Film: A Most Wanted Man (2014)


Trailer © by Universum Film GmbH


Fakten
Jahr: 2014
Genre: Thriller, Agentenfilm
Regie: Anton Corbijn
Drehbuch: Andrew Bovell, John Le Carré
Besetzung: Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Willem Dafoe, Grigoriy Dobrygin, Nina Hoss, Daniel Brühl, Rainer Bock, Robin Wright, Herbert Grönemeyer, Martin Wuttke
Kamera: Benoît Delhomme
Musik: Herbert Grönemeyer
Schnitt: Claire Simpson


Review
Standbild.
Eine Kaimauer in Großaufnahme.
Ruhig und unablässig schwappt das Wasser des Hamburger Hafenbeckens auf und ab.
Unheilvoll setzt ein dunkler orchestraler Score ein, während ein Mann aus dem Wasser heraufsteigt.

Bereits in diesen ersten Einstellungen aus A MOST WANTED MAN signalisiert Anton Corbijn klar, welche Linie sein dritter Spielfilm einschlagen wird: Die nächsten zwei Stunden werden langsam, werden grau und werden kalt. Das transportieren wenige Bilder, die gänzlich nonverbal eine große Wirkung erzeugen. So etwas wird im Laufe des Films kein Einzelfall bleiben – Corbijn lässt durchweg keine Zweifel aufkommen, dass er nach 40 Jahren voller Fotografie und Filmregie eine genaue Vorstellung von der Macht des Bildes hat. Genaugenommen sitzt jeder Schuss. Jede Einstellung zum Einrahmen und Bestaunen. Die Kamera (geführt nicht von Corbijn selbst, sondern Benoît Delhomme) weiß was sie tut, weil Corbijn auf visueller Ebene genau weiß was er will. In diesem Fall das Bild einer dunklen, abgründigen, hoffnungslosen Realität zeichnen. Von Dingen berichten, die uns sonst verborgen bleiben.

Wir erfahren, dass der anfangs aus dem Hafenbecken gekletterte Mann ein Tschetschene ist – vor Folter geflohen aus der Heimat, jetzt auf der Suche nach einem Neuanfang. Und wir lernen eine Gruppe Ermittler eines nicht weiter benannten Geheimdienstes kennen, für die eine weitere Seite von besagtem Herrn Issa Karpov noch viel interessanter ist: Er ist Anhänger des Islams und verfügt offenbar über ein riesiges Geldvermögen, eingelagert bei einer Hamburger Bank. “You know how it is since September 11th”, sagt Philip Seymour Hoffman als Günther Bachmann später zu einer Kollegin, bzw. Rivalin vom C.I.A. und auch wir wissen wie es seit dem 11. September ist – Anhänger des Islams stehen unter Generalverdacht und werden sehr schnell und sehr gründlich unter Beobachtung gestellt. So ergeht es auch Kappov, der für Bachmann jedoch nur eine Stufe auf der Leiter zu einem größeren Fisch darstellt. Es entspinnt sich langsam ein komplexes Geflecht aus konkurrierenden Nachrichtendiensten, die Kappov als Spielball hin und her schubsen, nur eine Anwältin einer Hilfsorganisation plädiert für Menschenrechte und versucht Kappov Schutz zu geben.

A MOST WANTED MAN erzählt uns viel. Über den besagten Generalverdacht, der Moslems schnell zu Islamisten werden lässt, über die unlauteren Methoden der penibel agierenden Agenten und vor allem auch über die moralische Grenze, die diese immer wieder und vor allem immer weiter überschreiten, um ihre Ziele zu erreichen. Immer mit der Rechtfertigung des großen Ganzen, immer mit dem Ziel “to make the world a safer place”. Aber glauben die Agenten sich selbst diese Phrasen noch? Oder sind die Geheimdienste auch schon zu Institutionen geworden, die liefern müssen? Deren Quartalszahlen stimmen müssen, und die deshalb jedes legale wie illegale Mittel nutzen – belangt werden können sie ja eh kaum, eine Strafversetzung, wie auch Bachmann sie erfahren hat, ist vielleicht schon die schlimmste Strafe, die ein Einsatzleiter erfahren kann wenn die Dinge aus dem Ruder laufen. Insofern ist A MOST WANTED MAN in 2014, ein Jahr nach NSA-Skandalen, etc. klar der richtige Film zur richtigen Zeit. Was tun die da und wie tun sie es? Eine Frage, der zunächst ex-Agent John LeCarré in seiner Buchvorlage und nun Anton Corbijn filmisch nachgehen.

