Film: Holy Motors (2012)


Trailer © by good!movies


Fakten
Jahr: 2012
Genre: meta-Film, surrelaer Film, Episodenfilm
Regie: Leos Carax
Drehbuch: Leos Carax
Besetzung: Denis Lavant, Edith Scob, Eva Mendes, Kylie Minogue, Elise Lhomeau, Jeanne Disson, Michel Piccoli, Leos Carax, Nastya Golubeva Carax, Reda Oumouzoune, Zlata, Geoffrey Carey
Kamera: Yves Cape , Caroline Champetier
Musik: –
Schnitt: Nelly Quettier


Review
Schwer. Schwer zu einem nicht greifbaren (wortwörtlich unbegreiflichen) Film konkrete Worte aufs Papier zu bringen.

Wie soll man HOLY MOTORS einstufen? Was ist es für ein Werk? Ganz grob wohl ein Film, der nicht vollständig verstanden, sondern erlebt (und erfühlt) werden möchte, der in die verschiedensten thematischen Kerben vorstößt, ohne jedoch konkret in ihnen zu verweilen, der über große Fragen sinniert, ohne jedoch den Fehler zu begehen uns Antworten liefern zu wollen. Es geht um Reflektion zu Film und Kino, zum Leben und dessen Zielen, zur Entwicklung der Technik und Gesellschaft, aber vor allem auch zur Frage der Individualität des Einzelnen. Zur Rolle, die jeder von uns im Leben spielt und dem Übergang in eine andere Identität.

Wer sind wir, was tun wir und wo führt uns das schlussendlich hin?

Das “wir” in diesen Fragen versteht der Film in doppelter (vielleicht sogar dreifacher) Sicht: Wir als Individuen, mit unseren tägliche Aufgaben, unseren Problemen, unseren ganz eigenen Seltsamkeiten. Wir, als gemeinsames Cluster aus dem Einzelnen, als Gruppen, als Gesellschaft und als Menschheit in ihrer Gesamtheit. Und zuletzt wir als Schauspieler in unseren tagtäglichen Rollen.

Monsieur Oscar ist Mensch/Schauspieler, den ganzen Tag in einer weißen Stretch-Limo zwischen “Terminen” unterwegs, in denen er in Identitäten/Rollen schlüpft und je nach Aufgabe banale, alltägliche, unglaubliche und auch höchst grausame Dinge tut. Ist Monsieur Oscar nun der Mensch zwischen diesen Terminen? Oder ist sein Ich immer durch die aktuelle Rolle gegeben? Oder ist eine Trennung gar nicht mehr möglich und Oscar ist die Summe all dessen? Diese Gedanken führen zu folgender Frage: Spielen wir, jeder einzelne Mensch dem wir täglich – vor allem beim Blick in den Spiegel – begegnen, eine, oder viele, oder gar unzählige Rolle(n)? Sind wir in diesen Rollen gefangen, oder gar erst durch sie definiert? Was bleibt also als eigene Identität, was formt sie?

Eine Ebene tiefer schwingt die unumstößliche Verkettung von Film und Realität mit: Kein Schauspiel ohne Realität, keine Realität ohne Schauspiel. Jeder Mensch also auch ein Schauspieler?

Letzteres trifft wohl je nach Sichtweise zu: in unserem eigenen, kleinen, persönlich ausdefinierten Kosmos sind wir es – niemand ist immer zu einhundert Prozent ehrlich und vollkommen frei von Fassade. Doch im übergeordneten, globalen Sinne müssen wir abstufen:. Was Schauspiel in Perfektion bedeutet, beweist Denis Lavant hier in einer seltenen Intensität. In Form der neun Termine, plus dem eigentlichen Monsieur in der Limo (der zehnten Identität), plus dem Mensch zu Beginn/Ende (der elften Identität), ruft der Mann wirklich ALLES ab, was an schauspielerischer Vielfalt und Bandbreite geballt möglich ist – wandlungsfähig, fehlerfrei, beeindruckend, vereinnahmend und ein Maß an Schauspiel, dass die alltägliche Selbstdarstellung des Menschen sofort und vollständig verblassen lässt.

Wieder eine Ebene tiefer, stellt Regisseur/Autor Leos Carax die Frage, ob die Menschen heutzutage überhaupt noch eine Blick für solch groß- und einzigartige Momente haben (und haben wollen)? Die Kombination von alltäglichen, bis hin zu völlig irren Szenarien, mal reell und subtil, mal überbordend kitschig und sehr filmisch, kann man stellvertretend für die Nuancen des Films/des Schauspiels(/der Realität) sehen: Wann schaut man heute noch genau hin? Muss es die große Action sein? Darf es diese gerade nicht sein? Wie stark sind wir noch für die kleinen, ehrlichen Momente sensibilisiert?

Noch tiefer in Carax’s Film stehen weitere Zeilen  geschrieben. Über den technischen Fortschritt und die immerforte Unabdingbarkeit des Menschen, über zufällige Zusammenkünfte und ihren Nachhall, über verpasste Chancen und verflossenen Liebe, über Verantwortung, über Schicksal. Über zu vieles, um es auf Anhieb alles (be)greifen zu können. Weil noch tiefer in diesem fantastischen Film wahrscheinlich noch viel mehr steckt. Mèrde, was für ein großartiges Werk.


Wertung
9 von 10 alltäglichen Schauspiel-Rollen


Veröffentlichung
HOLY MOTORS ist bei good!movies als DVD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Trailer.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

2 Gedanken zu „Film: Holy Motors (2012)“

  1. Oh ja, absolutes Meisterwerk. Absolut richtig, dass man diesen Film *erleben* muss – diese Bandbreite an Stimmungen, Genres – eine Episode wahnwitziger als die andere.
    Schön auch, dass du Lavants Schauspielleistung hervorhebst – sein Spiel ist großartig, je nach Situation mal absolut over-the-top oder enorm subtil. Carax hat das filmische Medium hier bis auf den Kern durchdrungen und verstanden. Wahnsinn (in allen Facetten des Begriffs).

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