Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Rapid Eye Movies
Fakten
Jahr: 2010
Genre: Psychothriller, Splatter, Drama, Gesellschaftskritik
Regie: Sion Sono
Drehbuch: Sion Sono, Yoshiki Takahashi
Besetzung: Mitsuru Fukikoshi, Denden, Asuka Kurosawa, Megumi Kagurazaka, Hikari Kajiwara, Tetsu Watanabe, Tarô Suwa
Kamera: Shinya Kimura
Musik: Tomohide Harada
Schnitt: Jun’ichi Itô
Review
Alle Regler auf Anschlag.
Gaspedal durchtreten.
Kesseldruck kurz vor Explosion.
Einsteigen, wir verlassen jetzt den Bahnhof.
Von 0 auf 100 in Sekundenbruchteilen.
Letzte Warnung. Einsteigen die Türen schließen selbst…
RUMMS!
Filmemacher Shion Sono steigt nicht in selbsttätig schließende Türen, sondern reisst sie wild kreischend aus den Angeln, verprügelt damit alle umstehenden Passanten, wirft mit Wasserbomben voll Wahnsinn um sich und stoppt den Zug per Dynamit, um den gesamten Bahnhof in ein rauchendes Loch zu verwandeln. Wobei… Dynamit ist vielleicht etwas zu konventionell. Eher eine von ihm, speziell zur Auslöschung alles Normalen designte ABC-Bombe: Qualm, Panik, Hysterie. KrZZ-BrscH-KKZZZZZZ (Geräusch von einer wild auf der Schallplatte hin und her kratzenden Nadel denken) – Overkill!
Alles in COLD FISH ist too much.
Way over the top.
Völlig durch.
Toppt den stattlichen Irrsin des voran gegangenen Meisterwerks LOVE EXPOSURE um Längen.
Das geht beim Acting los – Fischverkäufer/Psychokiller Murata, dem sein Leben irgendwann über den Kopf wächst, was ihn zu drastischen Maßnahmen greifen lässt, schreit. Immer. Alles was aus seinem Munde kommt. Er lacht wahnsinnig und brüllt was das Zeug hält. Jede Anweisung, jeden Witz, jedes beiläufige Wort. Seine Frau Aiko schreit zwar etwas weniger, erinnert aber vom Madness-Faktor ungefähr an “Baby” aus HOUSE OF 1000 CORPSES. Quietschig gackernd, besessen von was-wissen-wir-schon und mit großer Freude an tiefroten Körperflüssigkeiten.
Und so geht es weiter, jede Figur in COLD FISH wirkt wie eine Karrikatur. Wovon, wird zumindest nicht auf Anhieb klar, vielleicht aber auch nie. Vielleicht eine Karrikatur der Karrikatur einer einzelnen menschlichen Eigenschaft? Mal ist es der Wahnsinn, mal der Hass, mal die Selbstaufgabe? Funktionieren tut es, trotz Verständnis-Barrieren, in diesem Gesamtbild aus zynischer Verspottung des Mensch-seins allerdings sehr wohl. Ähnlich überbordend darf man sich die Gewalt (und was Sono uns neben ihr noch so präsentiert) vorstellen. Rumgeschmadder beim Filetieren der unerwünschten, unsichtbar gemachten Personen, wilder Sex im Gedärmebad, zum Entspannen aber erst einmal ‘nen Kaffee. Dann Knochen verbrennen und Muskelfleisch verfüttern. Wozu das alles dient?
Schwere Frage und um zum Kern von COLD FISH vorzudringen, tut ein wenig Abstand ganz gut. Bleibt nach der Sichtung ein unmittelbares Gefühl der ratlosen Verstörtheit zurück, so formen sich nach und nach die ersten Gedanken: Geht es hier tatsächlich (nur) um den Schwächling, der vor dem Leben kuscht und schlussendlich, nachdem er ewig lang nur kassiert hat, den Psychopathen in sich entdeckt? Eigentlich nicht und doch in gewisser Weise schon – aber eben anders, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es ist nicht sein wahres Ich, welches unser Protagonist, Fischverkäufer Syamoto, ganz plötzlich in sich entdeckt. Sono will uns nicht sagen: “In jedem steckt ein Psychopath”. Nein, es ist das Endprodukt seiner jahrelangen Unterwürfigkeit, welches ihn zu etwas werden lässt, das er nie sein wollte, nie erahnt hätte überhaupt sein zu können. Wenn man so will sehen wir hier CARRIE in Japan. Ein extremer Mobbing-Fall mit unerwartet explosivem Ausgang. Angst vor dem Leben wird zur Todessehnsucht. Explosion bei zu hohem Druck von Außen. Plötzlich verachtet er was er einst liebte und läuft wortwörtlich Amok. Kein Gefühl mehr da, alles verbraucht, der unsichere, liebende Mann ist zur ausgebranten Hülle geworden. Und die Moral daraus will Sono uns mitgeben: Sei du selbst, sonst wird es ein böses Ende mit dir nehmen. Lass dich nicht unterdrücken, sonst geht dein Ich verloren.
Vielleicht ist all dies, auch die überbordende Gewalt, die gezeigte Unterdrückung, die sexuellen Dominanz, die plakativen Stereotypen der Figuren, eine Parabel auf die japanische Gesellschaft und ihre tief innewohnenden Verhaltens- und Höflichkeits-Rituale, die uns Europäern so fern und fremd ist, dass sie zu verstehen gar unmöglich erscheint. Doch auch ohne diesen (eventuell notwendigen) Blickwinkel, steckt in COLD FISH (neben der reinen Freude für das Abgedrehte) weit mehr über den Menschen – dich und mich – als es auf Anhieb erscheint und weit mehr als ein bloßes Gewaltfest, das fragwürdige Moral vermittelt.
Wertung
7 von 10 verzweifelten Gedärm-Schlachten
Veröffentlichung
COLD FISH ist bei Rapid Eye Movies als DVD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Making-of & Kinotrailer. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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Ein Gedanke zu „Film: Cold Fish – Tsumetai Nettaigyo (2010)“