Bei all dieser inhaltlichen Substanz und visuellen Brillanz, kommt Corbijn leider auf einem ebenso wichtigen Terrain leicht ins Schleudern: dem mitreißenden Vermitteln seiner Geschichte. Denn einen offensichtlichen Plot mit Entwicklung, Höhepunkten und Finale hat A MOST WANTED MAN eben auch – dessen Darreichung gelingt Corbijn aber leider nur äußerst sperrig. Natürlich muss man sich bereits aufgrund des Autors der Vorlage darüber klar werden, dass der Film daran interessiert ist kleinteilige, mühsame Geheimdienstarbeit möglichst realistisch darzustellen, nicht Helden, Action, etc. zu servieren. Aber eine langsame und visuelle Erzählweise, muss nicht unbedingt sperrig, ja fast dröge sein – das ginge auch anders. Die fehlende Zugänglichkeit hat hier (zumindest für mich) zwei klare Gründe: Gemessen an der tatsächlichen Handlung, nimmt sich Corbijn einfach zu viel Zeit, um zu vermitteln was er will. Kurz gesagt, es zieht sich teilweise sehr. Weil Figuren mehr schweigen als zu sprechen, weil kleinen Dingen großer Raum eingeräumt wird und schlussendlich auch, weil Corbijn sich oft und lange in seinen kunstvollen Aufnahmen suhlt. Zwar schaffen die entsättigten Bilder von Hamburgs heruntergekommensten Ecken (wer die Stadt nicht kennt, muss sie nach Sichtung dieses Films für einen ganz üblen Schmutzfleck auf der Karte halten) in Verbindung mit dem geradezu beklemmenden, absolut großartigen Score aus Herbert Grönemeyers Feder von Minute eins an eine vollkommen hoffnungslose Atmosphäre – doch der Inhalt des Films hält mit dieser pessimistischen Dunkelheit (so früh noch) gar nicht mit. Im Resultat entsteht das Gefühl, A MOST WANTED MAN baue Stimmungen auf, denen er selbst nur schwer gerecht werden kann.

Ein weiteres, noch gravierenderes Problem liegt jedoch auf Drehbuchseite, präzise gesagt bei Charakterzeichnung und Dialogen. Alles in diesem Film ist auf ultra-Realismus hin entwickelt, doch immer wieder bahnen sich Aufschreie des Zweifels aus den Tiefen der Rezeptions-Stimmbänder ihren Weg nach oben. Einer der präsentesten Gedanken beim Schauen war wohl: “So redet doch niemand in Wirklichkeit, egal ob Agent, Bänker, Staatsmann.”. Ständig Momente, die völlig aus dem Charakterbild fallen. Oder Figuren, die gar keines Entwickeln, beispielsweise Tommy Brue, der Bänker der Karpov sein Vermögen auszahlen soll und ständig zwischen Selbstsicherheit, wilder Verzweiflung, Ruhe und Jähzorn hin und her springt. Es entsteht kein Gefühl für ihn und auch nicht wirklich für die meisten anderen Figuren. Es tut mir weh das zu sagen, denn sein Werk hat mich bis jetzt fast ausnahmslos begeistert, sein Tod mich wie noch keine vergleichbare Meldung sonst getroffen und ich hätte mir so sehr gewünscht nochmal einen Wahnsinns-Performance zum Abschluss erleben zu können, aber selbst Hoffman wirkt streckenweise, als ob beim Dreh völlig neben sich gestanden hätte. In der finalen Besprechung mit dem gesamten Politikstab dem er Rechenschaft schuldig ist, schon fast teilnahmslos und weggetreten. Mir scheint es, als könne Corbijn zwar meisterhaft Bilder kreieren, aber nicht zwingend auch Schauspieler dirigieren – einzig Rachel McAdams überzeugt hier vollkommen und ohne Abstriche.

