Titelbild © by Criterion Collection
#5: The Lure von Agnieszka Smoczyńska
Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich den folgenden Satz jemals über einen Film sage, in dem exzessiv gesungen, getanzt, doppelplus-dick aufgetragen und voller Pathos performt wird, aber verdammt noch mal, das polnische Anarcho Horror-Musical, welches da eben über meinen Schirm flimmerte, triggert eine wahrlich euphorische Reaktion: SO LIEBE ICH MEIN KINO!
Von Regeln gelöst, frei und eigenwillig, lässt dieses bunte Mischmasch aus Fantasy, Mystik, Disco-Vibes und Gore filmische Aspekte wie eine gewöhnliche Narration vollkommen links liegen, um Bild und Ton rauschhaft, exzessiv und in vollen Zügen zu zelebrieren. Funktioniert, denn von Freude und Spaß, über Herzschmerz bis Angst, ruft THE LURE, teils sprunghaft chaotisch, eine ganze Bandbreite an Emotionen ab.
Der inhaltliche Mix ist so krude wie stark: Zwei bezaubernde Meerjungfrauen, die eben noch Disco-Songs performen und im nächsten Moment ihren Opfern brutal das Herz heraus reißen, schweben anmutig, in wabernden, traumartigen Bildern durch das bunte Licht eines 80er Jahre Tanzclubs im Ostblock und uns Zuschauer nehmen Fluss (und ja, auch Tanznummern und Songs) dieser Inszenierung regelrecht gefangen.
Abseits der vereinnahmenden Ästhetik arbeitet sich Agnieszka Smoczynska an klassischen Märchenformeln ab. Die jungen Frauen fechten einen tief gehenden Konflikt mit der eigenen Identität aus – Meerjungfrau bleiben, oder diese besondere Identität für die Liebe aufgeben (was natürlich einen Preis mit sich zieht). Der Struggle des Coming-Of-Age.
Angereichert sind die Subtexte allerdings mit mit weit mehr, als den Stolpersteinen der Adoleszenz. Der Film spielt in der ex-UDSSR und wurde von einer Frau aus diesem Kulturkreis gedreht – da ist Systemkritik, bzw. zumindest ein sinnieren über besagtes System nicht weit. THE LURE thematisiert in den Texten der Songs, sowie den Settings viele Fragen von politischer und auch feministischer Dimension
Ich will gar nicht behaupten, dass die Bilder und Songs durchweg profunden Inhalt und deepe Metaphern enthalten, vieles könnte man auch als reinen Genuss an der Form sehen, in die man aktiv Dinge reinlesen muss, aber was soll’s – ich saß fröhlich, beeindruckt und mit offenem Mund da, freute mich, grübelte und wollte mehr davon.
Bezeichnend (und frustrierend) ist eigentlich nur, dass solch ein Film hierzulande zwar einen Titel hat (SIRENENGESANG), aber noch nicht mal mit einer Veröffentlichung – weder physisch, noch digital – gewürdigt wird. Doof, aber was soll’s, die 18 Pfund für die Criterion Disc sind nicht ein Penny zu viel – gebt sie ruhig aus.