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Quentin Tarantino #4.1: Kill Bill – Vol. I (2003)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by STUDIOCANAL


Fakten
Jahr: 2003
Genre: Martial-Arts, Drama, Exploitation, Trash, Eastern
Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch: Quentin Tarantino
Besetzung: Uma Thurman, David Carradine, Daryl Hannah, Lucy Liu, Vivica A. Fox, Michael Madsen, Julie Dreyfus, Chiaki Kuriyama, Shin’ichi Chiba, Chia-Hui Liu, Michael Parks, Michael Bowen, Jun Kunimura
Kamera: Robert Richardson
Musik: Diverse
Schnitt: Sally Menke


Review
“Revenge is a dish, best served cold.”
Jeder zweite Text zu KILL BILL beginnt mit diesem Zitat, aber besser kann man dieses Werk auch einfach nicht zusammenfassen.

Es war lange her seit Tarantino mit JACKIE BROWN seinen letzten Film gedreht hatte. Sehr lange – sechs Jahre um genau zu sein. Die Fans haben gewartet, gehofft, vielleicht langsam schon gebangt – wann kommt da endlich wieder etwas? Kommt da überhaupt etwas? Sind dem Mashup-Meister etwa die Referenzen ausgegangen? Fragen über Fragen, auf die Quentin dann 2003 mit einem Paukenschlag, nein, mit einer Dynamitstange, ach was, einer Explosion epischen Ausmaßes namens KILL BILL: VOL. I antwortete.

Der Film schreit vom ersten bis zum letzten Frame: “Hier bin ich wieder, besser, kreativer und verspielter als je zuvor! Zieht es euch rein und habt eine gute Zeit voller Achterbahn- und Motorradfahrten! Und glaubt mir, ihr werdet im Sitz hin und her geworfen!”

DAS ist Tarantino von vorn bis hinten, von links bis rechts. Alles ist anders als “man das sonst so macht”, aber auch anders als Tarantino seine Stoffe bis jetzt selbst umgesetzt hatte. KILL BILL wechselt ständig zwischen Stimmungen, ist aber überraschend oft ernster als die drei vorherigen Werke, denn der in Kapitel und Segmente unterteilte Film kommt in seinen vielfältigen Nuancen teilweise wirklich hart und schockierend daher. Gewalt spielte schon immer eine Rolle in Tarantino’s Werk, doch war sie meist ins Groteske überzeichnet, durch unkonventionelle Musikwahl entschärft, oder ironisch gebrochen. Natürlich findet sich auch solche Gewalt in KILL BILL wieder, die meterhohen Blutfontänen sprechen eine deutliche Sprache (vor allem die, der Huldigung des Fun-Splatters), doch teilweise ist es anders. Immer wieder tut es weh. Fühlt sich Gewalt auch wie Gewalt an und geht an die Psyche. Bereits die eiskalte Eröffnungsszene zwischen der Braut (Codename: Black Mamba) und Vivica A. Fox als Vernita Green (Codename: Copperhead) geht unangenehm nah, auch Buck’s unsanfte Begegnung mit einer Tür lässt einen das Gesicht verziehen und auch der obligatorischen Trunk-Shot am Ende des Films strahlt kompromisslos Hass und Kälte aus – immer wieder ist das alles plötzlich gar nicht mehr so cool, eher kalt und bitter (und in gewisser Weise meta, da Q. T. über die Ambivalenz seiner Gewaltdarstellung in ein und demselben Film auch mal hinterfragt, was er da eigentlich sonst so unterhaltsam aufbereitet hat).

