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Film: Schultze Gets The Blues (2003)


Titelbild, Trailer © by Paramount Home Entertainment


Fakten
Jahr: 2004
Genre: Tragikkomödie, Satire, Groteske
Regie: Michael Schorr
Drehbuch: Michael Schorr
Besetzung: Horst Krause, Harald Warmbrunn, Karl-Fred MüllerUrsula SchuchtHannelore SchubertAlozia St. Julien
Kamera: Axel Schneppat
Musik: Dirk NiemeierThomas Wittenbecher
Schnitt: Tina Hillmann


Review
Und nun? Das Haus ist eingerichtet, der Alltag grau, seit Dekaden hast du nichts als malocht und hast auch vor, das noch einige weitere Jahre zu tun – Tag ein, Tag aus, bis du auf Arbeit wegklappst, oder in den “wohlverdienten Ruhestand” gehst. Doch mal ehrlich: welche dieser zwei Varianten ist dir insgeheim eigentlich lieber? Was wartet mit dem Ende der täglichen acht Stunden Bedeutung zuhause auf dich? In deinem Umfeld? Was macht dein Leben lebenswert? Hast es einen Sinn?

Als Schultze und seine drei engsten Kumpels nach Jahrzehnten der Arbeit “auf Zeche” mit seltsamen, hochgradig unmoralischen Methoden aus ihrem Job gebotet wurden, stellen sich ihnen urplötzlich genau diese Fragen. Was nun? Wer bin ich und was will ich eigentlich? Die Antworten, die sich ihnen eröffnen, sind ist nicht gerade aufmunternd. Härter gesagt: Niederschmetternd. Tage und Wochen verbringen die drei beim Bier in der Kneipe, quatschen (wenn überhaupt mal einer den Mund aufmacht) nur belanglos-leere Phrasen vor sich hin und veröden in ihrem vermeintlich bedeutungslosen Dasein. Den einzigen Lichtblick in Schultzes Leben bilden die gelegentlichen Musikabende, in denen er auf dem Schifferklavier feinste Provinz-Polka zum Besten gibt. 

Schultze steht, ohne sich überhaupt bewusst zu sein, dass eine Entscheidung von Nöten ist, an einer wichtigen Weggabelung: Sich den Rest des Lebens antriebslos der Lethargie hingeben, mit dem Grau verschmelzen, nichts mehr vom Leben wollen und irgendwann nur noch hoffen, dass es endlich bald vorbei ist? Oder – vielleicht erstmalig im Leben – in sich horchen. Nach einem Funken suchen und diesen entflammen. Den notwendigen Wandel als Chance begreifen, aufstehen und einfach anfangen damit, sich neu zu erfinden? Auf die Suche nach der Leidenschaft gehen.

Die Selbstaufgabe, so zumindest laut der unmissverständlichen Inszenierung von Regisseur und Autor Michael Schorr, ist der einfache Weg. Der, den leider die meisten wählen, weil es schlichtweg an Gründen mangelt, aus einem eingefahrenen System auszubrechen – im “German Dream”, der Eigenheim und Arbeit als einzigen Lebenssinn formt, ist das halt schon immer so gewesen, warum also mehr wollen, wir können doch froh sein – eine Illusion, die ihren Tribut fordert. Doch dann passiert es: beim Zappen durch das Radio hört Schulze plötzlich einen Song, der etwas nie gekanntes in ihm auslöst: Feuriger amerikanischer Südstaaten-Blues – positiv, energetisch-treibend, das absolute Gegenteil zu der Realität, welche Schultzes Alltag von früh am Morgen bis 9:00 Uhr Abends definiert. Und entgegen aller Widerstände handelt er. Bricht auf (bzw. AUS) und versucht seinem Leben in diesen neuen (und vielleicht letzten) Abschnitt, welcher drohte zu einer endlosen Hölle der qualvollen Langeweile zu mutieren, doch noch einen Sinn zu geben – durch eine Reise in die USA zum Ursprung der Musik, doch im übertragenden Sinne viel mehr in sein Inneres.

SCHULTZE GETS THE BLUES, dessen wundervoll doppeldeutiger Titel wörtlich, wie auch symbolisch das Leid seines Protagonisten beschreibt, ist eine traurige Bestandsaufnahme der Zustände in der deutschen Provinz (bzw. in deutschen Köpfen) und ein symbolischer Appell daran, endlich aufzuwachen. Sich, egal aus welchen Gründen man an den Punkt des Stillstands gekommen ist, nicht hängen zu lassen. Was unserem Helden Schultze widerfährt ist ein Erlebnis, wie es viele Menschen brauchen könnten, doch aus dem er als einer von wenigen bereit ist Konsequenzen zu ziehen. Ein Weckruf, der den Schalter umlegt – und anstatt diesen einfach wirkungslos an ihm vorbeiziehen zu lassen, lauscht er, folgt dem Ruf und beschließt die Hemdsärmel noch mal hochzukrempeln, um vollkommen neu durch zu starten – zu leben!

