Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Warner
Fakten
Jahr: 2015
Genre: Sportfilm, Drama
Regie: Ryan Coogler
Drehbuch: Ryan Coogler, Aaron Covington
Besetzung: Michael B. Jordan, Sylvester Stallone, Tessa Thompson, Phylicia Rashad, Andre Ward, Tony Bellew, Ritchie Coster, Graham McTavish, Ricardo McGill
Kamera: Maryse Alberti
Musik: Ludwig Göransson
Schnitt: Claudia Castello, Michael P. Shawver
Review
Los Angeles 1998, Erziehungsanstalt: Eine Sirene heult los, die Wärter setzen sich in Bewegung, im Speisesahl fetzen sich die ausschließlich afro-amerikanischen Jungs. Keine milde Rauferei, kein harmloses Gerangel, im Gegenteil, harte, brutale Schläge, deren Wucht die Kino-Sessel erschüttert. Schnell wird der verantwortliche Querulant in “Einzelhaft“ genommen und von einer netten Dame besucht. Seinen verstorbenen Vater habe sie gekannt, sei sogar mit ihm verheiratet gewesen und wolle den Jungen nun adoptieren. Verblüfft und immer noch ein wenig feindselig schaut er sie an – wie denn der Name seines Vaters gewesen sei?
Schwarzblende.
Texttafel.
CREED!
Ohne wirklich ausgeprägte nostalgische Gefühle für die ROCKY-Saga zu hegen, herrschte in Bezug auf deren jüngsten Ableger CREED eine milde Form der Leidenschaftslosigkeit vor. Wirkliche Vorfreude? Nein. Ablehnung? Ebenso wenig. Ehrlich gesagt hatte ich den Film (wie auch die vorherigen sechs Boxer-Dramen) so wenig auf dem Schirm, dass mir den gesamten (in der Einleitung zitierten) Prolog über, nicht mal die zündende Idee kam, jetzt wahrscheinlich der neusten Challenge im cineastischen Boxring beizuwohnen. Kein Interesse und doch hatte mich CREED mehr oder weniger sofort – an der Filmgattung kann es nicht gelegen haben.
Denn Boxfilme, Sportlerdramen, was ist das überhaupt? Was zeichnet dieses “Genre“ aus und sorgt für die stetig bleibende Beliebtheit? Vielleicht ist es das nie an Reiz verlierende Märchen des Underdogs, der sich gegen alle Zweifel durchsetzt und großes erreicht? Vielleicht die selten einfacher aufgehende Gleichung von “Wille + harte Arbeit = Erfolg“? Wahrscheinlich von allem etwas – im Kern visualisieren diese Filme einen universellen Traum, meist als “der amerikanische“ bezeichnet: Die Möglichkeit zu schaffen was man will, völlig fernab jeglicher Vorzeichen, wenn denn bloß der persönliche Einsatz stimmt und man selbst über sich hinaus wächst. Klares Statement, zu finden am Ende der meisten Sport-Epen, demnach bedient sich der Weg den diese beschreiten um besagtes Ziel erreichen, ebenso häufig einer durch und durch etablierten Formelhaftigkeit. Konvention über Konvention, alles schon gesehen. CREED bildet da keine Ausnahme und doch weiß Regisseur und (mit-)Autor Ryan Coogler seine Kernthemen, die trotz des Herunterbrechens auf ein simpel konsumierbares Gewandt tief menschlich und im Keim in jedem von uns zu finden sind, mit dem nötigen Fingerspitzengefühl unters Volk zu bringen. In tollem Erzähltempo und tonal perfekt auf einem schmalen Grat zwischen der Simplizität des 80er-Kinos und der (nicht immer geglückten) nachdenklichen Mehrbödigkeit modernerer Werke austariert, lernen wir Adonis kennen, seine Träume und die selbst auferlegte Last auf seinen Schultern.
