Film: Drei Affen – Üç Maymun (2008)


Trailer © by good!movies


Fakten
Jahr: 2008
Genre: Drama
Regie: Nuri Bilge Ceylan
Drehbuch: Nuri Bilge CeylanEbru Ceylan, Ercan Kesal
Besetzung: Yavuz Bingol, Hatice Aslan, Ahmet Rifat SungarErcan KesalCafer KöseGürkan Aydin
Kamera: Gökhan Tiryaki
Musik: –
Schnitt: Nuri Bilge CeylanAyhan ErgürselBora Göksingöl


Review
Macht, Gewalt, Verlust.

Elementare Themen, denen man sich in großer Geste und mit lautem Knall nähern kann – die volle emotionale Dröhnung, überbordend und frontal auf die Rezeptionszentren der Zuschauer einhämmernd – oder man wählt, wie der türkische Virtuose der Langsamkeit Nuri Bilge Ceylan, den weniger offensichtlichen Weg und schleicht sich auf vollkommen anderem Wege an die vielschichtigen Dilemmata des menschlichen Seins heran. Still, verständnisvoll beobachtend und weit mehr am Abklang, plus den seelischen Nachwirkungen des Sturms, als am eigentlichen Epizentrum interessiert. Will man Effekte haschen, oder ist man auf der Pirsch, um das Wesen des Menschen zu durchdringen und, auch wenn dieses Ziel sicher ins utopische geht, irgendwann mal zu verstehen?

Ceylan erzählt in seinem 2008er Werk ÜC MAYMUN auf so vielen Ebenen von so vielen Dingen, dass es im Nachgang einiges an Reflektion bedarf, um das Gesehene übersichtlich zu sortieren und (ein) zu ordnen. Da ist zunächst der Politiker Servet, der nachts auf einer Landstraße einen Mann überfährt, doch aus Angst vor Popularitätsverlust seinen Chauffeur Eytüp die Schuld übernehmen und für reichliche Bezahlung ins Gefängnis wandern lässt. Da sind dessen Frau Hacer und Sohn Ismail, die mit den Folgen der Haft kämpfen und sich nur ungern in Abhängigkeit des Politikers begeben wollen. Und zuletzt ist da Eytüp, der nach Verbüßung dieser Haftstrafe ins Straucheln gerät, weil die Zahnräder seiner Welt sich ohne ihn weiter gedreht haben. An den Fakten orientiert, vermittelt diese Auflistung, worum es in ÜC MAYMUN geht, viel spannender jedoch ist, wovon der Film uns über die sichtbare Handlung hinaus erzählen möchte?

Ceylan’s Werke definieren sich nicht über Eckpunkte eines Plots, die die Figuren gehetzt abgrasen, damit zum Schluss alle Haken auf der Drehbuch-Checkliste des klassisch(-langweiligen) Dreiakters gesetzt sind. Wichtig ist, was im doppelten Sinne – im Inneren der Figuren, aber auch in dem was der Schnitt zwischen den Szenen zu zeigen ausspart -zwischen den Zeilen passiert: Der Gefängnis-Aufenthalt des Vaters scheint zunächst ein tiefes Loch in Alltag und Funktion der Familie zu reißen. Doch ist vorher alles in bester Ordnung gewesen? Lebten sie glücklich und harmonisch zusammen? Dem ist nicht so und es sind die kleinen Fetzen, die Ceylan fast beiläufig einstreut, welche schleichend das Bild einer völlig dysfunktionalen Familie formen und davon berichten, dass die Abstinenz von Eytüp lediglich offene Wunden wieder freigelegt und letztendlich noch tiefer eingerissen hat – hier ist schon lange nichts mehr wie es sein sollte, weil einschneidende Ereignisse Spuren hinterlassen, die unter Umständen irreversibel entzweien.

Was andere Drehbücher in seitenlangen Dialogen nicht schaffen, verpacken Ceylan und der überragend aufspielende Cast in Bildern und subtilsten Charakter-Regungen. Es sind Blicke, leichte Verschiebungen der Betonung oder kaum merkliche Körpersprache, die von Verzweiflung, von Sehnsucht und von geplatzten Träumen erzählen. Es sind die allzu menschlichen, gänzlich unspektakulären Situationen, in die die Figuren geraten und die sie Entscheidungen treffen lassen, aus denen Fragen über Gesellschaft, Machtverhältnisse und Aufopferung entspringen. Hatte Eytüp eine Wahl, oder wann ist die Entscheidungsfreiheit, die man zu haben scheint nur vermeintlich? An welchem Punkt wird eine unglückliche Ehe zur Fessel, die zu sprengen nur ein harter Schnitt ermöglicht? Wie viel Erwartungen eines Vaters an einen Sohn wirken noch belebend und wo setzt die Lähmung unter all dem Erwartungsdruck ein?

Fragen über Fragen – in rohen, fantastisch anmutenden, teils Gemälde-reifen Bildern streift ÜC MAYMUN eine wahre Fülle an gesellschaftlichen, existenzialistischen und auch sozial-politischen Themen. So viele, dass er trotz des enorm entschleunigten Tempos fast schon ein wenig überladen wirkt. Ob er es ist, bleibt subjektiv – vielleicht ist es tatsächlich die (zu) dichte Fülle an Denkanstößen, vielleicht aber auch nur fehlende Gewöhnung an solch exakte, im heutigen Kino des Maximalen leider rar gewordene Beobachtungsgabe. Trotzdem der leichten Überforderung, die er auslöst, ist ÜC MAYMUN ein kraftvoll-poetischer, nah gehender Film, der zu Recht die eine oder andere Auszeichnung erhielt.


Wertung
7 von 10 nachdenklichen Dämmerzuständen


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

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