Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Tiberius Film
Fakten
Jahr: 2013
Genre: Mystery, Kunstfilm, Thriller
Regie: Nicolas Winding Refn
Drehbuch: Nicolas Winding Refn
Besetzung: Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Vithaya Pansringarm, Yayaying Rhatha Phongam, Tom Burke
Kamera: Larry Smith
Musik: Cliff Martinez
Schnitt: Matthew Newman
Review
Nachdem ich diesen Film das erste Mal sah, holte ich den pseudo-Poeten raus und schrieb dies:
“Pulsieren.
Fremdartige Welt.
Ein Geist schwebt durch die Nacht.
Gefangen in dieser bizarren Umgebung aus Licht und Langsamkeit.
Bemüht mit ihr zu verschmelzen, unfähig zu entfliehen, denn die Vergangenheit ist geschrieben, das Verlorene unwiederbringlich ausgelöscht. Mit bloßen Händen. Gebrochen das Innerste, hoffnungslos der Ausblick.
In ihm ist nur Leere. Schmerz. Rastlosigkeit. Lethargie. Um ihn verschwommene, endlose Formen – eine Welt zu der er noch nie gehört hat. Muster des Wahnsinns. Sie verdichten sich. Bilden einen Sog, der ihn in grausame Träume zieht. Träume, die das Unvermeidliche voraussehen. Die ihm zeigen wohin er gehen muss.
Sind es Träume? Oder Prophezeiungen? Kann er noch entfliehen? Er versucht es, ist weit gegangen. Aber es gibt kein Entrinnen, nur vorwärts ist möglich, kein Zurück. Sein Ziel ist das Verderben, denn die Schuld jagt ihn unerlässlich. Nagt an seiner Präsenz. Fordert ein, was ihr zusteht. Langsam, aber unausweichlich. Sein Dämon materialisiert sich.
Geist gegen Dämon.
Er bringt noch zu Ende, was ein Ende haben muss. Vernichtet was er hasst, zerstört was ihn schon längst zerstört hat. Was ihn nie hat etwas werden lassen. Jeden Menschen. Jede Erinnerung.
Mit bloßen Händen.
Um ihn herum sehen sie nicht, was gut für sie ist. Der Nebel aus Neonlicht blendet sie, die entfremdete Nacht verschleiert den Blick. Sie hören nicht, wozu man ihnen rät. Das donnernde Dröhnen in der Ferne dämpft die Wahrnehmung, das atonale Kreischen beraubt sie eines jeden Gedanken.
Doch er hat es erkannt. Er muss sich stellen, weil es unausweichlich ist. Bereit für die finale Reise.
Was ist real?
Was wartet hinter der dunklen Pforte?
Erlösung? Reinheit? Vergebung?
Auge in Auge steht er seinem Schicksal gegenüber. Und verliert. Aber gewinnt zugleich. Weil es nur einen Weg der Erlösung gibt und dieser ein schmerzhafter ist. Weil es anders keine Chance auf Frieden gibt.
Weil nur Gott vergeben kann.”
Diese Gedanken-Flut spiegelte meine direkte Reaktion auf Refn’s Neon-Alptraum ONLY GOD FORGIVES nach der Sichtung der OmU-Premiere im Kino wieder. Ich hatte weder Lust darauf, noch Erfolg dabei, meine Gedanken zu diesem – auf Anhieb schleppend-kryptischen, aus jetziger Sicht jedoch völlig klaren – Film zu ordnen und in sprachliche Bahnen zu lenken. Also mimte ich einfach mal ein wenig den Poeten und lies den aufgestauten, verwirrenden Emotionen nach dem Film freien Lauf. Keine Lust auf Analyse der Schwächen und Qualitäten, kein Bedürfnis zu erklären und zu ergründen, etc, sondern einfach mal ungelenkt nachwirken lassen. Und ich kann heute mit bestimmtheit sagen: Das Echo war ein selten-lang anhaltendes und höchst intensives!
Als ich “damals” das Kino verließ, war ich mir zunächst nur klar, dass der Film mir gefallen hatte und mich auf eine angenehme Art ratlos zurücklies. Im Laufe der nächsten Tage (nachdem die obigen Zeilen schon längst verfasst waren), dachte ich viel über die Ebenen des Films nach, klüngelte langsam die Funktionen der einzelnen Figuren in der allem übergeordneten, größeren Bedeutung aus und festigte meinen ersten Eindruck, dass ONLY GOD FORGIVES in seiner Funktionsweise sehr stark Refn’s WALHALLA RISING ähnelte. Es ist natürlich ein Leichtes, diese beiden Filme in der Luft zu zerreißen, denn wer nicht versucht unter die Oberfläche zu blicken und sich mit dem unmittelbar gezeigten zufrieden gibt, kann in ihnen wohl kaum viel sehen. Oberflächlich sind sie vielleicht nur handlungsarme, ultra-langsame Szenenabfolgen, die entweder ein paar Wikinger beim Stolpern durch die schottischen Berge, oder eben hier ein paar Gangster und einen Cop in einem flachen Kampf auf Leben und Tod in Bangkok zeigen.
