Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Universal Pictures Germany
Fakten
Jahr: 2015
Genre: Biopic, Musikfilm, Drama
Regie: F. Gary Gray
Drehbuch: Jonathan Herman, Andrea Berloff, S. Leigh Savidge, Alan Wenkus, Andrea Berloff
Besetzung: O’Shea Jackson Jr., Corey Hawkins, Jason Mitchell, Neil Brown Jr., Aldis Hodge, Paul Giamatti, Marlon Yates Jr., R. Marcos Taylor, Keith Stanfield, Carra Patterson, Alexandra Shipp, Elena Goode
Kamera: Matthew Libatique
Musik: Joseph Trapanese (Score)
Schnitt: Billy Fox, Michael Tronick
Review
Als sich in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre eine Gruppe DJs und MCs im berüchtigten L.A.-Stadtteil Compton zusammenschloß, um das zu tun, was (einige von ihnen) am besten konnten – Rap-Musik produzieren – hätte wohl niemand von ihnen geahnt, dass sie Jahrzehnte später als die Wegbereiter eines ganzen Sub-Genres, dem Gangsta-Rap, gelten sollten. N.W.A., die Niggaz wit Attitudes, schafften das damals undenkbare: trotz Radio- und MTV-Boykott, ohne wirkliche Promo, also einzig über Hörensagen und Mund-zu-Mund-Propaganda, erkämpfte sich ihr roher, harter Straßen-Sound schleichend einen Platz in den Charts, einige (auf kontroversen Lyrics basierende) Probleme mit den Bundesbehörden und vor allem eine landesweite fanatische Anhängerschaft. Fast 25 Jahre nach dem Auflösen der Gruppe (und 20 nach dem tragischen AIDS-Tod Eazy-Es) setzen sich die vier verblieben Gründungsmitglieder ein filmisches Denkmal: STRAIGHT OUTTA COMPTON.
Und man braucht sich nichts vormachen – dieser Film feiert das Vermächtnis der Crew bis ins Letzte und ist demnach wohl vor allem ein Werk für langjährige Hip-Hop-Fans! Formell zwar ein gewöhnliches Biopic vom Reißbrett, das sämtliche wichtigen Stationen von Gründung, über erste Konflikte, bis zur Auflösung abgrast, sowie den folgenden rasanten Solo-Karrieren von Ice Cube und Dr. Dre genügend Platz einräumt, atmet STRAIGHT OUTTA COMPTON doch durch und durch den Geist der Musik und lässt des Rap-Fan’s Herz in regelmäßigen Abständen höher schlagen. Persönliche, tiefe Einblicke in das tatsächliche Wesen der fünf Musiker gewähren Regisseur F. Gary Gray (und die 5 (!) Drehbuchautoren) zwar nur selten, faszinierende Auszüge aus dem begeisterten Schaffensprozess in Studios, dem energetischen Eskalieren auf Bühnen und den Problemen, die Lebensstil und Einstellung der jungen Männer zwangsweise mit sich bringen, dafür umso mehr. Wenn das Ensemble auf einem heiklen Konzert in Detroit gegen alle vorherigen Warnungen FUCK THA POLICE performed und das Publikum schier ausrastet, oder Dr. Dre und sein langjähriger Wegbegleiter Snoop Doggy Dogg Jahre nach der Trennung der Gruppe in einer spontanen Session die Vocals von NUTTIN’ BUT A G THANG erarbeiten, geht das so sehr ins bouncende Herz, das dies vor Freude mit dem Kopfnicken beginnt.
Ist der Film denn abseits davon notwendig reflektiert? Wie stellt er das Gangsta-Milieu dar? In einer Szene wird Ice Cube bei einer Pressekonferenz dazu befragt, ob er es eigentlich verantworten könne, in den Texten der Gruppe Gewalt, Mord und Verbrechen zu propagieren und somit ja auch irgendwie zu glorifizieren. “It’s a representation of the reality around us” antwortet er selbstsicher und direkt ist das Thema von Tisch. Doch ist das tatsächlich so? Ist dies eine ehrliche Antwort? Einer (zeitgleich zu N.W.A. entstandenen) Formation wie Public Enemy kauft man ihre harsche Gesellschafts- und Systemkritik mühelos ab, doch war speziell der von N.W.A. etablierte Gangsta-Rap damals, oder ist er evtl. gar heute noch ein tatsächlicher Spiegel der Missstände abgestürzter gesellschaftlicher Randgruppen? Schwierig. Die Diskussion der Pros und Contras führt ganz sicher zu weit, denn beginnt man Sinnhaftigkeit, Wahrheits-Gehalt, oder gar Daseinsberechtigung dieser Musik zu wägen, ufern diese Betrachtungen mit Gewissheit in eine den Rahmen sprengende soziokulturelle Diskussion aus. Muss nicht sein, vor allem da die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt: zu leugnen, dass der Ghetto-Lifestyle eine morbide Faszination auf die Hörer (damals UND heute) ausübt(e), wäre mehr als blauäugig, zu behaupten, Songs wie FUCK THE POLICE hätten ihren Ursprung nicht in weitreichenden realen Problemen ebenso. Doch diese Diskussion führt der Film nicht, insgesamt ist STRAIGHT OUTTA COMPTON sicher nicht an einer kritischen Aufarbeitung des eigenen Sujets gelegen.
