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Comic: Blutch – Ein Letztes Wort Zum Kino (2013)

Titelbild & Bildausschnitte © by Reprodukt


Eckdaten
Story: Blutch
ArtworkBlutch
ColoristBlutch
Genre: Intellektuelle Abhandlung
LabelReprodukt
Umfang: 88 Seiten
Gelesen: Deutsche Übersetzung, Hardcover, September 2016



Plot
Von einem Plot kann in diesem Buch keine Rede sein. Autor Blutch reflektiert auf sehr, sehr abstrakte Weise in einem losen Strom von Bildern, fiktiven Momenten und Impressionen aus der Filmgeschichte sein eigenes Verhältnis – anscheinend eine ausgeprägte Hassliebe – zum Kino, vergöttert und verflucht es zugleich, verteidigt es und macht es nieder. Dem wohnen wir bei. That’s it.


Review
Der Ansatz des Autors ist ein sehr persönlicher und in seiner fragmentarischen Sprunghaftigkeit so wirr, dass EIN LETZTES WORT ZUM KINO problemlos David Lynch’s INLAND EMPIRE Konkurrenz macht – Blutch’s krude Mischung aus Film-Fragmenten, Schauspielern (die mit verschieden alten Versionen ihrer Selbst, sowie dem Autor selbst interagieren) und verbitterten Regisseuren vergangener Tage, formt einen befremdlichen Mix aus allem, was er (anscheinend) irgendwie mit dem Thema Kino verbindet. Gedankenströme, die er in größtenteils zusammenhangslos auf den Leser einprasselnde Bilder überführt – Bilder, die enorm in den eigenen Erfahrungen und Sichtweisen verhaftetet, durch und durch von der eigenen Sozialisation geprägt sind. 

Ohne diese Sozialisation als Leser zu teilen – die erwähnten Darsteller, Filme oder Fragmente beziehen sich fast ausschließlich auf das klassische (zu großen Teilen europäische) Kino der fünfziger und sechziger Jahre – besteht leider eine schier unüberwindbare Einstiegshürde in Blutch’s Gedankenwelten. Und auch wenn sich im Nachhinein, nach reichlich ausgefochtenen Kämpfen gegen die omnipräsenten Fragezeichen vor dem inneren Auge, zumindest eine vage Ahnung von der Zielsetzung des ganzen, sowie des ein oder anderen verarbeiteten Themas eingeschlichen hat – die ständige Kontextualisierung des Realen mit den Welten des Kinos, sowie das Unverständnis mancher Mitmenschen für die tiefe Liebe zu selbigen, kennt wohl jeder überdurchschnittlich Film-affine Mensch – so habe ich doch selten ein Werk erlebt, zudem es mir so unmöglich war, auch nur den geringsten Zugang zu finden.

Das mag tatsächlich an der fast vollständig fehlenden Bildung im Bereich der thematisierten Werke liegen – wenn seitenlang der körperliche Wandel eines legendären Schauspielers verhandelt wird, von dem man selbst kaum einen Film gesehen hat, oder bedeutende Vertreter der Nouvelle Vague gelangweilt mit der eigenen Filmströmung abrechnen, schwingt wenig eigene Erfahrung mit dem gezeigten in Resonanz, weil man sich, ohne ihn, oder seine Nachwehen erlebt zu haben, des damaligen Zeitgeistes schlichtweg nicht bewusst ist. Ihn (wenn überhaupt) nur noch aus vagen Erzählungen kennt, irgendwo mal gelesen hat, wie z.B. letztere französische Filmströmung als der revolutionäre Aufbruch in etwas Neues gefeiert wurde, aber nicht weiß, wie es sich anfühlte, als Teil des kollektiven Geistes damals diese Werke mit großen Augen zu sehen. Nicht weiß, wie das Kino damals wahrgenommen wurde.

Dachte man wirklich mal es hätte die Kraft, gesellschaftlich etwas zu bewegen? Oder kritisiert Blutch hier einen zu verkopften Ansatz im damaligen Autorenfilm, der sich im Nachgang eher als Blendwerk entpuppte? Weil er vorgab die Welt zu verändern und dann in sich zusammen fiel? Ich habe keine Ahnung.

Allerdings kann fehlende filmische Grund- bzw. eher Fortgeschrittenen-Bildung nicht das alleinige Problem darstellen, das zeigt der Vergleich zum hier zuletzt vorgestellten Buch CINERAMA. Dort tut ein anderer Autor auf teils gleiche, weil auch fragmentarisch-assoziative, teils völlig andere, nämlich spielerisch-humorvolle Weise genau dasselbe – er reflektiert ebenfalls sein durchwachsenes Verhältnis zum Kino. Trotz ähnlicher Unkenntnis der meisten thematisierten Werke, ließ mich CINERAMA mit vor Lachen strapazierten Bauchmuskeln und tränenden Augen zurück.

Blutch’s Ansatz hingegen wirkt hölzern, regelrecht überintellektualisiert. Unangenehm sperrig. Da findet ein verirrter Barbar in einer alten Fabrik eine angelnde Version des Autors, der gelangweilt verrottenden Fische aus einem Becken zieht vor (oder sollte diese Person doch eher Regisseur Jean-Luc Godard darstellen?), da geht eine andere Version des Autors seiner Frau an die Wäsche doch kommt nicht zur Sache, weil er gedanklich scheinbar eher im Kino sitzt und mit den Namen vergangener Schauspieler um sich wirft, da plappern intellektuell aussehende, rauchende Personen von der Wertlosigkeit des Kinos – und mir gab das nichts, außer dass ich mich fast durchweg fragte:
What’s the point?

Zwar eröffnet EIN LETZTES WORT ZUM KINO mit einem poetischen Zitat, das uns deutlich klarmacht, auf den folgenden Seiten vor allem einen Gedankenstrom vorzufinden, in dem alles passieren kann, aber trotzdem muss es doch – zumindest partiell – gelingen, die Endprodukte derartiger Assoziations-Ketten auf die ursprünglichen Gedanken zurück zu führen. Um eine Ahnung zu erlangen, was der Autor eigentlich ausdrücken, oder mit sich selbst ausfechten möchte. Nicht hier. Keine Chance. Wahrscheinlich bin ich nicht intellektuell genug, um mich in rauchenden Diskussionsrunden, die ausschließlich Kino mit Substanz vergöttern und tiefschürfend über “den Sinn der Dinge” diskutieren wieder zu finden, vielleicht war ich auch beim Lesen nicht ganz da und ganz sicher fehlt mir das Repertoire – von Viconti bis Cuny – um überhaupt verstehen zu können, wo hier Humor, oder Kritik, oder gar Satire schlummern – warum auch immer, unterm Strich habe ich nach dem Lesen kein Gefühl dafür, wie Blutch denn nun zum Kino steht. Warum er (oder doch nur die Menschen um ihn herum) die Cinephilie als etwas abstoßendes ansehen? Wo die “nicht gehaltenen Versprechen” liegen?

Inhaltlich (und leider auch in Bezug auf den Schwarz-lastigen, sehr skizzenhaft-kritzeligen Zeichenstil) absolut nicht meins. In CINERAMA bekam ich Lust, die persiflierten Werke zu sehen und dann erneut über die Erfahrungen des Autors nachzudenken, hier verstehe ich auf einem elementaren Level nicht, was er mir sagen will. Aber vielleicht muss man Godard mögen, um dieses Buch zu mögen – das könnte den Unmut erklären.


Weblinks
REPRODUKT
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