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Fakten
Jahr: 2015
Genre: Drama, Gender-Kino
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon
Besetzung: Romain Duris, Anaïs Demoustier, Raphaël Personnaz, Isild Le Besco, Aurore Clément, Jean-Claude Bolle-Reddat
Kamera: Pascal Marti
Musik: Philippe Rombi
Schnitt: Laure Gardette
Review
Filme über Crossdressing, (Trans-)Gender, oder (geschlechtliche) Identitäts-Suche begeben sich aus der Natur der Sache heraus in eine unglaubliche Fallhöhe – die Themen sind sensibel, aus dem Volksmund weht all dem leider noch immer eine mächtige Woge der Intoleranz (oder zumindest des Unverständnisses) entgegen und so kann schnell viel falsch gemacht werden. Kann und wird es. Ohne konkrete Beispiele nennen zu können, ist das Gefühl geblieben, dass diese Themenkomplexe meist, in Anlehnung an die Unsicherheit im Umgang mit ihnen, nur für komödiantische Zwecke ausgeschlachtet werden und die resultierende Klischee-Parade in ihrer Plumpheit selten zu überbieten ist (hierbei gilt zudem: je größer/populärer der Film, umso schlimmer das Resultat). Adam Sandler in Frauenklamotten.. was haben wir gelacht. Zugegebenermaßen ist das natürlich der extremste mögliche Vergleich und ganze Welten vom vorliegenden Film entfernt, aber es verdeutlicht ganz gut, was gemeint ist: es fehlt an Sensibilität!
Doch während der Abspann von Francois Ozon’s UNE NOUVELLE AMIE über den Schirm läuft, setzt sich wehement eine Hoffnung fest. “Es geht doch”, flüstert sie. Denn obwohl auch dieser Film an Humor nicht spart, allerdings zu gleichen Teilen Drama, Romanze und Komödie ist, wird mit dem notwendigen Feingefühl an die Sache heran gegangen, so dass sich die gewünschte Gefühlsebene mit seltener Selbstverständlichkeit in vollem Umfang entfalten kann. Was Ozon uns zeigt, fühlt sich richtig an. Echt. Und trotz der starken Film-, teils sogar Märchenhaftigkeit, trägt die Geschichte eine ehrliche Natürlichkeit in sich.
Zwei Protagonisten, der eine hat ein Leben lang den Hang unterdrückt, sich in Frauenkleider zu hüllen, zu schminken, als “das andere Geschlecht“ zu leben, die andere hadert, ohne es sich selbst endgültig einzugestehen, schon immer mit ihrer sexuellen Orientierung und war jahrelang einer anderen Frau auf eine Weise verbunden, welche ein Quäntchen mehr beinhaltete, als nur das Gefühl eine beste Freundin zu haben. Eine latente, stille Liebe, die sie unter der Oberfläche versteckt hielt, nur um schleichend sich selbst immer fremder zu werden und schlusendlich dem Lauf der Zeit geschlagen zu geben. Der falsche Weg gegen ein starkes Gefühl zu rebellieren und dann unter Zwang den “normalen“ Weg zu gehen – zu heiraten und zum alltäglichen Vorstadt-Ehepaar zu werden.
Ein Werk, das von vorne bis hinten Begeisterung hervor ruft, denn Ozon begleitet nicht nur zwei Menschen bei ihrer lang überfälligen Selbstfindung und stellt dabei generelle, hoch spannende Fragen über die Färbung des Begriffs “Geschlecht” im 21. Jahrhundert, sondern ist sich dabei dauerhaft und bis ins Letzte der Möglichkeiten des gewählten Mediums Film bewusst. Er reflektiert, zitiert, bricht kritisch und bringt so neben der offensichtlichen Bedeutungsebene der Handlung zusätzlich eine meta-Ebene über Geschlechter im Film ein.
Die Geschichte lässt besagte zwei Menschen durch einen gemeinsamen Schicksals-Schlag, ins Straucheln geraten, zwingt sie förmlich aus ihrer (so sicheren, wie falschen) Bastion der Normalität ausbrechen und in Abhängigkeit voneinander ihr wahres Ich entdecken. Immerfort gelingt es, über filmische Mittel ihr Innerstes nach außen zu kehren: die anfängliche Unsicherheit, die aufkeimende Entdeckungslust und schlussendlich auch sich explosiv entladendes Glück sind in Bildern und Stimmungen gespiegelt – für den Zuschauer erleb- und fühlbar. Durch alle Hochs und Tiefs eines langsamen, vielschichtigen Prozesses, welcher Stärke und Mut erfordert, begleiten wir David und Claire (von Romain Duris und Anais Demoustier unheimlich facettenreich gespielt) und binden an sie, leiden und lachen mit ihnen, da die visuellen Abbilder ihrer Gefühlswelt in Resonanz schwingen.
