Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by STUDIOCANAL
Fakten
Jahr: 2013
Genre: Drama, Independent Film
Regie: Henry Alex Rubin
Drehbuch: Andrew Stern
Besetzung: Jason Bateman, Hope Davis, Jonah Bobo, Haley Ramm, Frank Grillo, Michael Nyqvist, Paula Patton, Andrea Riseborough, Alexander Skarsgård, Max Thieriot, Colin Ford, Norbert Leo Butz
Kamera: Ken Seng
Musik: Max Richter
Schnitt: Lee Percy, Kevin Tent
Review
Ein einsamer Schüler gibt zu viel preis, wird online aufs bitterste bloßgestellt und zieht extreme Konsequenzen. Eine Reporterin wittert in der Welt der (zu) jungen Webcam-Models eine große Story, aber verrennt sich fatal, gerät ins Straucheln und fällt. Ein Paar, welches mit einem schlimmen Verlust zu kämpfen hat, wird im Netz Opfer von Identitätsdiebstahl und verliert, nachdem sie sich selbst schon längst entfremdet haben, alles. DISCONNECT zeigt drei parallel erzählte Geschichten – nur lose verknüpft, aber dennoch in der Lage gemeinsam eine aussagekräftige, durch reale Ereignisse geerdete Studie über das Leben in unserer Zeit bilden.
Es ist wohl ein leichtes die Intention dahinter falsch zu verstehen, hämisch mit den Finger auf DISCONNECT zu zeigen und dem Film vorzuwerfen, er verteufle lediglich dass böse, böse Internet, welches den Menschen ja ganz offensichtlich nichts als schlechtes bringe (dass dieser Wortlaut auch durch Meinungen und Kritiken zieht ist nicht zu überhören). Klar, rein argumentativ lässt sich der Vorwurf wohl nicht vollkommen entkräften, denn die chiffrierte Sprache, in der die feinen Nuancen der vorliegenden Erzählung bis ins Letzte zu lesen sind, ist höchst subjektiv zu entschlüsseln – das mag zu verschiedenen Ergebnissen führen – doch ich bin mir sicher Regisseur Henry Alex Rubin wollte eine gänzlich andere Aussage mit diesem Werk treffen: Der Titel DISCONNECT ruft keinesfalls dazu auf, als letze Notbremse in einer (durch das Web) aus dem Ruder gelaufenen Welt die Verbindung zu den globalen Datenautobahnen zu kappen, viel mehr erzählt er von vielseitigen Schicksalen der Neuzeit – eine Zeit in der viele Menschen leider wie durch unsichtbare Wände getrennt nebeneinander her Leben und aus den verschiedensten Gründen verlernt haben, miteinander zu kommunizieren. Darum geht es. Eine Zeit in der die Verbindung abgebrochen ist, der besagte “Disconnect“ zwischen Vätern und Söhnen, entfremdeten Ehepartnern, oder gestrandeten Jugendlichen und der gesamten sie umgebenden Gesellschaft stattgefunden hat.
Warum also dieser Fokus auf Probleme, die allesamt aus einem online-Kontext erwachsen sind, wenn es doch eigentlich nur um die Menschen gehen soll? Weil es schlicht und einfach zeitgemäß ist. Das Netz ist ein Teil jedes dieser Schicksale, weil dass Netz ein relevanter bis maßgeblicher Teil (so gut wie) jedes einzelnen Lebens in einer modernisierten Welt geworden ist – die gezeigten Fälle sind keineswegs pure Fiktion, sondern höchst real. Denn: Obwohl wir es alle besser wissen sollten, gehen trotzdem ständig Menschen anonymen Betrügern auf den Leim und obwohl noch so viel davor gewarnt wird, machen Kids weltweit die behandelten Fehler, fallen auf Fake-Profile herein, schicken nackt-Selfies umher und haben sich im schlimmsten Fall ob der Konsequenzen tatsächlich schon umgebracht, weil die Dynamik von Hohn und Spott so stark wie nie zuvor ist. Die Geschwindigkeit, mit der ein falscher Schritt den Absturz bedeuten kann, hat eine neue, extrem beschleunigte Dimension erreicht. Aber DISCONNECT begeht nicht den Fehler stumpf anzuklagen, viel mehr tritt Autor Andrew Stern mit ehrlichem Interesse an die Menschen hinter diesen Schicksalen heran und ergründet die Ursachen der Probleme, anstatt den desaströsen Zustand nach dem erfolgten großen Knall anzuprangern.
Was sind die offline-Gründe, die zu Schwächen, oder oft gar lähmender Hilflosigkeit führen, welche dann im nächsten Schritt online ausgenutzt werden können, oder den Betroffenen zu blauäugiger Leichtfertigkeit verleiten? Wo zerbricht das Konstrukt Familie zwangsweise, wenn jeder aufgrund der veränderten Arbeitswelt, den gestiegenen emotionalen Anforderungen im Leben und eben auch der “immer online, immer erreichbar“-Mentalität nur noch mit sich selbst beschäftigt ist? Wo enden wir, wenn (und dass ist vielleicht die Kernfrage des Films) wir uns dauerhaft nicht mehr zuhören?
Wenn DISCONNECT in seinen stylischen, sehr gelungen die melancholische aber hoffnungsvolle Stimmung transportierenden Bildern überhaupt irgend etwas anklagt, dann die Distanz, die aus den verschiedensten Gründen in unser Leben Einzug gehalten hat. Und wenn der Film überhaupt zu irgendetwas aufruft, dann eher dazu, sich über die eigenen Prioritäten im Leben Gedanken zu machen und falls nötig auf die wirklich wertvollen Menschen im eigenen Umfeld zu re-fokussieren. “Reconnect“, so fern das noch möglich ist, denn dass man erst zu schätzen weiß was man hatte, wenn es möglicherweise für immer fort ist, muss nicht nur Jason Bateman’s Figur am eigenen Leib erfahren. Bitter, doch aus dem Schicksalsschlag kann neue Kraft erwachsen und eine gemeinsame Hürde kann wieder zusammen führen – auch um diese Wahrheit weiß Rubin’s Film.
Rein formell weiß DISCONNECT genau so stark zu überzeugen: Kamera und (der absolut wundervolle) Score (von Max Richter) bilden eine kunstvolle Einheit und das hochkarätige Ensemble kann sich sehen lassen: neben Bateman spielt eine Garde der kleineren, unterschätzten Stars mit voller Kraft auf und schält die innewohnende Tragik des Stoffes auf den Punkt hervor – das Resultat ist bewegend und trifft spätestens in der überragend inszenierten Klimax tief ins Herz. Mal traurig, oft rührend und in den aufatmenden Moment immer wieder unglaublich schön, erreicht DISCONNECT spielend das Ziel eines gelungenen Arthouse-Films: er regt zum Nachdenken an. Über die Gesellschaft, über Werte und das eigene Leben an – was will man mehr?
Wertung
8 von 10 verlorenen zwischenmenschlichen Verbindungen
Veröffentlichung
DISCONNECT ist im Juni 2014 bei STUDIOCANAL als BluRay, DVD und VoD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich Interviews mit dem Regisseur Henry-Alex Rubin und den Schauspielern Jason Bateman, Alexander Skarsgård, Paula Patton und Max Thieriot, sowie eine Trailershow. Die Discs kommen mit Wendecover.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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