Trailer © by Universal Pictures Germany GmbH
Fakten
Jahr: 2014
Genre: Abenteuer, Gesellschaftskritik, Thriller
Regie: Stephen Daldry, Christian Duurvoort (co-Director)
Drehbuch: Richard Curtis, Felipe Braga (co-Writer), Andy Mulligan (Roman)
Besetzung: Eduardo Luis, Rickson Tevez, Gabriel Weinstein, Selton Mello, Rooney Mara, Martin Sheen, Wagner Moura
Kamera: Adriano Goldman
Musik: Antonio Pinto
Schnitt: Elliot Graham
Review
Man bekommt oftmals den Eindruck, dass in der westlichen Filmrezeption ein seltsamer Glaube vorherrscht: Wenn Filme in Ländern, sozialen Schichten oder Milieus angesiedelt sind, die gemessen an unserem eigenen luxuriösen Lebens-Standard unendlich arm erscheinen, dann können diese Filme ja per Definition nur authentisch sein, wenn es den gezeigten Menschen ausnahmslos und von vorn bis hinten so richtig dreckig geht. Gehen die Filmemacher bewusst einen anderen Weg, fokussieren sich eher auf Aspekte wie Lebensfreude und Hoffnung, bzw. verwehren uns den (leider sehr gewohnten) Mitleids-Blick von außen, dann werden schnell besagte Stimmen laut: der Ton sei viel zu positiv und verkläre die Armutsverhältnisse, es handle sich um belangloses Feelgood-Kino, das von realen Verhältnissen ablenke, etc.
Aber ist das so?
An dieser Stelle zitiere ich mal meinen nigerianischen Schwiegervater – wir kamen öfter mal auf das Thema “Leben in Afrika” bzw. die deutsche TV-Berichterstattung darüber und meist redete er sich schnell in Wallung und wunderte sich enorm, was die Leute hier eigentlich für Vorstellungen von den dortigen Verhältnissen hätten? Ob die Deutschen wirklich glauben würden, dass die Menschen in den Slums, etc. von morgens bis abends betroffen gucken, weinend dasitzen und sich selbst bemitleiden, weil sie ja SO arm sind und es ihnen deshalb SO schlecht geht? Sein Fazit: Was für ein Blödsinn – klar, die Menschen haben wenig und das muss sich endlich mal ändern, aber die meisten machen das Beste draus und bestreiten ihren Weg mit ähnlich viel Lebensfreude wie jeder andere auch, manche sogar mit mehr, weil ohne Materialismus klassische Werte wie Freundschaft, Familie, etc. eine vordergründigere Bedeutung bekommen. Von afrikanischen Studenten habe ich während meiner Uni-Zeit ähnliches gehört, in (vereinzelten) TV-Reportagen, die sich, abseits der gängigen (im Tagesschau-Narrativ etablierten) Schuld- und Mitleidsmotive großäugiger Kinder mit Blähbäuchen, um eine ernsthafte Berichterstattung bemühten, bekamen die Aussagen ein weiteres Fundament. Zwar ist eins vollkommen klar: Armut sollte niemals tatenlos toleriert werden und muss man aufpassen bei derartiger Argumentation nicht ins Gegenteil, also Aussagen der Art “Ist doch alles gar nicht so schlimm”, zu verfallen. Armut ist ein reales Problem, dessen Ausmaße wir uns in unseren bequemen Sesseln, auf unseren übergewichtigen Wohlstands-Hintern sitzend, nicht im Entferntesten ausmalen können – aber “Armuts-Porno” als Synonym für authentische Problem-Filme zu fordern, kann nicht die Lösung sein, es muss mehr als nur einen einzigen “richtigen Ansatz” im Film geben, um die Probleme besagter Regionen zu thematisieren.
Warum ich diese (zugegeben nicht gerade kurze) Einleitung wähle? Weil ich mich gestern in der Sneak-Preview zunächst (mal wieder) selber dabei ertappte, die Validität einer positiven Herangehensweise an die gezeigten Verhältnisse in TRASH anzuzweifeln und ähnliche Tendenzen nun auch in anderen Kritiken entdeckte. Konditionierter Reflex? Wahrscheinlich, denn der überwiegend auf Portugiesisch gedrehte Film des britischen Regisseurs Stephen Daldry ist in bitterarmen Slums gedreht, aber vordergründig von kindlicher Hoffnung, gesundem Humor und einem positiven Blick nach vorne getragen – das irritiert scheinbar. Warum, ist schwer zu sagen, denn eigentlich macht TRASH über weite Strecken keinen Hehl daraus, in welch unmenschlichen Verhältnissen die Hauptfiguren zurecht kommen müssen (und vor allem, wieso es ihnen niemals möglich sein wird aus diesen auszubrechen): Drei vierzehnjährige Jungs leben auf einer Müllkippe außerhalb der Slums von Rio De Janeiro, suchen Nahrung und Wertgegenstände, um über die Runden zu kommen und der Film thematisiert im Vorbeigang eine Vielzahl kolossaler Probleme, Ungerechtigkeiten und abstoßender Gewalttaten in besagtem Lebensumfeld. Die Verachtung der Bevölkerung ist riesig (Straßenkinder werden von gewaltbereiten polizisten aus der Innenstadt fern gehalten), generell sind sie ständig und für die Beamten folgenlos Opfer von Polizeigewalt und die Krankheiten, die das unhygienische Leben “im Dreck” zwangsweise mit sich bringt, werden niemals in einem Krankenhaus behandelt werden, weil diese der wohlhabenden Bevölkerung vorbehalten sind – all dies steckt in TRASH drin, immer wieder und unübersehbar, nur wird es trotz weitreichender Anklage an die Strippenzieher der Gesellschaft eben nicht im leidens-Modus verkauft. Daldry versucht nämlich aus der abenteuerlichen Geschichte, um ein gefundenes Portemonnaie voller belastender (aber verschlüsselter) Informationen über den korrupten angehenden Bürgermeister, einen positiven, lässig-unterhaltsamen Film mit gesunder Message zu schnüren.
