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Film: Paradies – Liebe (2013)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by good!movies


Fakten
Jahr:2013
Genre: Drama, Gesellschaftskritik
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Besetzung: Margarete Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel Mwarua, Josphat Hamisi, Carlos Mkutano, Melanie Lenz, Maria Hofstätter, Livingson Nyambu, Tobias Kasiwa, Anderson Mutisya, Francis Aluoch
Kamera: Edward Lachman, Wolfgang Thaler
Musik: –
Schnitt: Christof Schertenleib


Review
Wir Menschen mögen klare Verhältnisse. Wir wollen mit dem Finger auf jemanden zeigen können, sagen: “Das ist der Böse!” und uns dann, nach dieser klaren und unanfechtbaren Erkenntnis, den anderen zuwenden und feststellen, dass sie unschuldig, fromm und einfach durchweg gut sind. Wir wollen Schuld definieren und zuweisen – deutlich und unumstößlich.

Doch so einfach macht Ulrich Seidl es uns mit dem Auftakt seiner PARADIES-Trilogie leider (bzw. eher zum Glück) nicht. In PARADIES: GLAUBE untergräbt er dieses vereinfachte “ganz oder gar nicht” Denken vollständig – in seiner Welt gibt es nicht die eine Seite, die alles richtig macht und die andere die darunter leidet. Es ist komplizierter. Das Stichwort heißt: Ambivalenz.

Die frustrierte, tief einsame, körperlich wenig anziehende Teresa will aus ihrer österreichischen Vorstadt-Tristesse ausbrechen. Nach Kenia – wenn man dem Film glauben schenken darf, dem Bangkok der sexuell frustrierten Mittfünfziger-Damen. Zunächst herrschen Berührungsängste und Skepsis vor, doch ihre Freundin muss ihr nur noch ein wenig die Ohren vollschwärmen – vom Kokos-Geruch der “Negerhaut” und den Vorzügen solch erkaufter Zärtlichkeiten – und nach anfänglicher Abneigung fällt sie schnell auf die durchtriebene Masche des Einheimischen Munga herein – getrieben von der Illusion der gefundenen Liebe.

Was Seidl uns im Laufe der folgenden zwei Stunden in quasi-dokumentarischer Form vorsetzt, ist sowohl auf eine traurige Art bewegend, wie auch konträr dazu enorm abstoßend.

Liebend gern würde man die frustrierte Dame und ihre respektlosen Urlaubsgenossinen anschreien, wachrütteln und für ihr Verhalten bestrafen. Für ihre Menschen-verachtende Art, die die Afrikaner zu willen- und rechtelosem Fleisch degradiert und auch in deren unmittelbarer Anwesenheit so abfällig wie nur möglich behandelt. Wie Tiere oder eben gekaufte, bezahlte Sex-Sklaven. Und immer wieder schlägt man, ausgelöst von Teresa’s überbordenden Naivität die Hände vor dem Gesicht zusammen und kann es nicht fassen, wie gutgläubig sie denkt, es wäre tatsächlich eine Chance auf echte Gefühle im Spiel. Trotz allem tut sie einem Leid. Ganz echt und ehrlich. Man fühlt ihre Verzweifelung und gönnt ihr, nur ein kleines Bißchen vom gesuchten Glück zu finden – so falsch der Weg dahin auch sein mag.

Und auf der anderen Seite? Die logische Konsequenz aus dem schrecklichen Verhalten der Frauen, wäre Mitgefühl und tiefe Empathie für die male-Prostitutes, die gedemütigten Barmänner, usw. aus Kenia. Doch: So einfach ist auch das nicht.

Durch harte Kontraste – in vollkommener, durch Wachmänner und Begrenzungsseile abgeschottete Nobel-Hotel-Einöde, liegen Heerscharen an weißen Touristen in Reih und Glied, wenige Meter von den kenianischen Einheimischen am Strand entfernt, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als auf potentielle Kunden zu warten, denen sie ein paar Dollar für selbstgemachten Schmuck abluchsen können – schafft Seidl ein Gefühl für die Armut in diesem Land und die tiefe Verzweiflung, die die Einheimischen zu ihren Taten treibt. “Hakuna Matata”, also “alles kein Problem” heißt es nach außen, doch das ist falsche, bewusst aufrecht erhaltene Fassade, denn es gibt ein Problem, ein gravierendes sogar: Geld. Ohne Geld geht nichts. Nichts zu essen, keine Kleidung, kein Haus. Und da bittere Armut herrscht, zirkuliert Geld nur durch den Tourismus. Die reichen Damen ziehen es (absichtlich) als Köder hinter sich her und die Haie riechen Blut und gehen auf Jagd. Jedes Mittel ist recht.

Und so heftig die Armut und die Zustände im Land sind, so abstoßend sind auf auch die perfiden Zocker-Methoden mit denen die Männer über die Tränendrüse abkassieren:
Mein Bruder liegt im Krankenhaus.
Mein Vater hatte einen Unfall.
Bla, Bla..

Nichts mehr “Hakuna Matata”

Ambivalenz.

Teresa will Liebe, Munga will Geld – ein System in dem jede Seite das hat und geben kann, was der andere braucht, jedoch nicht von Herzen, oder aus freien Stücken, sondern nur um zu bekommen was er selber will. Die Ware Mensch.

Seidl dreht einen Film, der uns zwingt Position zu beziehen, aber keinen Hehl daraus macht, wie schwierig das manchmal ist. Weil nicht immer alles, man verzeihe die Formulierung in diesem Kontext, schwarz/weiß ist. Keiner nimmt sich in PARADIES: LIEBE etwas, jeder verdient Mitleid, jeder erzeugt Wut, am Ende verlieren alle auf ihre eigene Art. Das macht den Film schwierig, aber eben auch unheimlich stark. Werten muss der Zuschauer, aufgebaute Beziehungen stürzen in Minuten wieder ein. Eine Suche ohne Ziel, am Ende immer noch nur Leere – allerdings eine, die um einige Enttäuschungen reicher ist.


Wertung
8 von 10 unangenehmen Tausch-Geschäften


Veröffentlichung
PARADIES: LIEBE ist bei good!movies als BluRay und DVD erschienen.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
AMAZON (*) (falls ihr das Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

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