Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Capelight Pictures
Fakten
Jahr: 2014
Genre: Horror, Psychologisches Drama
Regie: Jennifer Kent
Drehbuch: Jennifer Kent
Besetzung: Essie Davis, Noah Wiseman, Daniel Henshall, Barbara West
Kamera: Radek Ladczuk
Musik: Jed Kurzel
Schnitt: Simon Njoo
Review
Ein Film der spaltet: Bereits seit der letztjährigen Festival-Auswertung des BABADOOKs kassiert er in gleichem Maße Höchst- wie Niedrigst-Wertungen, wird als lahm und öde abgetan, auf anderer Seite hingegen als ein möglicher Rettungsanker des Horrors gefeiert. Horror? Auch in Bezug auf diesen Begriff ist die Zuschauerschaft sich uneinig – im Netz wird kontinuierlich gestritten, oder zumindest immer wieder diskutiert, ob es sich im Falle von DER BABADOOK tatsächlich um einen Horror-Film, oder doch eher ein psychologisches Drama handele. Seltsamerweise sind häufig genau die Filmfreunde enttäuscht, die im Vorfeld einen deftigen Horror-Schocker erwarteten. Ich frage mich jedoch, ob abgesehen von einem (anscheinend notwendigen) Label für den Film, das lediglich den Anhängern klarer Genre-Definitionen die guck-Entscheidung erleichtert, irgend etwas sinnvolles in diesem Streit heraus springt? Eine breite Basis für weit gehaltvolleren Austausch bietet DER BABADOOK nämlich auf vielseitiger anderer Ebene, formell wie inhaltlich – Diskussionen zum Film sollten sich daher eher um die Substanz drehen, anstatt sich in Phrasendrescherei und Labeling zu verlieren.
Selten in den letzten Jahren hat nämlich ein Film, ich sage jetzt einfach mal “dieser Gattung“, so stark über die direkte und offensichtliche Wirkung hinaus, als Allegorie auf die zerrüttelte Beziehung, die Sorgen, sowie die lang gewachsenen Ängste seiner Figuren funktioniert. In diesem Fall sind es eine alleinerziehende Mutter und ihr schwieriger, verhaltensauffälliger Sohn von sechs Jahren. Sie wirkt unglücklich und scheint enorm überfordert mit der Erziehung, ja generell ihrem Leben zu sein, er baut seltsame Waffen, um sich und seine Mutter gehen hypothetische Feinde zu verteidigen, träumt jede Nacht schlecht und wirkt emotional verloren.
Nun kann man DER BABADOOK natürlich ganz einfach als die beliebige Grusel-Geschichte eines verängstigten Jungens verstehen, der Nachts von obskuren Figuren aus seinen Kinderbüchern heimgesucht wird. Funktioniert auch. Irgendwie zumindest, obwohl Freunde von zermürbender Genre-Kost ja offensichtlich die ein oder andere Schock-Sekunde vermissen. Aber ein derartiges nieder Bügeln der (eigentlichen) Qualitäten, wäre erstens recht ignorant und würde den Film zweitens vollkommenen zu Unrecht darauf reduzierten “nur“ ein enorm stilsicherer Genrefilm zu sein. Tatsächlich jedoch ist DER BABADOOK weit mehr als das und hat auf besagter Abstraktionsebene einiges zu bieten. Eigentlich geht es hier weder um Spukhaus-Phänomene im klassischen Sinne, noch um Effekthascherei durch billige Jump-Scares – was Jennifer Kent mit ihrem Debutfilm erzielen will, ist eine psychologische Momentaufnahme zum Zeitpunkt eines psychischen Zusammenbruchs und der daraus resultierenden familiären Eskalation zu liefern: Die Mutter Amelia durchlebte zermürbende Jahre der Zerrissenheit zwischen Liebe und Hass. Jahre in denen der Drang zur Flucht aus dem eigenen Leben ebenso groß war, wie das Bedürfnis darin zu verharren. Jahre mit einem Sohn, den sie ebenso sehr braucht, wie sie ihn für das Entgleiten ihrer Situation verantwortlich macht. Diese Kontraste erzeugen unvorstellbare Spannungen, diese Spannungen führen zum Knall.
