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Comic: Alejandro Jodorowsky & Moebius – Incal Vol. 1 – The Black Incal (1981)

Titelbild & Bildausschnitte © by Humanoids


Eckdaten
StoryAlejandro Jodorowsky
ScriptAlejandro Jodorowsky
ArtworkJean Henri Gaston Giraud (Moebius)
Genre: Science-Fiction, Dystopie, Abenteuer
Label: Humanoids
Umfang: 50 Seiten
Gelesen: Englisch, Digital, Juni 2016



Plot
John DiFool ist Privatdetektiv in der futuristischen Megacity Terra 21. Auf einem dubiosen Auftrag fällt ihm in den Katakomben der Stadt ein unbekanntes Artefakt in die Hände, dem, wie sich bald zeigt, übernatürliche Kräfte innewohnen und unzählige Parteien hinterher jagen – teils mit brutalen Mitteln. Die Regierung setzt den Kopfgeldjäger Metabaron auf ihn an – zur Flucht gezwungen verlässt er in Begleitung seines Haustiers – einer Möwe – die Stadt und landet in der riesigen Technocity.


Review
Als Filmfan, mit der Intention in die unendliche Welt der Comics hinein zu schnuppern, drängen sich vereinzelte Bücher als Einstiegspunkte förmlich auf – eine der ersten Anlaufstellen aus diesen offensichtlichen Kandidaten bildet natürlich der Comic-Output eines der Großmeister des surrealen Kinos: Alejandro Jodorowsky. Sein Debut in dieser Kunstform ist die Serie INCAL, die er Anfang der 1980er gemeinsam mit dem französischen Zeichner (und Künstler) Mœbius realisierte. Zwei eigensinnige Köpfe am Werk – sollte mich etwa ähnlich größenwahnsinniger Irrsinn erwarten, wie Jodorowsky ihn zuvor mit seiner gescheiterten Adaption vonFrank Herbert’s DUNE hatte liefern wollen (und einfach zu viel wollte, weswegen den Film dann doch David Lynch Jahre später realisierte)? Oder eine bissig-verdrehte Version der Realität wie in MONTANA SACRE oder EL TOPO? Spoiler vorweg: Nichts davon, der Qualität (und Weirdness) des Werkes tut diese Erkenntnis allerdings keinen Abbruch. 

Möchte man zwanghaft filmische Vergleiche suchen (wie ich es anscheinend ganz automatisch tue), eröffnet sich dem Leser in THE BLACK INCAL, dem ersten Teil der Reihe, viel eher eine Mixtur aus den bunt-überbordenden Space-Operas der späten Siebziger – andersartige, überdimensionierte Welten voll fremder Alien-Rassen – gewürzt mit einer Prise Abenteuer a la INDIANA JONES und zusätzlich in Symbiose mit der Ästhetik des (allerdings erst NACH dem Start der INCAL-Reihe erschienenen) verdreckten Metropolen-Molochs aus BLADE RUNNER. Vom ersten Panel an, in dem wir den gerade tief in der Scheiße steckenden Privatdetektiv John DiFool im Sturzflug kennenlernen, schaffen Jodorowsky und Mœbius aus all diesen Referenzpunkten etwas gänzlich eigenes und setzen uns eine ausufernd gestaltete SciFi-Welt (bzw. -Stadt) von enormem Detail- und Kontrastreichtum vor.

In einer, aus hunderten übereinander gesetzter Etagen und Plateaus zusammengesetzten (aber dennoch einen einzigen, endlosen Gebäudekomplex formenden), futuristischen Megacity, geht unser desillusioniert-zynischer Protagonist mehr schlecht als recht seinem Broterwerb nach – meist weit unten, in den verranzten Bezirken, für die die schimmernde Welt der “Aristos” ganz oben um Lichtjahre entfernt scheint. Sein Umfeld wird zwar beispielsweise von einer hochgradig technisierten Roboter-Polizei reguliert, rein optisch dominieren aber vor allem Kleidung und Stil einer längst vergangenen Epoche – DiFool und seine Mitbürger könnten (ganz im Gegensatz zu der futuristischen Technologie um sie herum) in ihren barocken Schnallenschuhen und Herrenkleidern unmittelbar dem Wiener Opernball (oder noch früher: Kolumbus’ Entdeckerschiff Santa Maria) entsprungen sein.

Eine seltsame Mischung, die es organisch zu verpacken gilt, doch der (frankobelgische) Zeichenstil von Mœbius vermischt mit lockerem Händchen, was eigentlich nicht zusammen gehört und leitet visuelle Spannungen daraus ab.

Da THE BLACK INCAL nur den knapp 50-seitigen Auftakt einer mehrere 100 Seiten umfassenden Graphic Novel darstellt, kommt inhaltlich gerade so der Stein ins Rollen – DiFool nimmt den falschen Job, der ihn zur falschen Zeit an den falschen Ort leitet, an und stolpert durch einen blöden Zufall in eine Sache hinein, die er weder versteht, noch ihr gewachsen ist. Konkret: ein geheimnisvolles Artefakt fällt ihm in die Hände, welches auf unerklärliche Weise seinen Vogel zum sprechen (und wunderheilen) bringt, ihn selbst seine tiefsten Emotionen erkennen lässt und – das ist wohl das wichtigste daran – von zig anderen, teils hochgradig kuriosen Parteien mit drastischen Mitteln gesucht wird.

