folgerichtig gestaltete Welt erwartet, entbehrt jeder Beschreibung – man muss es erleben – und führt ganz nebenbei vor Augen, wie einfach es sich vergleichbare Filme bis jetzt gemacht haben. Bereits die Ankunft des Zuges, welcher Judy in die Hauptstadt bringen soll, eröffnet im kleinen ein Motiv, das sich als essentieller Teil des World-Buildings durch den Film ziehen wird: er ist mit drei verschieden großen Türen (und dahinter liegend natürlich drei unterschiedlich skalierten Innenräumen) ausgestattet, um von der Maus bis zur Giraffe allen Tieren ein Maßstab-gerechtes Reisen zu ermöglichen. Ein Gedanke, der auf der Hand liegen sollte – natürlich brauchen Hasen andere Häuser als Mäuse, natürlich trampelt ein Nashorn ein Wiesel mit einem falschen Schritt zu Brei und natürlich muss dies irgendwie im Aufbau einer Metropole, die allen von ihnen ein Heim bietet, berücksichtigt werden. Deswegen gibt es, zusätzlich zu den Polar-, Regenwald- oder Wüsten-Distrikten, die es natürlich ebenso braucht, um entsprechenden Tieren einen passenden Lebensraum zu bieten, mehrfach eine Stadt in der Stadt (in der Stadt), die in völlig anderer Größe funktioniert. Die ausufernde Kreativität, mit der die Macher diese Welt erschaffen und Szene um Szene mit ganz großartigen Ideen garnieren, sorgt für einen Facettenreichtum, der sicher auch beim x-ten Besuch noch überraschende Details entdecken lässt – Smoothie-Stände mit Lift-Funktion und metergroßes Eis am Stiel sind nur die Spitze des Eisbergs. Großartig, einfach nur großartig.
Mike: “It’s called a hustle, baby!“
Und natürlich, auch da ist ZOOTOPIA weit näher an der Realität, als es ein vereinfachender Film, dessen hauptsächliche Zielgruppe wohl Kinder sind, vermuten lassen würde, läuft in diesem Schmelztiegel der Tierarten (respektive: Kulturen) das Miteinander bei weitem nicht so rund, wie schillernde Politiker es gern auf dem Papier verkaufen würden. Wo verschiedene Sozialisation zusammen kommt, sind Reibungsflächen zwangsweise vorprogrammiert, die Kunst ist jedoch diese zu überwinden. Auf eine leichte und vor allem unfassbar humorvolle Weise bricht der Film komplexe gesellschaftliche Probleme auf einen symbolischen Level herunter, ohne sie zu banalisieren, oder ihre Tragweite zu schmälern. Die Tiere haben Vorurteile, die Tiere denken in Schubladen, die Tiere rotten sich, nachdem die Dinge sich überschlagen haben, zu einem wütenden Mob zusammen, der Minderheiten ausgrenzt und abwertet. Leider, so muss man sagen, wie im wahren Leben. Was ZOOTOPIA diesem jedoch voraus hat, ist die feste Überzeugung, dass man durch Menschlichkeit, durch Toleranz und durch einen Schritt auf sein Gegenüber zu, diese Zustände hinter sich lassen kann. Analog zur Gesellschaft, die sich schnell neue Feindbilder aufbaut, entdeckt auch Judy in sich entsprechende Tendenzen und ertappt sich dabei in Fuchs Mike, mit dem die Handlung sie zunehmend zusammen schweißt, auch als sie es schon längst besser wissen sollte, noch den “gefährlichen Fuchs“ zu sehen – also nur oberflächlich WAS er ist, anstatt ihm aufgrund dessen WIE er ist ehrliches Vertrauen entgegen zu bringen. Spannungen entstehen und ZOOTOPIA schwingt sich schnell zu einem feurigen Plädoyer für Toleranz und das Ablegen von Scheuklappen auf – und ist somit aktuell in Angesicht der fürchterlichen fremdenfeindlichen Tendenzen auch ein wichtiger, vielleicht sogar notwendiger Film, der Kindern spielerisch vor Augen führt, was wirklich zählt: das Innere.