Leben. Ein Begriff, mit dem man nur allzu sorglos um sich wirft, doch dessen Bedeutung man nur allzu oft vergisst. Was bedeutet das überhaupt? Nur da sein, ohne Ziele? Oder mehr wollen. Was macht es aus, das Leben? Schultze merkt, dass er und all die ausgebrannten Menschen um ihn herum, schon lange nicht mehr wirklich leben. Sie vegetieren vor sich hin. Sie schauen der Uhr beim ticken zu, was einem herunterzählen der restlichen Lebenszeit gleichkommt. Aber Leben? Ist es Leben, wenn es die letzte verbliebene Freude des Schaffners ist, die Fahrradfahrer an der Bahnschranke fünf Sekunden länger bis zu ihrem Öffnen schmoren zu lassen? “Du selbst bist der Schmied deines Lebens” – diese hoffnungsvolle Erkenntnis transportiert SCHULTZE GETS THE BLUES tief im Kern, jedoch ohne belehrend, oder gar anklagend daher zu kommen. Viel mehr findet er die richtigen Bilder, um Vertrauen in eine Aussage zu schaffen, an die er selbst fest glaubt, indem er zeigt, wie es gehen kann (Schultze) und wie es eben nicht geht. Denn wie gerechtfertigt ist es, an Stelle von Schultzes “Freunden”, zu jammern, “dem Schulze ginge es ja nun gut wo er weg ist”, aber selber nur stillschweigend und untätig in der Kneipe zu sitzen, ohne auch nur den kleinen Finger krumm zu machen, um die eigene Situation erträglicher zu machen?

Aus der Natur der Sache heraus, ist die erste Hälfte dieses Filmes ziemlich qualvoll zu schauen. Um die Essenz eines (bzw. mehrerer) Leben, in denen gar nichts mehr passiert einzufangen, muss man in eben dieser unerträglichen Zähigkeit des Seins verweilen. Schorr und sein Kameramann Axel Schleppat halten uns in einer Endlosschleife der Tristesse gefangen, welche, sofern man nicht wie die meisten Personen im Film schon längst (und irreversibel) abgeschaltet hat, beinahe körperliche Schmerzen bereitet, obwohl zwischen den Zeilen doch so viel über das Leben steht. Was uns der Film über die portraitierte(n) Einstellung(en) zum Leben sagen will, wird vielleicht am besten in einem absurden Moment klar, bevor Schulze sich aufmacht, um am anderen Ende des großen Teichs neue Erlebnisse zu sammeln:

Auf einem der besagten Musikabende spielt er nicht, wie vom Stammpublikum erwartet, die übliche Polka, sondern stimmt den amerikanischen Song aus dem Radio an – geht also in eine Richtung, die niemand kennt und von ihm erwartet hätte. Im Publikum Aufruhr, die eine Hälfte schreit laut auf: “Scheiß Neger-Musik!” Nach kurzem Zögern hält die andere Hälfte dagegen: “Geile Neger-Musik!” Zwei Positionen die stellvertretend für zwei Lager stehen: die einen, die die kleinste Störung im eintönigen Konstrukt ihres Lebens aus der Bahn wirft und die mit großer Gewissheit niemals auch nur mehr die kleinste Veränderung zulassen werden. Und dann die, die noch dazu bereit sind, neue Ideen an sich heran zu lassen, die noch nicht mit der Welt abgeschlossen haben, sondern den Duft des unbekannten in der Ferne schnuppern möchten. Weltsichten kollidieren.

In den seltsamen Bildern und grotesken Momenten dieses Films steckt so viel Wahrheit, dass sich aus ihr eine kaum auszuhalten Skurrilität ergibt. Man lacht viel beim Schauen. Als Schutzmechanismus, weil der Teil der Realität – unserer Realität – der hier präzise heraus filetiert wurde, so unerträglich und schmerzhaft ist, dass man ihn im Grunde nicht aushalten kann – nicht umsonst liegen die Finger in Schultzes Umfeld locker am Korken der Schnapsflasche. Doch ohne zu viel zu verraten kann Entwarnung gegeben werden – es bleibt nicht so fies. Schultzes Erweckung verläuft zwar nicht nach Plan, doch entschädigen die tragisch-schönen, immer noch höllisch skurrilen, aber im Gegensatz zu seinem vorherigem Dasein durch und durch lebendigen, tief menschlichen Erlebnisse des anstehenden Roadtrips gleich mehrfach für das lethargische Leiden zu beginn. Weil SCHULTZE GETS THE BLUES Hoffnung hat. Daran glaubt, dass es wieder bergauf gehen kann, egal wie tief man gesunken ist, weil es nie zu spät ist, nach dem (völlig individuellen) Glück zu suchen. Dass man den Berg sprengen kann unter dem man vergraben liegt.


Wertung
7-8 von 10 eingängigen Blues-Akkorden


Veröffentlichung
SCHULTZE GETS THE BLUES ist eine Produktion von Filmkombinat in Zusammenarbeit mit ZDF – Das kleine Fernsehspiel und bei Paramount Home Entertainment als DVD erschienen.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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