Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Senator / Wild Bunch Germany
Fakten
Jahr: 2013
Genre: Komödie, Klamauk, Satire, Groteske
Regie: Helge Schneider, Andrea Schumacher
Drehbuch: Helge Schneider, Andrea Schumacher
Besetzung: Helge Schneider, Peter Thoms, Tyree Glenn, Rocko Schamoni, Ira Coleman, Salvatore Bonarrigo, Udo Hesselmann, Maurizio Rinaudo, Pete York, Willy Ketzer, Butterscotch, Rudi Olbrich, Carlos Boes, Claudia Raquet, Sven Hiller, Giuseppe Angelone, Sergej Gleitmann, Kim Ju-Hae, Erwin Klempke
Kamera: Voxi Bärenklau
Musik: Helge Schneider
Schnitt: Andrea Schumacher
Review
Helge Schneider – ein Phänomen – geliebt, gehasst, verflucht, angehimmelt, missverstanden, abgefeiert. Die Liste ist endlos, lediglich all die Emotionen aus dem “neutralen Spektrum” müssen selbstverständlich gestrichen werden, weil man den “albernen Helge” wahrscheinlich einfach nicht bloß “ganz nett” findet – man liebt oder hasst die einmalige Kunst dieses Mannes. Eine Kunst die sich mit der Zeit sehr verändert hat.
Hat er, trotz aller ausufernden Liebe zu seinem Werk meinerseits, ganz objektiv betrachtet in den Neunziger Jahren wirklich, obwohl die Bezüge zu Gesellschaft und der Absurdität des menschlichen Daseins immer da gewesen sind, hauptsächlich genialen, albernen, ziemlich bekloppten Dadaismus mit extrem eigener Note abgeliefert – Helge halt – so wurde es doch Anfang des neuen Jahrtausends zunehmend nachdenklicher, melancholischer und einfach anders. Eine tief philosophische Betrachtung des eigenen Selbst und des Daseins in Gänze. Der Schwere des Lebens und den Hürden des Erfolgs. Manchmal zumindest. War natürlich immer noch ein bisschen “albern“.
Diese Tendenzen, machten sich auch in seinen Filmen bemerkbar. Jene Filme, die selbst für absolute Hardcore-Fans schon immer die Bewährungsprobe schlechthin darstellten – ich habe Menschen erlebt, die einen Großteil von Helge’s LPs und Hörspielen auswendig mitsprechen können und trotzdem TEXAS oder PRAXIS DR. HASENBEIN maximal eine halbe Stunde ertragen. Aus meiner Sicht unvorstellbar, aber trotzdem real. JAZZCLUB leitete den filmischen Wandel ein und nun, 10 Jahre später, bestätigt 00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE den beobachteten Drift endgültig. Die Filme sind gereift, wie auch ihr Macher es ist. True blue, erwachsen geworden und nostalgisch verqualmt, wie die Atmosphäre der aus der Zeit gepurzelten Jazzclubs, in denen Helge sich nach wie vor am wohlsten zu fühlen scheint.
Helge ist heute ein Anderer, als vor fast genau 20 Jahren, als er das erste mal Kommissar 00 Schneider war. Das weiß er, doch vergessen wer er gewesen ist, hat er ganz sicher nicht. Auch nicht, dass seine früheren Werke nicht nur von ihm, sondern auch von vielen tollen Personen, die leider alle nicht mehr sind, gelebt haben. Kein Schlingensief, kein Körschgen, kein Andreas Kunze mehr. Doch das Wissen um diese Begebenheiten, der daraus resultierende Respekt für das Vergangene, aber das selbstverständliche Bewusstsein dafür, dass das was jetzt ist etwas anderes sein muss, als das was damals war, sind in seinem neusten Werk wunderbar austariert und machen IM WENDEKREIS DER EIDECHSE einmal ums Neue zu einem großartigen Stück Helge-Kunst.
Kommissar Schneider: “Diese verdammten Verbrecher. Aber ohne sie wäre ich sicher arbeitslos und würde Hartz 8 oder 10 bekommen.“
Es ist die reine, selbstverständliche Art, mit der vollkommene Absurditäten so unaufgeregt gezeigt werden, dass sie oft erst auf den zweiten Blick zu bemerken sind. Es ist der Helge-Charme der omnipräsent mitschwingt. Es sind die neuen, alle unheimlich kauzigen und liebenswerten Nebenfiguren wie Special-Agent Cole, oder Tante Tyree aus America, die ihm aufs Neue tolle Gegenüber darstellen. Und es ist vor allem auch das Auflodern des alten, mal sinnfreien, mal pointiert die Eigenarten der deutschen Kleinstadt-Hölle aus dem großen Kuchenstück des Lebens heraus filetierenden Helge-Wahnsinns zwischendurch. All das lässt sowohl in der Vergangenheit schwelgen, macht in der Gegenwart Spaß und tariert den Blick in Helge’s künstlerische Zukunft in optimistische Bahnen.