Auch wenn dies Subtexte sind, die wichtiger nicht sein könnten, klingt es fast schon ein wenig schwermütig oder überdramatisch. Ist es nicht. Absolut nicht. ZOOTOPIA lebt von den spleenig-coolen Figuren, sowie der lebendigen Welt – dass es eigentlich um die Aufklärung mysteriöser Entführungen geht, verkommt fast zur Nebensache – und macht durchweg so unglaublich viel Spaß, dass sich, während der überdrehte Abspann läuft, vom vielen Lachen fast schon eine angenehme körperliche Erschöpfung eingestellt hat. Wir alle haben den Trailer mit den langsamen “Beamten“ gesehen, doch entgegen des üblichen Etikettenschwindels ist dies keineswegs das Highlight des Films – es ist eine von unzähligen brillanten Szenen, in denen viel wahres über unsere Gesellschaft, die Medien, etc. steckt. Auf den unterschiedlichsten Ebenen, die von den reinen Charaktereigenschaften der durchweg zum knuddeln liebenswerten (und im Original von Ginnifer Goodwin, Jason Bateman, Idris Elba, J.K. Simmons und co. einfach fantastisch gesprochenen) Figuren, über wilde Slapstick-Einlagen, bis zu visuellem, aus den gelungenen Kontrasten des Settings erwachsenem Humor reichen, lässt ZOOTOPIA in enormer Taktung lauthals auflachen, beherzt kichern, oder einfach genussvoll in einem breiten Dauergrinsen verharren. Eigentlich dauerhaft. Denn gerade aus erwachsener Perspektive fällt auf, wie umfassend die Macher offenbar den Menschen in seinen Eigenheiten und Macken studiert haben, um diese Erkenntnisse in gelungene Parodien und verschrobene Motive umzusetzen. Als i-Tüpfelchen dürfen Filmfans noch eine Fülle von cineastischen Zitaten entdecken – DER PATE und BREAKING BAD sind die offensichtlichen, SPIDERMAN II oder ein augenzwinkernder Umgang mit früheren Disney-Filmen bereits etwas weniger explizit – und ZOOTOPIA wird endgültig zu einem vollkommen runden Disney-Streifen, der sich tatsächlich (endlich) mal wieder qualitativ auf die gleiche Ebene wie die großen Werke von “Subunternehmen“ PIXAR stellt. Wenn man nach einer Sneak-Preview direkt beginnt sehnsüchtigst die Tage zu zählen, bis der Film regulär anläuft, weil man ihn so dringend noch mal sehen möchte, ist das nicht weniger als ganz großes Kino.
Wertung
9 von 10 aufgeklärten Entführungen
Veröffentlichung
ZOOTOPIA läuft am 03. März 2016 unter dem Titel ZOOMANIA im Verleih von Walt Disney in den deutschen Kinos an und sollte Pflichttermin für absolut jeden sein, der jemals auch nur eine einzige Minute aus einem beliebigen Animationsfilm mochte.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Finde den Trailer super knuffig, freue mich seit bald schon 3 Monaten auf den Streifen. Schön, dass Disney mal wieder Qualität liefert, deren Filme der letzten Jahre waren schon echt mies. Bestes Beispiel ist da wohl “Frozen”, der als Intention hat “Du kannst die wahre Liebe nicht an einem Tag finden – aber innerhalb von einer Woche schon.”.
Nicht gesehen. Wird aber an anderer Stelle als tiefsinniger Film abgefeiert. Ich glaube nach dem ich diese hier und auch der neue Pixar Film extrem begeistert haben, werde ich die Frequenz in der ich Animations-Filme sehe mal wieder stark hochfahren und in dem Zuge auch die letzten Disney-Werke nachholen. Dann sprechen wir uns wieder
Tu das
Der Trailer sieht so schnuckelig aus! Denke da werde ich ins Kino spazieren.
Unbedingt Das ist so süß alles. Und bei den Film- und Serienzitaten wirst du dich Wegschmeißen!
Klingt unfassbar gut. Ich fand ja schon den Disney-Streifen “Ralph reichts” klasse und konnte selbst den Märchen-Adaptionen “Tangled” und “Frozen” etwas abgewinnen. Kommt auf die Liste!
“Klingt unfassbar gut.” – und das ist es auch! RALPH REICHT’S mochte ich auch, der hier spielt (für mich) aber nochmal in einer ganz anderen Liga! Zwar hatte RALPH auch schöne Subtexte, aber die Welt und die Figuren gefallen mir hier noch besser. Hach, diese Welt ♥ Wie abwechslungsreich und detailverliebt die gestaltet ist…
Ich glaube ich renne wirklich zum Kinostart direkt nochmal rein