Trailer © by Netflix.com
Fakten
Jahr: 2015
Genre: Drama, Thriller
Showrunner: Glenn Kessler, Todd A. Kessler, Daniel Zelman
Crew (Writer, Director, Cinematographer, Editor): IMDb-Übersicht
Besetzung: Kyle Chandler, Ben Mendelsohn, Linda Cardellini, Norbert Leo Butz, Sam Shepard, Sissy Spacek, Chloë Sevigny, Jamie McShane, Enrique Murciano
Musik: Tony Morales & Edward Rogers
Review
Man sagt Blut sei dicker als Wasser – doch wie viel Wahrheit steckt in dieser Behauptung?
Die Netflix-Original Serie BLOODLINE von SOPRANOS-(mit-)Autor Todd A. Kessler stellt verwandschaftliche Banden zunächst indiskutabel über alles: Familie hält zusammen und ist das höchste Gut, man beschützt sich, hilft sich und steht sich IMMER zur Seite – das ist so und das bleibt so. “We are not bad people” eröffnet John Rayburn’s Stimme aus dem Off die erste Episode und der Clan, dem er entstammt und den wir zum Serien-Einstieg auf einer großen, festlichen Familien-Zusammenführung kennen lernen, hat sich dieses Selbstbild auf die Fahnen geschrieben – sie glauben daran. Diese Menschen haben Werte, sie stehen für etwas und tragen offenkundig eine reine Weste – der typische, wohlhabende, makellose Heile-Welt-Clan. Doch je mehr Zeit verstreicht, desto mehr kristallisiert sich eines heraus: Es ist nicht alles Gold was glänzt. Die malerische Kulisse der Florida Keys und die freundlich-sommerlichen Leinen-Anzüge der Rayburns täuschen. Auch sie haben Geheimnisse.
In BLOODLINE geht es um den (vor allem emotional) verlorenen Sohn Danny, dessen seltsam-verschrobene Art mit eben diesen zu tun zu haben scheint. Er ist dieser Typ Mensch, der schon immer etwa schwierig war, dessen Eskapaden man nie so recht Herr wurde und der deshalb schon seit seiner Jugend eine latente Gefahr für den Ruf der Hoteliers-Familie darstellte – Ben Mendelsohn spielt ihn mit vollster Hingabe und es ist keine bessere Besetzung für das ewige schwarze Schaf vorstellbar. Der Kaputte, der den Exzess in Drogen suchte, beruflich nie Fuß fasste und lange im Großstadt-Dschungel verschollen schien, ist nun zurück – unerwartet taucht er auf besagter Familienfeier auf, von misstrauischen Blicken verfolgt und den Geschwistern gerade so geduldet. Nach wenigen zwischenmenschlichen Momenten ist klar: niemand vertraut ihm mehr, niemand glaubt an seinen geäußerten Willen zur Besserung und hinter vorgehaltener Hand wird bereits getuschelt – in spätestens ein paar Tagen sei er sowieso schon wieder weg. Wenig Verständnis, wenig Toleranz. Im Folgenden geht es um den Kampf nach Anerkennung eines einsamen Mannes, der sie aus unbekannten Gründen verloren hat.
Doch was hat ihn zu dem was er ist gemacht? Reine Fügung? Sicher nicht – keine Wirkung ohne Ursache und je mehr die Rayburns ins Visier genommen werden, umso mehr scheint sich ein dunkler, geheimnisvoller Fleck aus der Vergangenheit seinen Weg ans Licht zu bahnen. Danny’s undurchsichtiges Auftreten bekommt einen beklemmenden Beigeschmack, der Verdacht, dass er vor hat eben dieses wohl gehütete Geheimnis zu enttarnen, verhärtet sich – leider auch die Gewissheit, dass die Familie nicht zögern wird ihn mit allen Mitteln daran zu hindern. Dabei nutzen Kessler und die Co-Autoren einen Trick, der Thriller-Fans angenehm Hitchcock’ish schmecken dürfte, plus den Ereignissen eine hochgradige Brisanz verleiht: Die dramaturgische Bombe, durch die ein Film (oder eine Serie) meist erst gegen Ende die Kinnladen herunter klappen lässt, wird bereits in der ersten Episode gezündet – spannend ist von nun an nicht mehr worauf es hinaus laufen wird, sondern ausschließlich der Weg dahin – das “warum”. Bei diesen Menschen muss in der Vergangenheit mehr, als nur ein Bisschen “bad blood” geflossen sein. Stück für Stück tun sich tiefe Abgründe auf, die es zu erforschen gilt.
Herausragend an BLOODLINE ist die enorm dichte Atmosphäre – trotz Palmen, türkisem Wasser und malerischen Sandstränden liegt konsequent ein düsterer, undurchsichtig Subtext unter den Bildern. Der Bauch weiß direkt: hier stimmt etwas nicht und es wird zu einer Explosion führen. Alles ist anzuzweifeln, denn jegliche Wahrheit scheint zunächst hinter (bröckelnden) Fassaden verborgen, die Danny Stück für Stück mit dem Dampfhammer einzureißen versucht. Je mehr sich das angestrebte Bild formt, umso stärker sind aufgekommene Sympathien und Loyalitäten in Frage zu stellen – ist es tatsächlich Danny, der hier nicht richtig tickt? Und wem kann man eigentlich WIRKLICH trauen? Es entspinnt sich ein bitteres, bewegendes Familiendrama, das in tiefen Wassern schifft, um die tief begrabenen seelischen Wunden der Rayburns schonungslos frei zu legen. Anhaltende Traumata, überfällige (doch vielleicht unmögliche) Vergebung, aufgestauter Hass – was BLOODLINE zu Tage fördert, ist niemandem zu wünschen und als eine Warnung zu verstehen: Kleine Ereignisse können ins Rollen kommen, zur Lawine werden und schlussendlich alles in ihrem Weg irreparabel überrollen. Bittere Wahrheit.
Einzig die Laufzeit schmälert das Resultat ein wenig – wäre dieser heimliche Einzug der Hölle ins Paradies dramaturgisch noch etwas zackiger aufgearbeitet und der gelegentliche Leerlauf vermieden worden – zwei Stunden weniger Laufzeit hätten für das, was BLOODLINE auslöst, wahrscheinlich gereicht – die abgründige erste Staffel hätte ein Meisterwerk sein können. So suhlt sich das Geschehen, trotz reichlich unerwarteter Plot-Verläufe und viel Charakter-Dynamik, ein ums andere Mal zu oft in der Magie der eigenen Bilder und verliert die Zielstrebigkeit aus den Augen. Es bleibt dennoch ein Cast zum Niederknien (neben Mendelsohn, der wirklich alles gibt, sind Sissy Spacek, Kyle Chandler, Chloe Sevigny und weitere Hochkaräter im Rennen, die Mendelsohn in nichts nachstehen), eine phänomenale Audiovisualität, deren paradiesischer Charakter wundervoll den düsteren Inhalt kontrastiert und eine tiefgehende Abhandlung über Moral, Gesellschaft und das Konstrukt Familie. Anschaubefehl.
Wertung
7-8 von 10 tragischen Familiengeheimnissen
Serie auf:
IMDB
MOVIEPILOT
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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Klingt gut! Und ich mag ja Kyle Chandler seit FNL sehr gerne. Kommt auf die niemals endende To-Watch-Liste…
Chandler und Mendelsohn sind beide SEHR stark hier. Sichtung kommt, wenn du dir dann irgendwann mal Netflix klickst