Fantastisch daran ist jedoch weniger die konkrete Geschichte, sondern die Beiläufigkeit mit der Jodorowsky und Mœbius zwischen den Zeilen in fluffig-sarkastischem Ton eine beißende Gesellschaftskritik entwerfen. Leben zählen in dieser dystopischen Welt nicht viel, Millionen ihrer verarmten Bewohner aus den unteren Bezirken, scheinen zudem nicht allzu stark an den ihren zu hängen – warum sonst sollten Selbstmörder, die mitten in der Stadt in einen Säure-See hüpfen direkt unzählbare Nachahmer herauf beschwören? Mœbius’ Bilder sprechen für sich und zeigen uns soziale Ungleichheit, plus den aus ihr resultierenden Menschen am Rande der Verzweiflung.

DiFool allerdings, lässt all das Getümmel ziemlich kalt – so suggerieren es zumindest seine ständig präsenten (schon wieder noir’esken) Gedankenströme, die vor bitterem Zynismus überzuquellen drohen. Soll sich der Präsident doch zum neunten Mal in einen jüngeren Körper transferierten, um seine Herrschaft zu einer ewigen zu machen – die Leute hinterfragen das eh nicht mehr, weil idiotisch-verdummende TV-Shows wie PISS AND FECES sie an der Angel haben. Ganz unaufdringlich bekommen in THE BLACK INCAL Obrigkeiten und ihr Umgang mit Macht, sowie das unreflektiert Medien- und Fortschritts-hörige Volk ihr Fett weg. Dass sich in Terra 21 eine brutale Zweiklassengesellschaft ausgeformt hat, in der die reiche Oberschicht wortwörtlich auf das niedere Volk herab sieht, ist dabei noch das am wenigsten subtile Symbol – und trifft den Nagel dennoch.

Doch obwohl das kritische Setting, in dem auch mehrfach alles andere als zimperlich mit Querulanten umgegangen wird, den Freifahrtschein für eine schwere Umsetzung mitliefert, macht THE BLACK INCAL eine ganze Menge Spaß. Immerfort schwingt eine gesunde Skurrilität mit, auch die Kritik ist nicht ohne humoristisch-überzeichnete Spitzen verpackt und so begleiten wir DiFool (angelehnt an den “Fool” auf Tarot-Karten) auf seinem holperigen Weg aus Terra 21 hinaus, bis in die Tiefen der Technocity mit einem dauerhaften Grinsen – auch weil Jodorowsky ihn wunderbar zwischen egoistischem Arschloch und durch und durch liebenswertem Loser austariert. Irgendwo zwischen wesensstark und weinerlich – sein unberechenbares Gemüt führt zu abstrusen Unterhaltungen mit seinem Vogel, einer sehr eigenen Weltsicht und vor allem einem Helden, der gar kein Held ist. Einfach nur ein Typ, der lieber seine Ruhe hätte und dabei immer tiefer rein gerät.

Großartiger Auftakt! Macht sofort Lust darauf, ihn weiter auf diesem unfreiwilligen Abenteuer (und der Flucht vor dem geheimnisvollen Metabaron) zu begleiten, herauszufinden was es mit Technopriestern, Wolfsmenschen und Mutanten auf sich hat, etc. Da will (und werde) ich ganz schnell mehr von lesen!


Weblinks
Humanoids
COMICBOOKDB
COMIXOLOGY
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5 Gedanken zu „Comic: Alejandro Jodorowsky & Moebius – Incal Vol. 1 – The Black Incal (1981)“

  1. Zweiter Comic?
    Und..HA…ich kenne den sogar!

    Moebius ist ein Gott für mich.
    Ich mochte ihn schon sehr als er sich sich noch GIRAUD nannte und solche Sachen wie LEUTNANT BLUEBERRY zeichnete, die eigentlich Sergio Leone Western in Comic Form sind.

    Das sind Bilder von erhabener Schönheit und Raffinesse, da kann ich nur meinen Hut vor ziehen.

    Dass Jodorowsky, Mr. EL TOPO, die Story um den Incal geschrieben hat war mir allerdings neu. Jetzt verstehe ich ein wenig besser, das ich die Geschichte als solches nie begriffen habe
    Keine Abwertung, ich genieße die Bilder, das reicht mir vollkommen.

    1. Jodorowsky WILL ja auch nicht so wirklich begriffen, sondern eher auf eine verquere Weise erfahren werden.

      Von Moebius will ich nun auch mehr lesen/sehen – toller Stil!

  2. Aaaaaaach ich schleiche schon so lange um die Werke von Moebius, v.A. die Incal-Bücher. Warum habe ich die noch nicht gelesen? ich weiß es nicht … . Die Bilder von Moebius faszinieren mich extrem. Die tiefen Schluchten und feinen Linien, die Landschaften und Pespektiven – toll.

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