Und wie steht es um die (von den jungen Schauspielern, unter anderem Ice Cube’s Sohn O’Shea Jackson Jr., großartig umgesetzte) Darstellung der Figuren? Gerade Eazy-E, das einzige Crew-Mitglied welches nicht mehr gegen verfälschte Präsentation aufbegehren kann, kommt, auch wenn sein Werdegang klar auf einer versöhnlichen Note endet, insgesamt sicher nicht allzu gut weg. Eins sollte man jedoch im Hinterkopf behalten: STRAIGHT OUTTA COMPTON ist keine Dokumentation, und nie, ich wiederhole – NIE – sollte man die Ereignisse eines Biopics für bare Münze nehmen. Wird er im richtigen Licht dargestellt? Das wissen vielleicht nicht mal mehr die tatsächlichen Beteiligten – subjektive Erinnerungen vernebeln im rauchigen Verlauf der Zeit – und so taugt diese Geschichte um Aufstieg und Fall weniger zur Analyse persönlicher Merkmale der Rapper, sondern vor allem im Hinblick auf die universelleren Themen: Immer wieder werden Polizei-Wilkür und -Brutalität angesprochen, lange zieht sich Ausnutzung durch die “falschen Freunde” durch den Film, später werden Verlust, Versöhnung und Vergeben relevant – alles jedoch in dem (kleinen) Rahmen, der abseits der Musik noch für Drama übrig bleibt. Am besten fasst die Absicht dieses Werks vielleicht eine bestimmte (absolut wundervolle) Szene zusammen: Nachdem Ice Cube wegen finanzieller Differenzen die Gruppe verlassen hat, um mit anderen Produzenten an der East-Coast sein solo-Debut AMERIKKKA’S MOST WANTED aufzunehmen, inszeniert Gray eine fantastische Parallel-Montage zwischen ihm in der Studio-Booth, der wütend und laut NO VASELINE, den ultimativen Diss-Track gegen die früheren Weggefährten, einrappt und eben diesen, wie sie in großer Runde erstmalig genau diesen Song hören. Jeder kriegt aufs übelste sein Fett weg, wird in den Lyrics beleidigt und durch den Kakao gezogen – und doch sieht man, wie die Männer am liebsten applaudieren würden, weil der Track einfach nur burnt! DAS ist die Intention dieses Films: sich gut gelaunt vor Musikgeschichte zu verneigen. Ziel erreicht – genau das ist geglückt.
Wertung
7-8 von 10 bouncenden Konzertauftritten
Veröffentlichung
STRAIGHT OUTTA COMPTON ist am 14. Januar 2016 bei Universal Pictures Germany als BluRay (inkl. 20 minuten längerem Director’s Cut) und DVD erschienen. Im Bonusmaterial befinden sich: Auf der Straße: Dreharbeiten in Compton, Unveröffentlichte Song-Darbietung: Compton’s N The House, Unveröffentlichte Szenen, Aus der Sicht des Regisseurs, N.W.A – Auftritt in Detroit, N.W.A – Die Anfänge, Einfluss, N.W.A – Werdegang.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
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@Marc, @jacker
Klingt sehr gut. Dann werde ich mir den mal bei Gelegenheit auf den Zahn legen
War in der Pressevorführung begeistert! Allerdings muss ich dir wiedersprechen, der Film ist nicht nur etwas für HipHop-Fans. Kann damit gar nichts anfangen, und dennoch wurde ich umgehauen. Zeigt, dass Straight Outta Compton mehr kann als man auf den ersten Blick denkt. Er hat es tatasächlich geschafft, mich für etwas, mit dem ich nichts zu tun hatte, zu begeistern
Krass, das hätte ich nicht gedacht! Aber vielleicht hab ich auch aufgrund der Musik so dermaßen in Erinnerungen und warmen Oldschool-Vibes geschwelgt (ich behaupte mal, ich könnte die wenigsten Textzeilen der Songs im Film NICHT mitrappen), dass mir die Qualitäten des Dramas gar nicht so recht aufgefallen sind