Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Constantin Film
Fakten
Jahr: 2015
Genre: Western, Horror, Drama
Regie: S. Craig Zahler
Drehbuch: S. Craig Zahler
Besetzung: Kurt Russell, Patrick Wilson, Matthew Fox, Richard Jenkins, Lili Simmons, Evan Jonigkeit, David Arquette, Sid Haig
Kamera: Benji Bakshi
Musik: Jeff Herriott, S. Craig Zahler
Schnitt: Greg D’Auria, Fred Raskin
Review
Welche sind die wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation? Was haben wir an Erkenntnissen gewonnen und Mechanismen entwickelt, die uns davon abhalten wie Wilde aufeinander los zu gehen und uns die Köpfe einzuschlagen? In die Tiefe ergründet der kleine, in Deutschland aus unerfindlichen Gründen nicht in die Kinos gebrachte, Genre-Kracher BONE TOMAHAWK diese Fragen zwar nicht wirklich, doch führt er in seiner drastisch-überzeichneten Art eindrucksvoll vor Augen, mit welchem Grad an Verrohung der Verlust (bzw. das fehlende Erlangen) von Zivilisation einher gehen kann.
In einem kleinen, deftigen Prolog, in dem durchgeschnitten Kehlen noch nicht mal das brutalste sind, erfahren wir zunächst, dass irgendwo tief in der Prärie, verschanzt zwischen den schützenden Hängen des Gebirges, ein Stamm degenerierter Wilder haust, dessen Gewalt-Potential und Kompromisslosigkeit gen unendlich streben. Kurz, knapp und effektiv funktioniert diese Einführung, denn sofort hat Autor und Regisseur S. Craig Zahler in seinem Regiedebut (!) eine immenses Gefühl der Bedrohung geschaffen – wer auch immer es in den nächsten zwei Stunden mit diesen Freaks zu tun bekommen wird, hat ein schweres Los gezogen. Neben der Frage, wieso der großartige Sid Haig (mal wieder) nur wenige Minuten auf dem Schirm zu sehen war, verbleiben leichte Zweifel, ob Colts und Gewehre ausreichen werden, um gegen diesen animalischen Feind zu bestehen – wir werden die Antwort erfahren.
Durch eine ungünstige Verkettung von Zufällen trägt es sich zu, dass ein Großteil des fantastischen Ensembles – Kurt Russel als Sheriff des Dorfes mit seinem trotteligen Ersatz-Deputy Richard Jenkins im Gepäck, Womanizer und Edelmann Matthew Fox, sowie ein durch Beinbruch gehandicapter Patrick Wilson – sich in Eile auf einen Ritt von mehreren Tagen begeben muss, um Wilson’s Frau, sowie den eigentlichen Deputy, aus der vermeintlichen Gefangenschaft der brutalen Höhlenmenschen zu befreien. Es folgt eine Reise, die sich sowohl über große Bilder, als auch starkes Schauspiel definiert: Mit Menschen eines völlig anderen Schlages im selben Boot zu sitzen, ist keine leichte, oftmals sogar eine kaum auszuhaltende Aufgabe und so erhitzen sich in diesem ungleiche zusammengesetzten Dreieck aus dem moralisch gefestigten Sheriff, dem arroganten Playboy und dem verzweifeltem Ehemann schnell die Reibungsflächen – verbales Gerangel, Handgreiflichkeiten, Unmut sind an der Tagesordnung – nur um im ungünstigsten Moment in Flammen aufzugehen.