Ich schreibe so viel, weil ich wirklich große Hoffnungen in den Stoff, die Beteiligten und die Umsetzung hatte. Es hätte noch mal etwas ganz großes werden können, mit dem Hoffman uns allen noch einmal ein riesiges Ausrufezeichen hinterlassen hätte. Geworden ist es nun ein Werk, was mir wegen ihm, also dem Fakt dass es sein letzter echter Film ist, zwar persönlich wichtig ist, aber (leider, leider, leider) Welten vom Meisterwerk entfernt ist. Mit ganz viel Wohlwollen und guter Absicht ist A MOST WANTED MAN für mich oberes Mittelmaß. Vielleicht lerne ich ihn ja mit der Zeit noch mehr zu schätzen, vielleicht zu lieben. Versuchen werde ich es. Fürs erste bleibt nur folgendes auf ewig ins Gedächtnis gebrannt: Einen einzigen Moment der unglaublichen, kaum auszuhaltenden Intensität hat der Film mir beschert. Wir sind am Ende angekommen. Bachmann ist zerstört und völlig niedergeschlagen, er fährt mit dem Auto vom Ort des Geschehens weg, flieht geradezu – die Kamera bleibt starr auf ihn gerichtet. Er kommt an, dreht den Schlüssel und sitzt noch kurz, um sich zu sammeln am Steuer des Wagens, atmet durch, geht in sich. Dann steigt er aus, schließt die Tür und geht langsam aus dem Sichtfeld der Kamera, hinein in die Unschärfe, hinaus aus der Leinwand. Doch in diesem Moment ist es nicht mehr Bachmann, der aus dem Bild geht, es ist Hoffman, der die Bühne verlässt – für immer. Der Vorhang fällt. Die Credits beginnen. Ende. Bye Philip. Eine Träne läuft die Wange hinab.


Wertung
6 von 10 abgehörten Appartements


Weblinks
IMDB
OFDB
MOVIEPILOT
ROTTEN TOMATOES
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

4 Gedanken zu „Film: A Most Wanted Man (2014)“

  1. Es ist nicht generell so, dass diese Art von Film mich nicht packen kann – irgendwie aber immer wenn Le Carré verfilmt wird. Bezüglich der Intention meinerseits liegst du natürlich richtig, ich bin mir voll bewusst, dass das hier kein Bourne-Film ist und ganz andere Schwerpunkte gelegt werden. Das schätze ich sogar, denn eigentlich liegt hier eine Form der Kritik vor, die ich voll teilen würde, weil ich diesem ganzen Geheimdienst-Machtapparat extrem kritisch gegenüberstehe und es schätze dass hier triste und menschenverachtende Realität gezeichnet wird. Ich verstehe es selber nicht, warum ich den so wenig mochte. Vielelicht war es einfach mal wieder der falsche Tag.. Wird in einer Zweitsichting auf jeden Fall geprüft (will ich seit zwei jahren auch schon mit TINKER TAYLOR SOLDIER SPY machen). Vielleicht sprechen wir uns dann ja noch mal

  2. Wir hatten uns ja schon unter meiner Kritik über den Film unterhalten. Durch deine Beschreibungen und Erläuterungen deiner Kritikpunkte wird mir auch durchaus klar, warum der Film dich nicht so sehr mitreißen konnte wie mich.
    Auch wenn ich es so nicht herauslese und wahrscheinlich auch nicht von dir so intendiert ist: Dieser Film lebt durch seine langsame Erzählung, Helden soll es in diesem Universum des Films überhaupt nicht geben, weil es eben in der pessimistischen Sicht auf die Arbeit der Geheimdienste keine Helden gibt. Hier wird gefeilscht, betrogen, gehandelt und das Recht gebogen, bis ein Ergebnis am Ende steht. Diese Fatalität, kulminierend in der Verzweiflung der Figur Günther Bachmann, hat mich enorm gefesselt, da sie die gesamte Handlung einnimmt und immer weiter fortführt.
    Hoffman habe ich ebenfalls in deutlich besserer Erinnerung behalten in seiner Performance, muss aber ehrlich gestehen, dass mein genaues Gedächtnis doch etwas nachlässt. Ganz im Gegenteil zu den Bildern, die jedes für sich genommen schon Kunstwerke ergeben. Wunderbar fotografiert, wie man ja gerne bei Filmen sagt – hier passt wohl kein Ausdruck besser.

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