Film: The Big Lebowski (1998)


Trailer © by Universal Pictures Germany GmbH


Fakten
Jahr: 1998
Genre: Komödie, Satire
Regie: Joel Coen, Ethan Coen
Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen
Besetzung: Jeff Bridges, John Goodman, Julianne MooreSteve BuscemiDavid HuddlestonPhilip Seymour HoffmanTara ReidMark PellegrinoPeter StormareJohn Turturro
Kamera: Roger Deakins
Musik: Carter Burwell
Schnitt: Tricia CookeJoel Coen, Ethan Coen


Review
Der Dude.
Und Walter.
Und Donny.

Und Bowling. Und Uli Kunkel mit seinen deutschen Technopop-Nihilisten. Und Maude Lebowski mit ihrer Aktionskunst. Und der Cowboy. Und Brandt, der Lakai des großen Jeffrey Lebowski. Und der doppelte falsche Hase. Und White Russians. Und Jesus. Und der Besitzer der roten Corvette. Und, und, und…

Jede Figur und sei sie ein noch so kleiner Nebencharakter, jede noch so unwichtige Kulisse, jedes Wort, jeder Blick, jede Geste, jeder Song, jeder einzelne Wurf auf der Bowlingbahn – sie alle formen THE BIG LEBOWSKI zu dem was es ist: Eine eigene, in sich geschlossene, in jedem noch so kleinen Winkel mit fantastischer Detailverliebtheit gestaltete Welt, die Spaß macht, die einfängt und nicht mehr los lässt, die einen dazu bringt, auch mal die kleinen Dinge wertzuschätzen, so manches im Leben mal zu überdenken und die Dinge öfter mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Dude: “That rug really tied the room together.”

Die wüste Geschichte um den entspanntesten aller Slacker, den “Dude”, der eigentlich nur seinen Teppich ersetzt haben wollte, aber plötzlich inmitten einer erpresserischen Verschwörung erwachte, ist so facettenreich, dass ihr vollständiges Potential sich mir erst beim vermehrtem Schauen über die Jahre und sicher immer noch nicht vollends erschlossen hat. Je mehr man den relaxten Dude, den cholerischen Walter und den stillen Donny kennen lernt, umso mehr beginnt man in die Vision der Coen-Brüder hinein zu finden und immer zahlreichere, vormals unbemerkte, jedes für sich ganz köstliche Details zu entdecken, die das Gesamtbild immer besser und besser (und besser und besser und…) erscheinen lassen.

Ein Film, wie ein komplexer Cocktail aus vielen Komponenten. Du siehst zunächst, dass er bunt ist, ein Schirmchen zur Zierde trägt und beim ersten Kosten ganz großartig schmeckt. Irgendwie süß und irgendwie gut. Doch je öfter du probierst, umso mehr erschließen sich die Facetten. Feine Nuancen und versteckte Texturen. Plötzlich entdeckst du die saftige Kirsche am Stab des Schirmchens. War der Cocktail etwa so meisterlich gemixt, dass dir nicht mal die Deko aufgefallen ist? In THE BIG LEBOWSKI sind zahlreiche Geschmäcker versteckt. So viele, dass du immer neue entdecken kannst und dich wunderst dass sie dir noch nie auffielen, weil du plötzlich realisierst, dass sie ein essentieller Teil des Gesamtpakets sind.

Walter: “Has the whole world gone crazy? Am I the only one around here who gives a shit about the rules?”

Vordergründig lässt sich der Film zunächst als ulkige, verpeilte, reine Komödie rezipieren. Der Dude flucht und plappert, die Gangster pissen auf den Teppich und Walter dreht am Rad – das macht Spaß und zwar überdurchschnittlich viel. Doch da ist weit mehr als nur Humor versteckt. Gekonnt und pointiert sinnieren die Coen-Brüder eine Filmlänge lang über Beschaffenheit und Absurdität des menschlichen Daseins, flechten knackige Satire ein, aber bewahren den verständnissvollen Blick auf das wirre, alltägliche Treiben. Ohne vollends abzuheben, liefern sich reihenweise überzeichnete Figuren ein Stelldichein – der Dude stolpert zwischen aggressiven Nihilisten, einer alternativen (ultra-)Künstlerin und dem oversexten Bowling-Pedo Jesus durch die Welt. Durch seine Perspektive von außen, denn der Dude ist oft eher ein Fremdkörper, anstatt integrierter Teil dieses Kosmos, wird jedoch ganz wundervoll hervorgehoben, wie seltsam und amüsant all dieses bunte Treiben doch eigentlich ist. Und wie fordernd: Immer wieder wird der Dude durch das Leben überrumpelt und gerät mit dem Rücken an die Wand, fühlt sich durch die Erwartung “normal” zu funktionieren bedrängt, aber spielt, so gut er kann, seine Rolle in der göttlichen Komödie. Köstlich, wie er versucht etwas kluges zu sagen, sein Unverständnis für die Situation zu überspielen, oder schlicht eine Seriosität, die er nicht hat zu suggerieren.

