Trailer © by Constantin Film
Fakten
Jahr: 2010
Genre: Vampirfilm, Horror
Regie: Dennis Gansel
Drehbuch: Dennis Gansel, Jan Berger
Besetzung: Karoline Herfurth, Nina Hoss, Jennifer Ulrich, Anna Fischer, Max Riemelt, Arved Birnbaum, Steffi Kühnert
Kamera: Torsten Breuer
Musik: Heiko Maile
Schnitt: Ueli Christen
Review
Vor wenigen Wochen habe ich den deutschen 2011er Film MASKS gesehen und bin direkt in Begeisterungsrufe und fanatischen Applaus verfallen. Nicht weil Andreas Marschall mit diesem Film alles bisher Gesehene in den Schatten gestellt hätte (sein schnörkelloser Slasher ist zweifelsohne gut, aber eben auch “nur” gut), viel mehr weil in mir eine verloren geglaubte Hoffnung für die deutsche Kinolandschaft aufkeimte: Der Genrefilm aus unseren Landen schien plötzlich (wieder?) eine Möglichkeit für Filmemacher zu sein. Deutsches Kino – das ist doch eigentlich entweder Beziehungskomödie, oder Bewältigung der eigenen Vergangenheit (egal ob RAF/Stasi/NS) und im schlimmsten Fall alberner Bully Herbig- und Otto Waalkes-Klamauk. Von der banalen Vorabend-Treppenlift Unterhaltung nicht zu reden.
Aber Genrefilme?
Lineare Actionkracher , knallharte Thriller, düsterer Horror, technisierte Science-Fiction (mit Raumschiffen, blinkenden Lichtern, düsteren Gängen und dauerhaftem Dröhnen?)..
Funktioniert das? Ein Instinkt sagt nein, doch die Realität belehrt eines Besseren. Es funktioniert sogar sehr, denn nach MASKS kam mir nun WIR SIND DIE NACHT vor die Linse und untermauert meine wackelige These mit einem notwendigen zweiten Standbein: Es gibt Hoffnung!
Zuvor mit DIE WELLE (zu Recht) auch zu internationaler Bekanntheit gelangt, schnappt sich Regisseur (und Autor) Dennis Gansel einen, leider durch die Entwicklungen der letzten Jahre aktuell als Projektionsfläche pubertierender Hormonausbrüche verschrienen Grundstein des Horrorkinos – den Vampirfilm – entwirft eine stilsichere Abwandlung der Materie und macht dabei (fast) alles richtig!
Bereits optisch überzeugt der 2010er Film direkt: Düstere Schauplätze, klare Kamerafahrten, angenehme Schnittfrequenz. Als Schauplatz darf hier mal wieder die deutsche Vorzeigekulisse Berlin agieren. Sicher nicht die schlechteste Entscheidung, denn durch präzise Wahl der Schauplätze und harmonisches Zusammenspiel mit Kameramann Thorsten Breuer entwickelt die Kulisse eine imposante Eigendynamik – nichts wirkt wie im Hinterhof nebenan gefilmt! Auch wenn das Colourgrading ab und an ein wenig zu sehr aufgedreht wurde – das Alltägliche besonders aussehen zu lassen, ist eine Leistung an der viele deutsche Produktionen bis jetzt gescheitert sind, aber Gansel (und Breuer) gelingt es.
Auch ein weiteres Kunststück meistert der Regisseur: die Gratwanderung zwischen angemessener Übertriebenheit und aufkeimender Lächerlichkeit gelingt ohne merkliches Straucheln – ein Fuß wird sicher vor den anderen gesetzt, von Anfang bis ins Ziel. Nicht wenige Horrorfilme der Vergangenheit – und zwar nicht nur deutsche – beförderten sich selbst durch unfreiwillige Komik und vollkommen platte Figuren ins Aus, doch das ganze Szenario in WIR SIND DIE NACHT ist glücklicherweise im Sinne der Inszenierung optimal ausbalanciert: Die drei bzw. vier blutsaugenden Ladies (allesamt toll, weil grundverschieden gespielt) könnten simpler nicht gestaltet sein – kurze Exposition und jeder versteht wer hier wie tickt – eine simple Herangehensweise und nicht gerade tiefgründiges Writing, aber sehr filmisch vermittelt und im Auftrag der Erzählung effektiv. Funktioniert und unterhält – auch wenn das überdrehte Raver-Bunny und ihr tief-depressives, immer in schwarz gekleidetes Analogon natürlich maßlos überzeichnet sind. Sollen sie auch, denn WIR SIND DIE NACHT ist nicht um tiefgehende Thematik und tonnenschwere Last bemüht, sondern webt klare Vernetzungen zwischen den “eineinhalb-dimensionalen” Hauptfiguren und spielt mit der entstehenden Dynamik.
Dynamik. Das Wort ist in Verbindung mit den kurzen, enorm knackigen Actionszenen des Films ein absolutes Muss. Auch eine lange Suche nach Vergleichen bleibt erfolglos: kinetischer wurden in einem deutschen Film wohl selten die hilflosen Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos an die Wände geklatscht, oder fiese Zuhälter durch den Raum geschmissen – inszenatorisch überaus gelungen. Auch die anfängliche fußläufige Verfolgungsjagd steckt TATORT und Co. in die Tasche – wann immer Bewegung im Spiel ist, spielt der Film einen weiteren Trumpf aus.
Und inhaltlich?
Stark umgesetzte Genrekost, die weit von den 08/15-Motiven der Kollegen entfernt ist: In WIR SIND DIE NACHT gibt es Vampire nämlich nur noch in weiblicher Form – Lebefrauen die es sich jede Nacht aufs Neue gut gehen lassen. Männliche Vampire gibt es nicht mehr, denn die Männer waren “zu gierig” und “zu dumm”. Ersteres geht als netter Seitenhieb auf Bank-Manager und wahnsinnige Staatschefs durch, letzteres ist vielleicht ein bisschen zu weit gegriffen. Dennoch: Trotz Holzhammer dreht WIR SIND DIE NACHT angenehm konsequent Konventionen um.
Alles in allem ein wirklich guter Film (mit einer noch viel besseren Karoline Herfurth in der Hauptrolle) ohne unnötige Romantisierung, dafür mit überdrehtem Hedonismus und prasselnder Action gespickt! Mehr davon in Deutschland… Bitte!
Wertung
8 von 10 Gender-getwisteten Vampir-Sagen
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
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