Doch nun mal langsam.
Worum geht es denn eigentlich?
Uma Thurman ist die namenlose Braut und wurde scheinbar aufs Krasseste hintergangen, was letztendlich in dem Versuch sie (auf ihrer Hochzeit) zu ermorden gipfelte – durch wen oder was, teased das Skript nur langsam und zaghaft an. Zu Anfang bekommt der Zuschauer nur das blutverschmierte Gesicht der Braut zu sehen, die ihren letzten Satz gerade noch beginnt. Dann die Waffe. Dann der Knall. Es folgt Schwärze. “Bang Bang, my baby shot me down” haucht Nancy Sinatra tragisch in unser Ohr und der Vorspann beginnt. Im Weiteren erzählt Tarantino uns (mal wieder nicht chronologisch) eine Geschichte über eine Todesliste, die die Braut abarbeitet, über eine dubiose Vereinigung namens “Deadly Viper Assassination Squad”, über Samurai-Schwerter, nekrophile Drecksäcke und noch viel mehr. Fragment für Fragment, Szene für Szene formt sich ein Bild: Den Schuß auf die schwangere Braut hat der titelgebende Bill abgefeuert.. plötzlich bekommt der Titelsong einen ganz unangenehmen Beigeschmack.

“Bang, Bang, he shot me down, Bang, Bang, I hit the ground, Bang, Bang, that awful sound, Bang, Bang, my baby shot me down”

Nach vier Jahren wacht die Braut aus dem Koma auf, hat ihr ungeborenes Kind und ihre Liebe verloren, sowie ihren Lebenswillen gegen pure und tödliche Rachegelüste getauscht.

Warum das alles?
Was hat es mit den Codenamen auf sich?
Wieso durfte die Braut nicht weiterleben, sondern sollte sterben?
Wer ist Bill?
Wer war die Braut?
Wie hängt das alles zusammen?

Alles Fragen die offen bleiben, denn KILL BILL: VOL. I ist streng genommen nur ein halber Film. Die Laufzeit von KILL BILL deutete sich schon beim Dreh als (aus Verleihperspektive) viel zu lang an, daher wurde das Werk in zwei Teile gesplittet. Der Geniestreich dabei ist jedoch folgender: Tarantino macht nicht nur das Beste, sondern tatsächlich das Perfekte daraus: Trotz geradezu euphorischer Vorfreude auf die weiteren Kapitel der Story und die ausstehenden Antworten, fühlt sich dieser erste Teil keineswegs unvollkommen, oder unfertig an. Es ist ein Film, der vollkommen für sich stehen und bestehen kann. KILL BILL erzählt uns in allen Aspekten gerade genug, aber kein Quäntchen mehr als wir notwendigerweise wissen müssen, um Motivation und Verhalten der Braut zu verstehen und einordnen zu können – Hintergründe gibt es nur zu einzelnen Personen, die auch tatsächlich als Hauptfiguren auftauchen, der Rest kommt später, auch weil er hier noch gar nicht fehlt.

“Nur das nötigste” klingt natürlich etwas zaghaft. Und WIE uns hier “das Nötigste” erzählt wird. Für die audiovisuelle Form seiner Filme wurde Tarantino wahrscheinlich insgesamt am meisten gelobt – und das zu recht: KILL BILL: VOL. I ist von der Wahl der Schauplätze, über das Setdesign, bis zu den Kostümen eine optisch umwerfende, absolut meisterhaft choreo- und fotografierte Wucht! Hier sitzt jede Einstellung, hier sitzt jeder Blick (besonders die der völlig über sich hinaus wachsenden Uma Thurman), hier sitzt jeder Faust- und Schwerthieb in den wahnsinnig intensiven Kämpfen. Abseits der tollen Actionmomente weiß KILL BILL aber auch wieder durch Humor und überraschenderweise einige ehrlich-intensive, emotionale Momente zu überzeugen (der Moment wo die Braut aus dem Koma erwacht und realisiert dass sie ihr Kind verloren hat – wow). Natürlich ist das alles auch wieder Mashup-Kino und Referenz-Schlacht und von IRON MONKEY bis Sergio Leone steckt hier vieles drin, doch bei seinem nun vierten Werk kann man langsam auch sagen: den Kern bildet vor allem der pure, ungefilterte Tarantino.