Dude: “Sex? You mean… coitus?”

Jeder hat in unserer Welt sein Päckchen zu tragen, wir alle ringen irgendwie um Anerkennung, um Erfolg und um das Glücklichsein. Doch da ist ein einziger, der einfach nur da ist, eine gute Zeit haben will und voller Unverständnis betrachtet, wie die Welt sich um ihn dreht. THE BIG LEBOWSKI berichtet von den verschiedensten Pfaden, die die Menschen einschlagen: Der eine will hoch hinaus und allen zeigen, dass er etwas wert ist, der nächste möchte einfach nur in einem Land leben, in dem es Regeln gibt die befolgt werden und der letzte ist vollkommen zufrieden, so lange bei jedem Versuch alle 10 Pins gerissen werden. Und er nach dem Wurf mit seinen Freunden, so schräg sie und die Beziehung zu ihnen auch sein mögen, beisammen zu sitzen. Die Bowlingbahn als Anker in einer Welt, die aus dem Ruder geraten ist. Auf skurrilste Art berichtet der Film auch davon, wie wichtig echte Freundschaft ist, die stärkt und Rückhalt gibt.

Walter: “Donny, you’re out of your element!”

Jede der Figuren ist auf ihre eigene Art schräg, in sich stimmig und dabei im Kontext des Filmuniversums völlig glaubhaft. Walter, der immer nur mit dem Kopf durch die Wand will (was für reichlich Konsequenzen sorgt), den starken und lauten Typen markiert, aber eigentlich nur mit sich selbst ins Reine kommen möchte. Oder Donny – er ist im Bowling Center immer dabei, doch wird selten bemerkt, denn der Dude un Walter sind viel zu sehr mit “bekackten Amateuren”, “Chinamännern” und “der Welt des Schmerzes” beschäftigt. Doch wenn man aufmerksam auf Donny achtet, wird umso mehr klar wie großartig dieser Charakter ist und wie sehr einen gewissen Typen Mensch repräsentiert. Einen wie ihn jeder kennt, den alle unheimlich mögen, der immer dabei ist, aber in der Regel still genießt, statt laut zu lamentieren. Tipp: In sämtlichen Szenen den Fokus mal NUR auf Donny richten und durch herrliche Momente belohnt werden, die einem vormals unter dem Radar entwischt sind – was Buscemi hier für ein Spiel hinlegt ist genial..

Und so ist es nicht nur mit Walter und Donny, denn in allen Figuren und an allen Ecken gibt es Kleinigkeiten zu entdecken. In der Beziehung haben die Coens ein vielschichtiges und zeitloses Werk geschaffen. Zeitlos, weil es eine Ode an einen ist, der die Welt nicht verstanden, aber trotzdem seinen Weg gefunden hat. Der anders ist und uns in symbolischer Weise zeigt, dass das gar nicht verkehrt ist. Dass es gut ist, vieles ein bisschen entspannter zu sehen, weil abseits all der angestrengten Hektik kaum noch Raum für etwas gemütliche Zeit ist. Dass das Leben auch klappen kann, ohne einen großen Plan zu haben, denn wenn die Dinge mal völlig aus dem Ruder laufen, bleibt immer noch die Erkenntnis:

“Fuck it. Let’s go bowling”


Wertung
10 von 10 vollmundigen White Russians


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Kaufen (falls ihr nichts seht, killt euer Ad-Blocker das Amazon-Widget):

11 Gedanken zu „Film: The Big Lebowski (1998)“

  1. “[…] dem oversexten Bowling-Pedo Jesus […]”
    Sehr schön

    Ich habe mir auch schon gedacht, dass Donny der heimliche Star des Films ist. Allein, wie er immer von Walter abgekanzelt wird, wenn er nachfragt, ist so großartig.

      1. Top! Besonders das gespiegelte Bild von dem Menschen mit Umhang aus dem alten Noir und Lebowski im Wagen ist ja stark!

    1. Auf jeden Fall. Aber das besondere an der Beziehung wird ja doch erst später klar, als die Nihilisten vor der Bowlingbahn warten. Da springt Walter ja plötzlich voller Hingabe für Donny in die Bresche und beschützt ihn, was zeigt dass er ihn doch irgendwie als einen echten Freund sieht, für dene r sich einsetzt. Walter ist sowieso eine derart irre Figur

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