Trailer © by Clipper Entertainment (Edel) / Laser Paradise / Starlight Film / ’84 Entertainment
Fakten
Jahr: 1994
Genre: Horror, Schwarze Komödie, Groteske
Regie: Michele Soavi
Drehbuch: Gianni Romoli, Tiziano Sclavi (Vorlage)
Besetzung: Rupert Everett, François Hadji-Lazaro, Anna Falchi, Anton Alexander, Barbara Cupisti
Kamera: Mauro Marchetti
Musik: Riccardo Biseo, Manuel De Sica
Schnitt: Franco Fraticelli
Es ist wieder so weit: der #horrorctober hat gerufen. Was das ist und was das soll erfahrt ihr auf dieser Info-Seite (die auch alle Links zu meinen Filmbesprechungen im Rahmen des “Events” enthält). Wer alles mitmacht, kann man auf dieser Info-Seite der CineCouch nachlesen. Also haut die Zombies weg, packt die Kettensäge aus und lasst euch nicht mit frechen Geistern ein – fröhliches Gruseln!
Review
Der Mond taucht die Welt in kaltes Licht, eine Grille zirrpt, die Erde bebt – Nachts geht es rund auf Francesco’s Friedhof. Sieben Tage lang geben die Verstorbenen Ruhe, dann wird sich ausgebuddelt, dann gefressen – und zwar keinen Brokkoli. Dem Berufsbild des Bestatters fügt das eine gänzlich neue Ebene bei, denn wer zusätzlich zur Aufgabe, die Leichen tagsüber unter die Erde zu bringen, weit mehr damit beschäftigt ist, sie nächtens vom wieder auferstehen abzuhalten, hat a) definitiv das Kleingedruckte im Arbeitsvertrag überlesen und b) die seltene Möglichkeit anhand von Bewegt-Zielen exorbitante Fähigkeiten an der Schusswaffe zu erlangen – die grunzende Meute lässt sich nämlich ausschließlich durch ein gezieltes Loch in der Rübe aufhalten. Oder beliebige andere, den Schädel in Mitleidenschaft ziehende Splatter-Manöver.
Creepy oder gar gruselig ist das ganze nie, eher abgedreht-ulkig (was auf’s Konto des gut aufgelegten Rupert Everett geht) und ab und an sogar ein wenig tragisch (woran gebrochene Herzen schuld sind). Von Motorrad-Punk-Zombies und unbescholtenen Bürgern mal abgesehen, haben Francesco und sein wortkarg-schüchterner Assistent Gnaghi es nämlich auch mit bezaubernden Damen zu tun und finden schnell die große Liebe – leider weilen die zwei verführerischen Schönheiten nur die wenigste Zeit unter den Lebenden, was gelinde gesagt, in eine moralische Zwickmühle führt. Die Einsamkeit zwingt sie halt und wie schnell aus den großen Gefühlen für nicht mehr schlagende Herzen ein elementarer Handlungs-Konflikt entsteht, dürfte klar sein. Sehr morbide ist das schon, glücklicherweise jedoch ebenso schwarzhumorig umgesetzt.
Nachdem Regisseur Michele Soavi uns spitzbübisch grinsend eine ganze Weile lang eine Absurdität nach der nächsten um die Ohren gehauen hat, steht irgendwann die Frage im Raum, wer hier eigentlich schräger ist? Nach Gedärm und Sex dürstende Untote, oder doch die ach so normalen Menschen? Feinste Humor-Spitzen, die reichlich Seitenhiebe (zum Beispiel auf die völlig chaotische Bürokratie in italienischen Ämtern) austeilen, lassen an der Antwort leichte Zweifel aufkommen. Die Meute auf dem Dorfplatz ähnelt einem sabbernd-dümmlichen Brei, auf hübsche Frauen wird gekotzt – also wer ist hier hirntot?