Entgegen der üblichen Klischees, hätte dieser “Held” nie anfangen müssen, im Boxring die Fäuste zu schwingen. Nachdem er die unterkühlte Welt der Jugendanstalten hinter sich lassen durfte, war kein herauskämpfen aus niederen sozialen Schichten mehr nötig, er blickte auf keine Vergangenheit mehr zurück, die den Kampfsport als notwendiges Ventil benötigte – Don hätte (ganz im Sinne seiner Mutter) einen sicheres, gänzlich normales Leben führen können. Ohne Gefahr, ohne Qual, mit Bürojob, Krawatte und keinerlei Konflikten. Doch der Kämpfer, der bereits mit zehn Jahren die anderen Jungs auf die Matte schickte, ist trotz Villa in ihm geblieben. Etwas brennt dort, ein loderndes Feuer, dass keine Ruhe gibt und den Namen seines Vaters, des großen Apollo Creeds, als Vermächtnis sieht, dem es gerecht zu werden gilt. Doch wie geht das? Das Erbe “des besten aller Zeiten” fortführen? In Don’s Augen nur, indem er ebenfalls “der beste” wird, jedoch auf eigene Faust, ohne den Namen, ohne die Schublade die dieser unvermeidlich aufmacht. Ein essentielles Thema, das dem oft durchexerzierten Kampf an die Spitze eine schöne Note beifügt: beurteilt werden für das, und einzig das, was man tut, nicht für ein Label das man zu sein scheint – sicher aus Sicht des afroamerikanischen Regisseurs Coogler ein gewollter Subtext, drehte er doch bereits mit seinem Debut FRUITVALE STATION einen Film gegen rassistische Wilkür und vorschnelle Verurteilung.
So weit so gut. Was funktioniert denn aber nun an CREED so besonders, wenn doch eigentlich, mit kleinen Ausreißern, alles daran recht gewöhnlich ist? Es ist extrem schwer, sich dessen bewusst zu werden, denn selten hat ein Film nach Schema F mich so enorm mitgerissen. Coogler’s Inszenierung weiß durchweg die richtigen Töne zu treffen, kombiniert den dreckigen Philly-Charme der alten Filme mit dem Leben im 21. Jahrhundert und schafft so ein lebendiges Hybrid als Setting, das atmet und brüllt. Konträre Welten treffen aufeinander, doch ihre Verbindung funktioniert, wenn abgeranzte Gyms in Problemvierteln mit der high-End Optik des 21. Jahrhunderts kollidieren und auf den Hinterrädern der Dirtbike-Crews auf Reise gehen. Als hätte es immer zusammen gehört, jagt Don in einer Szene Hühner, fotografiert in der nächsten (zur Verwunderung des alten Rocky Balboas) den frisch erstellten Trainingsplan auf dem Smartphone und schaut abends auf dem Tablet Boxkampf-Livestreams. Selbst der Score meistert die Balance zwischen klassisch-orchestraler Reminiszenz an die Ursprünge und zeitgenössischen Electronica-Beats – das Resultat ist immer auch von einer gewissen Melancholie durchzogen: Leben beginnen, Leben enden. Zeit ist vergangen. Gesichter kamen und gingen, einige scheiterten, andere schafften es, doch egal wohin die Welt auch strebte, eines blieb, weil es universell ist – der Traum es schaffen zu können. Und das positive dieses Traums, die Hoffnung die aus ihm entwächst, zaubert CREED fühlbar, bewegend, in allen Formen und Farben zwei Stunden lang auf die Leinwand.
