Trailer © by Tobis Home Entertainment
Fakten
Jahr: 2014
Genre: Drama, Schwarze Komödie
Regie: John Wells
Drehbuch: Tracy Letts
Besetzung: Meryl Streep, Dermot Mulroney, Julia Roberts, Chris Cooper, Margo Martindale, Ewan McGregor, Julianne Nicholson, Sam Shepard, Juliette Lewis, Benedict Cumberbatch, Abigail Breslin
Kamera: Adriano Goldman
Musik: Gustavo Santaolalla
Schnitt: Stephen Mirrione
Review
Ein älteres Ehepaar trifft sich im Halbdunkel eines Zimmers.
Abgehängte Fenster, hoffnungslose Atmosphäre, aus dem Umgang miteinander ist jeglicher Respekt gewichen. Keine Achtung mehr da, keine Würde. Er hat den Glauben verloren, dass es vielleicht irgendwann nochmal besser werden wird, sie lässt keine Zweifel daran, dass sie entweder zu zugedröhnt ist, um dies zu realisieren, oder es ihr absolut scheißegal ist. Traurig ist, das letzteres wahrscheinlicher wirkt.
Wir erfahren, dass die Zwei die Westons und Eltern dreier erwachsener Töchter sind. Zwei von ihnen sind längst ausgeflogen – geflüchtet vor der Einöde des verschlafenen Osage Countys mitten drin im Nirgendwo, vor Konfrontation und Konflikten, unterm Strich wohl am meisten vor den giftigen Gemeinheiten ihrer unberechenbaren Mutter. Doch plötzlich ist Daddy weg. Erst vermisst, dann tot aufgefunden, zuletzt als Selbstmörder identifiziert.
Es folgt, zu Zwecken der Beerdigung, ein Familientreffen welches, je nach Grad der Weltsicht, wohl entweder als die pure, ungeschönte und äußerst schmerzliche Wahrheit über das menschliche Zusammenleben, oder die schwärzeste, bitterböseste Überzeichnung aller Zeiten empfunden werden kann. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte, denn so viel unangenehm reales AUGUST: OSAGE COUNTY uns auch über uns selbst erzählt, wenn auch nur ein letztes Bisschen Optimismus geblieben ist, weigert sich das Hirn zu akzeptieren, dass dies der Kern des Menschen sein soll, wenn alle Schönmalerei ausradiert wurde.
Aufgeladene Stimmung: An einem großen Tisch sitzen fürchterliche Geheimnisse, unausgesprochene Vorwürfe und unterdrückte Aggression zum Leichenschmaus beisammen. Derlei Konstellation findet nach den Regeln unserer Gesellschaft meist einen Weg zu funktionieren, egal ob latente Sticheleien ihren Weg über den Tisch finden, oder psychologische Tricks gezielt auf das Gegenüber abgefeuert werden. Sowas wird einfach ausgesessen, der Schein regiert und der Mensch funktioniert in der Gruppe, speziell der Familie, zu sehr nach Protokoll, um die Manifestation der Katastrophe zuzulassen.
Doch die Gleichung der gesellschaftlichen Konvention verliert ihre Logik, wenn unbekannte (und gefährliche) Faktoren wie Meryl Streep als Familien-Patriarchin Violet Weston die Variablen stellen. Diese Person funktioniert nämlich nicht nach Protokoll – sie funktioniert überhaupt nicht – und verstärkt exponentiell die Wahrscheinlichkeit leere Fässer durch einen Orkan der Widerlichkeit in Sekunden zum Überlaufen zu bringen. Oder bereits entschärft geglaubte Bomben zur Explosion.
Und das tun sie – explodieren! Nachdem nun der Vater – der letzte Pfeiler, der die Familie noch irgendwie zusammenhielt – nicht mehr ist, kommen Jahrzehnte der unterdrückten Gefühle auf den Tisch. Tiefe Einblicke in verletzte, aber nie verheilte Seelen reißen tiefe Abgründe auf, das beeindruckend hochkarätige Ensemble spielt um sein Leben und liefert sich auf engstem Raum und in knapper Taktung erbitterte Schlagabtausche. Vorwürfe, Schuld, Lügen, Intrigen – nach und nach schält sich ein hässlicher Kern aus den Jahren des Schweigens und kappt durch schmerzhafte Direktheit die letzten falschen Bindungsglieder der familiären Kette. So krass das klingt und so sehr es zeitweise die Kehle zuschnürt, AUGUST: OSAGE COUNTY ist im Subtext fast dauerhaft von einem bizarr-absurden Humor durchzogen, der das Kammerspiel zu einer gewiss schwer verdaulichen, aber dennoch immens unterhaltsamen Studie über die Psyche des Menschen macht.
Großes Theater in großes Kino überführt – Julia Roberts war lang nicht so gut, Meryl Streep spielt vollkommen uneitel bis zur absoluten Selbstaufgabe und auch sonst erwartet einen hier die Spitze der Schauspielkunst. Und eine angenehme, für manchen sicher Kraft-spendende Erkenntnis: “Wann immer du denkst, dass deine Familie völlig einen an der Waffel hat, sie dir diesen Film an und die Welt ist nur noch halb so schlimm”.
Das hat doch was!
Wertung
8 von 10 bissigen Spottreden
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Kaufen (falls ihr nichts seht, killt euer Ad-Blocker das Amazon-Widget):
Du findest immer so treffende Worte, nach denen ich oft lange suche (und sie manchmal dann doch nicht finde) – wunderbare Kritik! Ich kam zwar nur auf 7 Punkte, aber im Nachhinein scheint mir das fast doch zu wenig…
Und auch hier nochmal danke
Ob nun 8 oder 7, diese Punkte sagen doch kaum was aus und sind total subjektiv – deswegen schreiben wir doch auf, was wir über den Film denken!
Absolut den Ton getroffen. Bitterbös und doch so herrlich. Dankeschön.
Dankeschön! Den Film hab ich auch erstmal lange nachwirken lassen (sicher schon vor nem Monat gesehen). Bitteschön!