Auf den ersten Blick mag einiges in diesem Werk noch seltsam überzogen wirken, doch es lohnt hinter die Fassade zu blicken, die Frage nach dem “warum” zu stellen: Natürlich trägt David nach seinem Coming-Out anfangs in Kleiderwahl und Gestus unendlich dick auf, ist doch schließlich aus Zurückhaltung und Angst gerade eine nie erträumte Extrovertiertheit erwachsen. Natürlich entspricht sein Verhalten zunächst noch dem, was als “Klischee” gilt, denn das ist es, was er sich aus Medien, etc. abgeguckt hat. Es braucht schließlich Zeit und Erfahrung, um in einer völlig neuen Situation seinen eigenen Weg zu finden und die heimliche Sicherheit der eigenen vier Wände hinter sich zu lassen. Öffentlichkeit bedeutet in seinem Falle auch Angreifbarkeit – natürlich bewirkt sein Auftreten heftige Reaktionen, welche der Film nicht ausspart. Vieles was zunächst platt, oder wie der gängige Weg der Darstellung erscheint, wird über diese Reibungsflächen im Filmuniversum kritisch hinterfragt und als bewusste Entscheidung des Filmemachers herausgearbeitet. Inhaltlich UND formell.
Denn da ist noch diese weitere Ebene, welche den Film über ein gutes, so emotionsgeladen wie humorvolles Drama hinaus aufwertet. Stilistisch fühlt sich UNE NOUVELLE AMIE von Beginn an unheimlich klassisch an – ein Score, wie er perfekt in einen Hollywood-Streifen der 40er/50er Jahre passen würde, ebenso die Bildsprache: im Film schauen Figuren alte Schwarz-Weiß Filme besagter Ära, immer wieder stößt man auf kleinere direkte Hitchcock-Zitate, etc. – der “Tone” ist in sich stimmig und wirkt wie eine Hommage an die goldene Ära. Was Ozon nun aber tut ist ein so simpler, wie wirkungsvoller Kunstgriff und höchst effektiv: Er spiegelt klassische Rollenbilder und Filmtropes wie z.B. die Femme-Fatale mit Kopftuch und Sonnenbrille im Cabrio, oder den ruppig sexuelle Fügung erzwingenden Alpha-Mann, dreht jedoch über die nicht-klassische Sexualität der Protagonisten die Vorzeichen um und fordert so zur Reflektion und dem endgültigen, längst überfälligen Über-Bord-werfen gestriger Geschlechterrollen auf. Wer tut was und warum? Es gibt viele Gründe Figuren in Filmen spezifisch handeln zu lassen, Ozon’s Ansatz verdeutlicht aber eines mit Bravour: Geschlecht ist keiner davon. So geht meta mit Sinn!
Es gibt noch so vieles, was man an UNE NOUVELLE AMIE loben könnte, allem voran das intensive, beeindruckende Schauspiel der zwei Hauptdarsteller, aber auch die vielen gefährlichen Stolpersteine und Selbstverständnisse, welche Ozon galant umtanzt (so ist z. B. Transgender hier nicht automatisch mit Homosexualität verknüpft), die Tiefe die das Drehbuch seinen Figuren zugesteht – die Liste ist lang. Vielleicht ist der Film ja auch, für jemanden den die behandelten Themen direkter betreffen, ein schlechter Scherz oder gar eine bodenlose Frechheit? Das kann ein heterosexueller Mann, der sich in Männerkleidung wohl fühlt, wahrscheinlich nicht im Geringsten einschätzen – aber aus dieser Perspektive funktioniert Ozon’s neustes Werk auf allen Ebenen: Es reißt mit und berührt, lässt einmal das gesamte Gefühlsspektrum durchleben und fühlt sich in der Umsetzung der Themen vollkommen stimmig und richtig an – außerdem werden wichtige und in der Filmwelt schon lange überfällige Gedanken angestoßen. Was will man da noch mehr?
Wertung
9 von 10 filmischen Cabrio-Fahrten
Veröffentlichung
EINE NEUE FREUNDIN ist a, 15. September 2015 bei Weltkino im Vertrieb der Universum Film GmbH als BluRay und DVD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Unveröffentlichte Szenen, Making-of, Interviews mit Romain Duris und Anaïs Demoustier, Kostüm- und Lichtprobe, Entstehung des Artworks.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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