Der Film hat so viel Power wie Herz und bewerkstelligt immer wieder die schier unmögliche Aufgabe, trotz eines hochmodernen Settings pure, klassische Kino-Magie zu versprühen. Ein Werk das einlädt dem Eskapismus zu fröhnen, seine Figuren ins Herz zu schließen und mit ihnen, voll in die Welt der Gyms und Läufe eingetaucht, eine Reise anzutreten. Sowohl den alten Rocky Balboa, der so müde scheint, so sehr den Sinn des Lebens aus den Augen verloren hat, wie auch den hitzköpfigen Adonis und die selbstbewusste Musikerin Bianca. Zu all ihnen wird echte Nähe aufgebaut, weil Kamerafrau Maryse Alberti sie auf organische Weise einfängt, immer auf Tuchfühlung geht, manchmal fast zu nah dran ist und so den Blick in ihr Innerstes erlaubt. Bilder, die von einer ungeahnten Intimität getragen sind, ja beinahe das Gefühl erzeugen, die Emotionen direkt lesen zu können. Der feine, wenig aufdringliche Humor rundet diese persönliche Note endgültig ab. Und verdammt, diese Trainings-Montagen… In seinen dichtesten Momenten zaubert CREED in schnellen Schnittfolgen die reine Energie und eine tiefe Liebe für den Sport auf die Leinwand, steckt an, will am liebsten direkt loslaufen lassen, um sich selbst und das Leben zu spüren – der beeindruckende “die Welt gehört mir”-Moment, in dem Don erstmalig erfährt, wenn es ist wenn die Leute hinter ihm stehen, reicht zwar nicht an das erklimmen der Stufen 1976 heran, weiß aber dennoch für Gänsehaut von Kopf bis Fuß zu sorgen. An anderer Stelle gestattet Coogler uns lange, sehr lange, am Stück Teil des Geschehens zu sein, nutzt lange Plansequenzen, inszeniert sogar Adonis ersten Kampf vom Betreten des Rings bis zum beendenden Gong ohne Schnitt und überträgt die fiebrige Anspannung seines Protagonisten eins zu eins. Das packt und reißt vollkommen mit.
Nach üblichen Maßstäben könnte man CREED ganz sicher zu Teilen demontieren, “Fehler” finden und ihn als belanglos in die Schublade seiner Mitsreiter einsortieren – “Nichts neues”, “alles schon gesehen”, “öde”. Da ist es schwer gegen zu argumentieren, denn Figuren-Motivation, ihre Glaubhaftigkeit, etc. sind immer vollkommen subjektiv. Fakt ist jedoch, dass ein maßgeblicher Punkt mir hier so rund wie selten erschien: die Wirkung. Wenn häufig geschmunzelt, um den Protagonisten gebangt und ein ums andere mal intensiv mitgefiebert, das Schicksal eines Sylvester Stallone als bewegend empfunden und nach dem Film die pure Glückseligkeit verspürt wurde, wird alles andere sekundär. Dafür braucht es etwas mehr als formelle Kompetenz, etwas was nicht kalkulier- oder meßbar ist: ein Fünkchen Kino-Magie – CREED hat sie.
Wertung
8 von 10 packenden Oneshot-Kämpfen
Veröffentlichung
CREED läuft ab dem 14. Januar 2016 im Verleih von Warner in den deutschen Kinos.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Gehe heute Abend rein, durch deinen Text bin ich optimistisch gestimmt und die Oscar-Nominierung für Stallone macht mich jetzt schon glücklich
Top. Ich fand ihn super. Versuch mal dich einfach einlullen zu lassen und “den Vibe zu fühlen“
Interessant, eigentlich meide ich FIlme über Boxer ja, gerade weil oft dieselbe Geschichte immer und immer wieder durchgekaut wird. Das klingt aber echt klasse!
Es ist ja auch wieder die selbe Geschichte, nur dass eben feinste Details variiert wurden. Insgesamt merkt man das Herz im Film.
Nice! Auf den freue ich mich richtig. Schön dass der allgemeine Tenor genau deiner Meinung entspricht. Hätte ich anfangs nicht gedacht.
Ach, ist das so? Hab bis jetzt nur etwas auf MP rum geklickt und dort schwanken die Meinungen ziemlich zwischen Top und Mittelmaß…
Viel Spaß!
Ich habe noch nie einen “Rocky” (und auch keinen “Rambo”) gesehen. So viele filmische Lücken.