Doch will Refn bloß von einer Bootsfahrt der Wikinger und einer Rachegeschichte in Thailand erzählen? Ich sage ganz entschieden: Nein!
Wer den Zwischentönen lauscht, also eine Ebene weiter unter die düster-bunte Schale schaut, wird schnell merken. dass es hier um weit mehr, als bloß ein wenig langsames Kunst-Geschwurbel mit ein paar aufweckenden Gewalt-Spitzen geht. Was Refn mit ONLY GOD FORGIVES geschaffen hat, ist eine Abhandlung über zehrende Schuld und das Bedürfnis nach Sühne. Eine Betrachtung der Illusion von der (unmöglichen) Flucht vor der eigenen Vergangenheit und der Schwere bzw. des Unvermögens eines erfüllten Lebens mit den eigenen (Un)Taten im Nacken. Denn Taten bleiben nicht ohne Wirkung und Glück wird nur der erfahren, der sich ihnen erhobenen Hauptes stellt.
All dies steckt bei Kenntnis des Films bereits in seinem Titel, die Symbolik des Gezeigten beginnt in ihm: “Nur Gott vergibt” – Gott, das Gute, der Weg zur Erlösung. Ryan Gosling als Julian hat Schlimmes getan, ist davor zunächst geflohen, dann daran zerbrochen und beschließt, als sich ihm die Quelle allen Übels wieder nähert – der Teufel, das Böse, der Weg in die Verdammnis – aus dem erstarrten Zustand der Schuld auszubrechen und sich seiner Strafe zu unterziehen, einem Akt der Vergebung, gleichzusetzen mit Erlösung. Die Rollen sind hier klar verteilt: Gosling der vom Pfad abgekommene Sündiger, Kristin Scott Thomas als seine Mutter der Teufel, der immer wieder versucht ihn auf die eigene, dunkle Seite zu ziehen, Vithaya Pansringarm, der exekutierende Polizist als Gott, welcher auf einem Feldzug gegen das Böse die Schuldigen vor die Wahl stellt.
“Du willst nicht sehen was offensichtlich ist. Also siehst du besser gar nichts mehr.”
Klare Worte mit klarer Bedeutung: Du kannst dich entscheiden, aber wähle mit Bedacht, denn irgendwann ist ein Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gibt. Vorher jedoch, gibt es Hoffnung auf Erlösung, doch soll niemand glauben, dass der zu beschreitende Pfad ein leichter ist (welche Hürden er bereit hält, zeigt spätestens der Kampf zwischen Julian und Chang). Die klare Zuordnung der Funktionen in diesem doppelbödigen Plot ist klug gewählt – Julian’s latenter Ödipuskonflikt öffnet seiner Mutter Tür und Tor, um als das personifizierte Böse immer wieder einen offensiven, nagenden Einfluss auf seine Entscheidungen zu nehmen. Er will raus aus alledem, doch muss sich in finaler Instanz endgültig gegen seine Familie stellen, um den Kreislauf zu verlassen.
Die Familie also als Sinnbild für den Einfluss des Bösen? Nein, ganz so zynisch ist Refn nicht an die Sache herangegangen, viel mehr dient die zu zerreißende Bindung zur Mutter hier als Sinnbild für die Schwierigkeit sich, einmal gefangen genommen, von der Faszination der “dunklen Seite” los zu reißen.
Die Machart von ONLY GOD FORGIVES ist sicher nicht jedermann’s Sache, schließlich ist der Film unendlich langsam, arbeitet nahezu komplett über die audiovisuelle Erzeugung von Stimmungen (auch zur Vermittlung seiner Inhalte) und kommt durch die Vielzahl von Traumsequenzen und surrealen Momenten vielleicht ein wenig kryptisch daher – obwohl das was in ihm steckt, einmal entdeckt, kaum klarer zu lesen sein könnte. Doch in der Summe aus symbolischer Erzählung, der starken Kamera-Arbeit von Larry Smith und dem pulsierend-hypnotischen, über alle Maßen großartigen Score von Cliff Martinez, ist ONLY GOD FORGIVES für mich nicht weniger als große Kunst. Der Ansatz von Refn geht zudem einen heutzutage leider sehr seltenen Weg in Bezug auf Gewalt. Diese bleibt nämlich a) nicht folgenlos, immerhin dreht der ganze Film sich darum, wie eine verlorene Seele als Folge mehrerer Gewaltakte droht ins Verderben zu stürzen, und ist b) nicht eine Sekunde unterhaltsam aufbereitet. Die Gewalt in diesem Werk ist exakt das, was reale Gewalt auch ist: ein widerlicher, unmenschlicher Akt, der Übelkeit erzeugt.
Eine inhaltliche und audiovisuelle Bombe von einem Film, faszinierend und höchst unangenehm zugleich.
Wertung
9 von 10 alptraumhaften Visionen
Weblinks
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2 Gedanken zu „Film: Only God Forgives (2013)“