Die klangliche Untermalung bilden wieder coole Rock’n’Roll Songs der 60er, wilde Kombinationen bzw. Fusionen aus Western- und Eastern-Scores, psychedelische Pfeif-Intermezzi und bizarre Mariachi-Coverversionen. Tokyotische Schoolgirl-Band-Interpretationen von Rock-/Popsongs dürfen ebenfalls nicht fehlen – Q.T.’s Soundtracks waren immer überdurchschnittlich gut zusammengestellt und in direkter Kombination mit dem Bildmaterial höchst effektiv – das hier ist jedoch der absolute Wahnsinn. Gerade die Harmonie aus Bild und Klang, welche ironischerweise oft aus schrägen Kontrasten entwächst (Gegensätze ziehen sich an) weiß zu fesseln, mitzureißen, geradezu gefangen zu nehmen. Und auch wenn es an ikonischen Einzel-Szenen absolut nicht mangelt, so ist es trotzdem die Ganzheit des Werkes, die Einheit die zerstückelte Fragmente trotz ständiger Stilbrüche formen, die es zu dem macht was es ist. Dialoge, Mimik, Gestik. Aktion, Reaktion. Die Summe schafft ein filmisches Erlebnis, zusammen gesetzt aus einer tief traurigen Geschichte, wahnsinnigen Momenten und noch wahnsinnigeren Figuren.

KILL BILL ist postmodernes Kino in absoluter Reinform: Ein global angesiedelter Rache-Eastern, der eigentlich ein Western ist, genauso wie ein Drama über bitter enttäuschte Liebe, dazu Killer- und Yakuza-Thriller, abgefahrene Groteske, mal Anime, mal Samurai-, mal Kunstfilm und immer wieder auch überdrehtes Splatterkino. Und noch viel mehr. Achterbahnfahrt, ein Hauch von Allem, ein Puzzle der Stile, Genres und Referenzen, welches zu einer neuartigen, völlig organischen Konsistenz verschmilzt und Kinnladen staunend herunter klappen lässt. Übertrieben und grotesk, trotzdem mit einem wahren und echten emotionalen Kern versehen (der in VOL. II dann endgültig den Fokus bilden wird).

Hat mich damals schon völlig umgehauen, ist dann fast etwas in Vergessenheit geraten, doch jetzt ist mir wieder klar, wo die Begeisterung herrührte. KILL BILL: VOL. I ist schlichtweg ganz groß – wenn auch nicht resistent gegenüber jeglicher Kritik. Wer also etwas loswerden möchte, immer gern raus damit: “If any of you sons of bitches, GOT ANYTHING ELSE TO SAY, NOW IS THE FUCKIN’ TIME!


Wertung
10 von 10 gelben Motorrad-Kluften


Veröffentlichung
KILL BILL: VOL. I ist bei STUDIOCANAL in verschiedenen Editionen als BluRay, VoD und DVD erschienen (auch im Bundle mit VOL. II). Im Bonusmaterial befinden sich: Making of – Die Ästhetik der Rache, Die Heavy-Rock-Band „5,6,7,8’s“ mit den Songs „I walk like Jayne Mansfield“ und „I’m blue“, Kill Bill Vol 1 & 2 – Die Trailer des kultigen Tarantino-Zweiteilers, Trailer. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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4 Gedanken zu „Quentin Tarantino #4.1: Kill Bill – Vol. I (2003)“

  1. Ich musste eben erst rätseln
    Aber den meinte ich gar nicht, sondern Buck, der da war für nen Fuck! Klar, komatös ist nicht tot, aber da fehlte mir das Fachwort und von der Sache her ist es doch irgendwie (fast) das Gleiche…

  2. Völlige Übereinstimmung…
    nur einen nekrophilen Schurken hab ich nicht entdeckt…der Yakuza-Boss ist pädophil

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