Es war schon immer eine Stärke des Mühlheimers, seine Welten wie einen Fremdkörper in der unseren zu platzieren. Völlig aus der Zeit fallen zu lassen. In 00 SCHNEIDER’s neustem Fall, treibt er dies zur Perfektion: Eingestaubte, vergilbte Kulissen, ausschließlich – vom Transistor-Radio bis zur Richtfunk-Abhör-Anlage – verwendete Technik von anno Dazumal (60er kommt hin), Lotto-Scheine, die seit Jahrzehnten schon nicht mehr so aussehen – die Liste ließe sich, von den verwendeten Autos bis zur Einrichtung der Wohnungen und Büros, endlos weiterführen. Die Schrulligkeit, die dieser neuste seiner Filme durch die Wahl der Mittel erlangt, stellt das dagewesene in den Schatten. Wer Kritikpunkte suchen will, könnte an dieser Stelle bemängeln, dass IM WENDEKREIS DER EIDECHSE fast schon zu rund, zu stimmig, zu perfekt wirkt, um mit dem bekannten anti-Kino des Komikers Hand in Hand zu gehe. Doch der Schein trügt.
Bauer Brian: “Wir wollen jetzt unser Huhn zurück.”
Kommissar Schneider: “Haut ab, hier gibt’s kein Huhn!“
Dass der Film in seinem körnigen, knisternd-warmen Look (auch nach herkömmlichen Maßstäben) sehr gut aussieht, trügt vielleicht auf Anhieb, ändert aber nichts daran, wie unfassbar sich die meisten der Szenen bei genauerem Hinsehen gestalten. Zwar gibt es so etwas, wie eine rahmengebende Story, welche sogar geringfügig mehr Raum als im Vorgänger bekommt, doch ist diese weder in irgendeiner Art und Weise auf Funktionalität hin gebürstet, noch regiert je etwas anderes, als eine durch und durch irrsinnige Absurdität. Dinge passieren weil sie passieren. Die “Police” besteht aus amerikanischen Special-Agents mit Aktenkoffer, italienischen Chiefs und britischen Fahrradpolizisten – alle in der jeweiligen Landesuniform – weil es so sein muss. Gorillas mischen alte Damen beim Kuchenessen auf, weil gerade über sie im Radio berichtet wurde. Ein blutender Koffer im Foyer der Polizei wird nicht bemerkt, weil es wichtigeres gibt. Und Eidechse spuckt, weil alle 400 Jahre ein Echsenmensch geboren wird – anders kann es doch gar nicht sein?
Putzfrau: “Vorsicht, der will Grapschen!“
Doch die wahren Highlights entstehen, wenn Kommissar Schneider sich unter die “Bordsteinschwalben” mischt, in Zeitlupe gegen den über-Villain kämpft, clevere Abkürzungen nimmt, um eine Waschmaschine zu kaufen. Oder auf der Orgel schläft. Schön dabei ist vor allem, mit welcher selbstbewussten Freude Schneider sich selbst zitiert: Carlos ist wieder da und raucht (wie alle anderen Figuren, immer, was hier wörtlich bedeutet: in jeder Einstellung), Erdbeben bringen ins Wanken, Diether Thoms als Kiosk-Frau “schämt sich“. Der Kiosk ist natürlich ein Zigaretten-Laden (kein “Zigarrenladen“) und wie Cole treffend feststellte, ist “Zigaretten-Diebstahl das schlimmste was es gibt. Das Allerschlimmste!“. Ja, Zigaretten spielen eine Rolle.
Carlos: “Wenn der Alte wüsste watt er verpasst! Rauchen, datt is noch besser wie Fernsehen! Datt is’ datt allerbeste!“
Ob der neue Film nun besser, schlechter, oder den ewig grenz-genialen Helge-Klassikern ebenbürtig ist, spielt absolut keine Rolle, denn Helge ist Helge und jeder Fan sollte ihn schauen, weil er sonst einfach ein gutes und wichtiges Stück Helge-Kultur verpasst. Einen existenzialistischen Struggle, der uns vor Augen führt, wie schwer es ist, in einer aus dem Ruder gelaufenen Welt, voll “gefährlicher Zigaretten- und Huhn-Diebe” und “Sex-Ferkel” zu bestehen. “To be a man” halt. IM WENDEKREIS DER EIDECHSE bringt so viel neues, wie einen Haufen Zitate aus der Vergangenheit, weiß wo Helge war, ist und hin will. Kommissar Schneider musste den Beruf erst erlernen, ermittelt, auch Undercover, gibt Interviews, schreibt seine Memoiren. Meditiert in der Einöde. Traut gutgläubig unbekannten Tanten. Und hat schlussendlich mit diesem Film den Platz für “Albernheiten” in meinem Herzen wieder ein riesiges Stück vergrößert.
Wertung
8 von 10 heiß gerauchten Zigaretten
Veröffentlichung
00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE ist bei Senator / Wild Bunch Germany als BluRay und DVD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Making-Of, Selbstinterview von Helge Schneider, Verpatzte & nicht verwendete Szenen, Trailer. Die Discs kommen im Wendecover ohne FSK Logo.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):
Mit dem Film bin ich bei Schneider voll eingestiegen. Ich find’ ihn ehrlich gesagt noch besser als sein Frühwerk und vor allem auch “Jazzclub”, der mir schlicht nicht absurd genug war. Zwar hat sein Frühwerk die besten Einzelszenen, der hier dafür die beste Stimmung mit seiner total willkürlichen Welt: Dass hier die meiste Absurdität gerade im Hintergrund stattfindet, macht ihn (für Schneiderverhältnisse) fast subtil, irgendwie merkwürdiger, “beunruhigender” als das vordergründig absurde Frühwerk. Super Sache.
Interessante Sicht! Ich bin schon zu lange Helge-Fan, als dass dieser Film seine alten Sachen vom Thron stoßen könnte, was du schreibst ist aber echt spannend. Weil es nur ein wenig drüber, aber unterschwellig so absurd ist, hat das schon was sehr verstörendes.