Die Figuren im Film werden nicht von Geistern, Monstern oder ähnlich paranormalem heimgesucht, sondern von der dunklen Seite, die vielleicht in jedem Menschen schlummert und nur darauf wartet in einem Moment der absoluten Schwäche und Verletzlichkeit auszubrechen, also zielgenau den Punkt abzupassen, an dem der letzte Tropfen das Fass zum überlaufen bringt. In DER BABADOOK ist dieser finale Tropfen die Suspendierung des kleinen Samuel aus der Schule – einer von vielen Ausfällen des Jungen, doch in der Wirkung fatal, denn all die Geduld und Selbstbeherrschung, die Amelia seit seiner Geburt übte (die Gründe dafür erfahren wir spät) scheint nun wirkungslos zu sein. “If it’s in a word, or if it’s in a look, you can’t get rid of the Babadook” – und in Amelia’s Blicken ist nun etwas schlimmes, das vorher noch nicht darin lag. Ein kleines, unberechenbares Quäntchen bösartiger Energie, in dessen Konsequenz sich langsam der Babadook manifestiert – als Abbild, als Symbol und als ausführende Instanz dieses lenkenden, hypnotisierenden Wahns. Die Gründe für dieses Durchbrennen der Sicherungen, macht Kent in ihrem Film unglaublich deutlich, hat Verständnis anstatt zu verurteilen und forscht zu einem gewissen Grad sogar nach Ursachen, anstatt sich mit der Wirkung zufrieden zu geben.
Um die obigen Konflikte nun doch mit aufzunehmen: Besagte Frage ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten – und soll es auch nicht sein. DER BABADOOK ist ganz sicher AUCH, aber eben weit MEHR als ein Horrorfilm. Wenn auch audiovisuell in selten erlebter, einiges an Suspense erzeugender Brillanz inszeniert – bewusst und zielgerichtet wird über Farbgebung erzählt, der Schnitt sorgt auf eigenwillige Art für Tempo und in Verbindung mit dem fantastischen Einsatz von Klang erweckte der Film bei mir auf meisterhafte Weise exakt die erwünschten creepy Grusel-Gefühle – geht der Gehalt noch meilenweit darüber hinaus. Jennifer Kent erzählt von der Unfähigkeit los zu lassen, von irrationalen Anfeindungen und Schuldzuweisungen und von einer Mutter die schlicht die Kraft verloren hat, nicht mehr kann und aus ihrer Überforderung heraus den Verstand zu verlieren droht. Es ist die Leichtigkeit, mit der (die symbolische) Boshaftigkeit uns in Momenten der Schwäche verführt, die den Figuren hier zum Verhängnis zu werden droht. Implizit vermittelt der Film also mehr über den Menschen als manch reines Drama und ist somit vielleicht das beste psychologische Horror-Familiendrama (so Internet, nun hast du dein Label) seit David Lynch’s ERASERHEAD. Ganz stark.
Wertung
8-9 von 10 unangenehmen Schattenspielen
Veröffentlichung
DER BABADOOK erscheint am 18. September 2015 bei Capelight als schickes 2-Disc Collector’s Edition Mediabook (mit 24-seitigem Booklet), als BluRay Steelbook, auf DVD und VoD. Die BluRay enthalten im Bonusmaterial: Making-ofs “Die Geheimnisse des Babadook” und “Die Albträume des Babadook”, Kurzfilm “Monster” Interviews mit Regisseurin Jennifer Kent und Hauptdarstellerin Essie Davies, Featurettes: “Die Special Effects”, “Das Set-Design”, “Die Entstehung des Buches” und Kinotrailer. Auf der DVD fehlen die Featurettes und das Interview mit Jennifer Kent.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Klingt toll. Steht auch noch auf meinem Programm. Dann zum Horroctober 2016…
Für mich mit das Beste, was ich seit langem auf dem Gebiet sehen durfte! Besonders stark ist die Farbgebung – bereits durch Setdesign und Kleidung werden eine Stimmungen erschaffen und Figuren charakterisiert..