Obwohl die Gruppe sich auf der anstrengenden Tour durch den Staub der Prärie mit Pferde-Dieben, undurchsichtigen Banditen und sonstigen üblichen Western-Problemen herumplagen muss, ist es doch besagte Figuren-Dynamik, die BONE TOMAHAWK dominiert – starke, prägnant geschriebene Charaktere, deren wuchtige Präsenz und verschiedene Vorstellung von Recht und Moral aufeinander prallen. Wie sehr unterscheidet sich die Mentalität eines gebildeten Herren von jener der degenerierten Berg-Bewohner, wenn er nächtens blindlings auf alles schießt, was sich ihm auf mehr aus zehn Meter Abstand nähert – und erst danach Fragen stellt? Wie viel Respekt bringt man einer Person entgegen, die mit arroganter Verachtung auf ihre Mitmenschen herab schaut, aber im Ernstfall doch ihr Leben für sie riskiert? Ein Haufen Fragen, die aus dem Subtext des dauerhaft von einer beklemmend fatalistischen Grundstimmung überschatteten Films erwachsen, jedoch insgesamt nur einer von vielen Aspekten.
In seinem Verlauf schließt BONE TOMAHAWK nämlich eine gelungene Ellipse und kommt spätestens im letzten Drittel wieder am Anfang an – das Resultat soll nicht unerwähnt bleiben, bedeutet dies schließlich dass sich der zuvor noch durch Kammerspiel-artiges Drama definierende Western (dessen engen Raum die verlorene Weite des Landes darstellt) nun plötzlich in waschechte Horror-Gefilde verirrt. In ihren krassesten Spitzen verlangen die Terror-durchfluteten Bilder dem Zuschauer einiges ab, denn auch explizite Darstellung verstörender Grausamkeiten spart Zahler nicht aus – glücklicherweise um die zuvor angedeuteten Fragen zu Menschlichkeit, Moral und Zivilisation noch extremer in den Raum zu werfen. Hart und fordernd ist all dies dennoch, so dass die Genre-Perle vor allem mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge zurück lässt. In Summe liegt also ein starkes, exzellent besetztes Stil-Hybrid vor, dass zu Recht auf Festivals gefeiert wurde – bleibt eigentlich nur die Frage offen, warum uns der Genuss dieser mitreißenden Bilder auf der Leinwand verwährt wurde? Für letztere “ausgereicht” hätten sie allemal!
Wertung
7-8 von 10 offenen Splitterbrüchen
Veröffentlichung
BONE TOMAHAWK ist bei Constantin Film als BluRay und DVD erschienen.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Langsam wird mir das unheimlich: kaum weist mich mein jüngerer Bruder auf diesen Film hin (, von dem ich bis dato nichts gehört hatte), schreibst du dazu eine Kritik – und findest ihn wohl ähnlich gut, wie mein Bruder (habe die Kritik nur überflogen, für den Fall, dass ich ihn mir auch noch anschauen werde). Ich fände das ja extrem spannend, wenn du und mein Bruder mal aufeinander treffen würdet!
Das arrangieren wir irgendwann mal Dein Bruder ist aber nicht zufällig “hurzfilm”?
Nein! Mein Bruder kommentiert bei mir als scoresandsongs (http://scoresandsongs.wordpress.com/ ) und ist freiberuflicher Musiker (z. B.: Your Careless Spark https://www.facebook.com/yourcarelessspark/ ; Wrongkong http://www.wrongkong.de/ ).
Problem an Genrehybriden, die das Horrorkino miteinschließen ist leider immer, dass sie für die dicken Kinos zu inkommensurabel und für Programmkinos zu sehr nach Effekthascherei (was Horrorkino als Wirkungskino per definitonem ja auch ist) aussehen. Dass man Effekt und Anspruch hier auch genial zusammenbringen kann, wagen nur die wenigsten zu denken.
Dann bleibt nur der Weg zu speziellen Festivals.
Immerhin ist der Film im zensierwütigen Deutschland wohl trotz harter Gewalt uncut zu haben.
Sehr schade, aber klingt plausibel. Da alles in der kino-Auswertung in Schubladen gedacht wird, fallen Filme wie dieser untern Tisch. Passten halt nirgendwo rein. Nach UNDER THE SKIN und PREDESTINATION für mich aber dennoch der nächste große DTV-“Skandal”.