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Film: The Limits Of Control (2009)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by STUDIOCANAL


Fakten
Jahr: 2009
Genre: Kunstfilm, meta-Film, Roadtrip
Regie: Jim Jarmusch
Drehbuch: Jim Jarmusch
Besetzung: Isaach De BankoléPaz de la HuertaTilda SwintonYûki KudôJohn Hurt, Gael García Bernal, Hiam Abbass, Bill Murray, Luis Tosar, Alex Descas, Jean-François Stévenin, Óscar Jaenada
Kamera: Christopher Doyle
Musik: Verschiedene Originalmusik (*)
Schnitt: Jay Rabinowitz


Review
La vida non vale nada

Jim Jarmusch zeigt mal wieder in Perfektion wie Film anders gehen kann, sich mit anderen Kunstformen trifft, mischt, verwebt, irgendwann wieder entknotet und vor Allem völlig ohne künstliche Bedeutungsschwängerung auskommt. Das meint nicht, dass THE LIMITS OF CONTROL keinerlei Bedeutung innwohnt, es existiert durchaus eine inhaltliche Parralelebene, aus der eine umfassende Interpretierbarkeit hervorgeht, es meint, dass Jarmusch nichts vortäuscht (vorzutäuschen braucht) wo tatsächlich nichts ist.

Es braucht manchmal einfach keine durchdachte, wohlkonzipierte Geschichte, keine Handlung die im Vordergrund steht, keine Fülle an Dialogen, keine Action, kein “Alles-wie-immer”-Feeling. Stattdessen reicht ein einsamer Darsteller der sich auf einer gefühlt ziellosen Reise befindet, Museen besucht, einige mehr oder weniger seltsame, inhaltlich vielleicht banale Begegnungen hat und nachts wach an die Decke starrt.

Und was ist daran jetzt toll?

Für die meisten Betrachter wohl absolut gar nichts, für mich nahezu alles. Das beginnt zum Beispiel bereits bei der Wahl der Motive, die uns von Jarmusch gezeigt werden. Und wie sie gezeigt werden. Wie vieles im Leben sehen wir täglich und nehmen es doch nicht wahr? Unsere Wege sind so sehr auf das Ziel fixiert, dass alles was am Rande liegt wie ausgeblendet scheint. Er jedoch befreit die Stadt, die Wohnung, den Blick aus dem Fenster, das Gebäude um die Ecke, die Betonfassade, den verschlafenen Platz in der spanischen Stadt, die trockene Landschaft Andalusiens und alles, was noch auf dem Weg des wortkargen Protagonisten liegt, vom dämpfenden Schleier des Alltäglichen und bringt es in eine pure Form. Alles verdient in Jarmusch’s Blick eine gewisse Aufmerksamkeit (also auch unsere), der Weg ist hier das Ziel, der Sinn liegt darin ihn wahrzunehmen und eben das wird vom Betrachter gefordert. Somit funktioniert THE LIMITS OF CONTROL als eine umfassende Reflektion der menschlichen Wahrnehmung.

The old men in my village used to say: Everything changes by the colour of the glass you see it through.

Wie empfinden wir Realität, was ist noch Oberfläche, wo beginnt der Kern? Wie verschieden ist die Wahrnehmung zweier Menschen von der selben Sache? Wo liegt die Schönheit unserer Welt verborgen? Erkennen wir sie nur in artifiziellen Werken, die von unserer Hand geschaffen sind? Ja und nein. Das Gefühl, das jede einzelne Einstellung auslösen kann (wenn man es zulässt) hat Jarmusch selbst am besten beschrieben: “Es ist mein Ziel, dass die Zuschauer solche Bilder sehen, als wären sie Gemälde. Und dass sie, wenn sie das Kino verlassen, diese Gegenstände wieder ganz anders wahrnehmen.” – und damit seine Intention präzise auf den Punkt gebracht.

Denn so ist es – jede Kameraeinstellung in diesem Film ist perfekt durchdacht und irgendwie schön, egal was genau sie zeigt. Sowohl die rohe Natur, wie auch Kunst, Architektur, Musik, oder den Menschen in seiner konzentrierten Sonderbarkeit. Und genauso wie das eigentlich Normale und Alltägliche visuell fokussiert und in ein bedeutsames Licht gerückt wird, verhält es sich mit den Zusammenkünften der Streichholzschachteln tauschenden Figuren: Allesamt sind sie irgendwie schräg, von einer Sache begeistert und in einer sie bewegenden Thematik gefangen und doch ist streng genommen nichts an ihren Monologen besonders (bis auf den Witz und die enthaltene Ironie, die subtil durchscheint). Es sind einfach alltägliche Unterhaltungen, in denen Menschen über ihre ganz eigene Sicht der Dinge sinieren. Die stetige Wiederholung verschiedener prägnanter Sätze im Verlauf des Films schließt den Kreis zurück zur Wahrnehmung.

Use your imagination, and your skills. Everything is subjective [..] reality is arbitrary.

Auch hier kann man als Betrachter zur Selbstreflektion übergehen: Was genau redet man da eigentlich alles von Morgens bis Abends in Richtung Anderer, ohne sich genauer Gedanken darüber zu machen, vielleicht (zumindest dürfte das auf eine gewisse Gattung Mensch zutreffen) ohne Inhalte überhaupt noch bewusst wahr zu nehmen? Ist man eigentlich wirklich daran interessiert, dass einem zugehört wird – auch eine wichtige Frage hinter der Intention eines Blogs wie diesem – spricht man also lediglich für sich selbst, oder auch für andere? Wie reagiert man auf kryptische, seltsame und uninteressante Monologe anderer? Will man etwas zurück bekommen und zurück geben? Will man Beduetung suchen, wo sie nicht offensichtlich zu finden ist? Und daraus resultiert so manche fortführende Frage: Sollte man dem banal erscheinenden doch eine stärkere Bedeutung zuweisen? Oder es als banal genießen und sich freuen, dass nicht immer alles tiefgründig sein muss, dass das Banale genauso ein Teil des Lebens ist und genauso Beachtung verdient (oder eben nicht)?

Ein Kernpunkt, den man immer wieder als Jarmusch’s als Ansatz heraussehen kann. Am stärksten natürlich in der losen Ansammlung, größtenteils tatsächlich banal anutender Plaudereien in COFFEE & CIGARETTES, aber auch hier sind die Unterhaltungen einfach kurze Momente des Lebens in denen Irgendwer über Irgendwas sinniert – eingebettet in wundervolle Bilder von Kameramann Christopher Doyle, die die Welt in einem ungewöhnlichen Winkel zeigen, der bis jetzt für manchen vielleicht verborgen lag.

Sometimes I like it in films, when people just sit there, not saying anything.

Ich auch, Herr Jarmusch, ich auch.


Wertung
8 von 10 dubiosen Streichhol-Schächtelchen


Veröffentlichung
THE LIMITS OF CONTROL ist bei STUDIOCANAL einzeln als BluRay und DVD, sowie als Teil der Complete Jim Jarmusch Collection erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Behind Jim Jarmusch; Untitled Landscapes. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

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