Francesco ist sich nicht mehr sicher und so driftet DELLAMORTE DELLAMORE in Themen und Stimmung zunehmend in bizarre, bis sich nach und nach eine bildgewaltig-psychotischer Blick in den Kopf der Hauptfigur formt. Warum nur die Toten erneut töten, wenn es mit den Lebenden doch so viel mehr Spaß machen könnte? Warum der einen Verstorbenen nach trauern, wenn ihre Doppelgängerinnen doch die halbe Stadt bevölkern? Warum das Weite suchen, wenn Entkommen doch eh unmöglich ist?
Weil Soavi nicht nur speziell das Horror-Genre, sondern anscheinend auch Film im Ganzen tiefgehend verstanden hat, ist die Betrachtung von DELLAMORTE DELLAMORE ein wahrer Hochgenuss: Nicht nur, dass wundervoll mit den alt-etablierten Spuk-Klischees gespielt wird – der Mond erstrahlt in unheilvoller Pracht, mystische Nebelschwaben durchwabern den Friedhof, blinkende Lichter tanzen – auch weiß der Film inszenatorisch exakt die richtigen Hebel zu betätigen. In schrägen Kamerawinkeln und einem phänomenalen Gespür für Form und Bewegung, serviert und Soavi am laufenden Band Einstellungen, die in Gemälde-Form Wände zieren könnten, spielt mit Slow-Motions und unkonventionellen Blenden und lässt Kameramann Mauro Marchetti in bizarren Tänzen die Protagonisten umkreisen. Wenn Bilder selbst in VHS-Rip-Qualität noch Verzückung hervorrufen, wurde alles richtig gemacht. So geht Kino.
Wertung
8 von 10 Schädel-spaltenden Spaten-Hieben
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Ja, den mag ich auch. Sehr morbide und doch humorvolle Atmosphäre. Auch sehr erotisch und abgefahren. Kann definitiv was – und die Besetzung ist auch der Hammer!
Ja, es passt einfach im ganzen das Zusammenspiel von Bild, Ton, Stimmung und Pacing. Schlichtweg toll inszeniert. Werde mal versuchen von dem Regisseur noch mehr zu sehen. Kennst du da was?
Nein, kenne ich nicht. Meine große Horror-Experimental-Welle ist aber auch schon seit ein paar Jahren vorbei…
Okay. Sonst ein paar Empfehlungen in die Richtung? Bin recht unbewandert, wenn man bei dem Genre mal an der Oberfläche kratzt!
Geheimtipps habe ich auch nicht; hatte damals eher die bekannten Genreklassiker durchgearbeitet: die Romeros, Raimis, Peter Jackson-Frühwerke usw.
Die sind mir auch größtenteils geläufig
Ich habe mir diesen Film vor einiger Zeit schon einmal angesehen und hatte damals eigentlich auf etwas gehofft, was einem Horrorfilm ähnlicher sein würde. Stattdessen war das teilweise derart absurd komisch, weil ich einfach nicht vorhersagen konnte, worauf sich die Handlung eigentlich hinbewegt. Heute bin ich hingegen neugierig, weil ich nach mehrmaligen Nachdenken den Eindruck habe, dass der Film durchaus interessante Subtexte haben könnte trotz seines Lynch-ähnlichen Aufbaus. Zudem wüsste ich dann auch einfach, worauf ich mich gefasst machen muss. Das war bei Micheal Soavis STAGE FRIGHT ja nicht anders, den ich heutzutage sehr schätze.
Wie dem auch sei, schöne Kritik zu einem definitiv ungewöhnlichem Film.
Recht hast du, ein “konventioneller” Horrorfilm ist das ganz sicher nicht. Die Subtexte habe ich jetzt ins Review gar nicht so wirklich aufgenommen, aber drin steckt da sogar einiges – das geht bei den psychologischen Auswirkungen von Einsamkeit los und endet individueller Realitäts-Wahrnehmung. Gönn dir den ruhig mal – jetzt weißt du ja, wie abgedreht er ist