TRASH ist in seiner Herangehensweise recht sprunghaft und ein Potpourri der Genres und Stile – teilweise Thriller, Abenteuerfilm, oder Komödie, aber genauso Gesellschaftskritik und Drama – primär steht jedoch immer das Thema Freundschaft im Raum. Eine Freundschaft, die stärker ist als Druck von Außen, oder Angst vor übermächtigen Feinden. Zwei, später drei Jungs, die gut darin sind sich gegen alle Widerstände durchzubeißen und ihr hartes Schicksal zu akzeptieren, aber trotzdem Spaß und Lebensmut zu zeigen, haben gelernt zusammen zu halten und gehen durch dick und dünn ihren eigenen Weg – in der Gesellschaft ist schließlich kein Platz für sie, eine Eingliederung unerwünscht. Als einer von ihnen besagtes Portemonnaie auf der Müllhalde entdeckt und bereits am nächsten Tag eine Garde zwielichtiger Polizeibeamter am Platz erscheint, die ruppig mit den Kindern umgehen und wenig Zweifel daran lassen auch noch drastischere Mittel einzusetzen um an den brisanten Fund zu gelangen, gehen die Meinungen auseinander – der eine wittert nur die dicke ausgeschriebene Belohnung, der andere ist mißstrauisch und vermutet etwas größeres dahinter, eine Hetzjagd durch Favelas, Rio’s Innenstadt und verschiedenste andere Locations entspinnt sich.
Getragen wird der bunt und abwechslungsreich bebilderte Film ganz eindeutig von den drei Jungdarstellern Eduardo Luis, Rickson Tevez und Gabriel Weinstein – allesamt erstmalig vor der Kamera – denn zu jeder Sekunde vermitteln die drei den Eindruck echte Freunde zu sein, deren Leben wir in TRASH beobachten. Sie sind frech, sie sind sympathisch und sie sind ganz sicher nicht auf den Kopf gefallen, was sich im geübten Umgang mit den (ihnen alles andere als wohlgesonnenen) Autoritäten niederschlägt – Probleme wollen gelöst, Restriktionen umgangen werden. Wo Jungdarsteller sonst oft nur nerven, hat man diese Drei schnell ins Herz geschlossen – und leidet umso mehr, während einiger schlimmer Ereignisse, die im Fortlauf auf sie warten. Letzteres sind Momente, in denen der Film eine schonungslose Härte anschneidet und zum Hinschauen zwingt – so kann es zugehen, wenn du am falschen Ort geboren wurdest.
Erzählerisch ist TRASH leider alles andere als perfekt und hat auch sonst einige Probleme – die gesamte Handlung hätte eine leichte (bis mächtige) Straffung vertragen können, oft läuft es für die Kids einfach zu gut, was ins märchenhafte abdriftet und selbst aus dem recht lockeren Stil des Filmes heraus fällt, speziell gegen Ende spielt der Zufall eine entschieden zu große Rolle – aber dies bügelt TRASH einigermaßen durch seine simple, aber vollkommen treffende Moral aus: Menschen verdienen Achtung und Respekt, vollkommen egal ob sie auf der Müllhalde oder im Penthouse wohnen. Dies vermittelt Daldry mal drastisch, aber insgesamt nicht ohne Kitsch – speziell gegen Ende wirkt der Kommentar aus dem Off zunehmend entkoppelt vom eigentlichen Filmgeschehen und verwandelt sich in eine humanistischen Ansprache an den Zuschauer. Dick aufgetragen aber derartige Aussagen können in einer Welt, in der Macht immer noch am meisten zählt, Favela-Kids wie Dreck behandelt (bzw. im Zweifelsfall kaltblütig ermordet) werden und korrupte Staatschefs sich durch Bestechungsgelder die Weste rein waschen, nicht genug wiederholt werden.
Ob natürlich ein komplett britisches Filmteam tatsächlich in der Lage ist, den Geist von Rio bzw. Brasilien einzufangen, ist für ungeübte Seher schlichtweg nicht einzuschätzen, gleiches gilt für den Charakter des Stoffes an sich, der auf einem Jugendroman von Andy Mulligan (ebenfalls Brite, aber immerhin mal in Brasilien gelebt und gelehrt) basiert. Dass das Team sich aber sowohl auf dem Regiestuhl, als auch beim Verfassen des Skripts Unterstützung mehrerer brasilianischer Filmemacher geholt hat, lässt an den Wunsch nach “Authentizität” im Rahmen der Möglichkeiten glauben und korrespondiert sehr gut mit dem Bauchgefühl, welches den Lokalkolorit von TRASH zu akzeptieren und zu “genießen” im Stande war – Bild und Ton fangen sonnendurchflutete Strände so effektiv wie beklemmende Favela-Nächte ein und wissen durchweg zu überzeugen.
Ein knuffiger Abenteuerfilm, eine Anklage an Korruption, menschliche Verachtung und staatliche Gewalt, aber unterm Strich wohl vor allem eine Ode an Zusammenhalt und wahre Freundschaft, die bewusst positiv angelegt daher kommt, ohne die Schattenseiten der gezeigten Welt zu vergessen.
Wertung
6 von 10 geheimnisvollen Bahnhof-Schließfächern
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
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Ein Gedanke zu „GeSneakt: Trash (2014)“