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Fakten
Jahr: 2016
Genre: Thriller, Cops’n’Robbers, Gangsterfilm
Regie: John Hillcoat
Drehbuch: Matt Cook
Besetzung: Casey Affleck, Chiwetel Ejiofor, Anthony Mackie, Woody Harrelson, Clifton Collins Jr., Aaron Paul, Kate Winslet, Gal Gadot, Norman Reedus, Michael Kenneth Williams, Michelle Ang
Kamera: Nicolas Karakatsanis
Musik: Atticus Ross, Leopold Ross, Bobby Krlic
Schnitt: Dylan Tichenor
Review
So lobe ich mir meine Genrefilme.
John Hillcoat erzählt uns nach LAWLESS eine klassische Gangstergeschichte, dieses Mal von Dirty Cops, riskanten Heists und im gleichen Atemzug (wie bereits KILLING THEM SOFTLY vor einigen Jahren) von einer kaputten Welt am Abgrund. Tief und mittlerweile elementar im Asphalt und Stahlbeton der amerikanischen Metropolen (in diesem Fall Atlanta) eingebettet, existiert ein Kosmos in der Gesetze und Moral ein Relikt aus vergessenen Zeiten sind: Ghettos. Gang-Territorium. Die Cops des jeweiligen Distrikts sind die Letzten, die offiziell versuchen dem überbrodelnden Sumpf aus Gewalt, Drogen und Verfall etwas entgegen zu setzen, doch auch sie sind Menschen und auch an Ihnen gehen die alltäglichen Bilder nicht spurlos vorbei – das dauerhafte Damoklesschwert fordert seinen Tribut, Korruption und moralischer Verfall sind die Währung in der es sich bezahlen lässt.
Zwar tut TRIPLE 9 auf dem Papier nichts, was nicht unzählige, hunderte, wahrscheinlich tausende Filme vorher bereits getan hätten, sondern wirft mit den gängigen Motiven des Thriller-Genres nur so um sich – die alte Geschichte um den letzten Job, der den Betroffenen endlich das Aussteigen ermöglichen soll, dazu ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen korrupten Bullen und denen, die ihnen auf den Fersen sind, das alles eingebettet in einen brutalen Strudel aus Schusswechseln, Hass und gescheiterten Existenzen – jedoch trifft Hillcoat derart stilsicher Ton und Wesen der gezeigten Welt, dass dieser Film sich in seiner Wirkung (und genau das ist es, was bei derartigen Genrefilmen zählt) meilenweit von der Konkurrenz abhebt. Die Geradlinigkeit, mit der er seine Figuren auf die Eskalation zutreibt ist beachtlich und die direkten filmischen Zitate während eines Tresorraubs lassen keine Zweifel aufkommen, in welcher Gesellschaft Hillcoat seinen Streifen sieht. Anmaßend? Nein. Kann er sich erlauben.
Denn die Form ist brillant. Der körnige Look, in dem die beklemmenden Bilder verfallener Vororte, in denen keine Seele mehr steckt, eingefangen wurden, entfaltet in perfekter Symbiose mit dem dauerhaft präsenten, pulsierend-elektrisierenden Score von Atticus Ross seine Wirkung. Letzterer ist für die emotionale Führung essentiell – in TRIPLE 9 werden Szenen nicht bloß durch Musik verstärkt, viel mehr gibt sie fiebrig-dissonant einen Takt vor, aus dem der Film als Ganzes seinen ureigenen Rhythmus und fortschreitenden Fluss zieht und der schnell den Puls des Betrachters zur Synchronisation zwingt. Sind die Bilder der Kern, ist der Klang die Seele dieses Werkes, die schon früh keine Zweifel lässt, den “Point of no Return” seiner Figuren überschritten zu haben. Kein zurück mehr. Reiner Fatalismus .
Bereits mit der Eröffnungssequenz, einem so knallhart wie fantastisch inszenierten Heist, zieht Hillcoat uns in einen unruhigen Albtraum hinein, den wir für die nächsten 100 Minuten zu Träumen verdammt sind. Was folgt untermauert den ersten Eindruck: Diese Welt ist eine Hölle, die auf Dauer jeden korrumpieren wird, hier gibt es keine Hoffnung mehr, Gangs und Cops haben den Finger gleichermaßen am Abzug, es regiert reiner Selbstschutz und das Recht des Stärkeren. Und die Figuren, einer ums Nächste aus dem schier unglaublichen Ensemble, sind das folgerichtige Produkt dieser Welt – verschwitzte, gebrochene, raubeinige Arschlöcher, für die nicht mehr das Richtige zu tun, sondern einzig “abends wieder nach Hause zu kommen” zählt. Es spielt keine Rolle, dass diese Männer vom Drehbuch nicht bis ins Letzte ausformuliert wurden – im Gegenteil, die Leerstellen in ihrem Wesen funktionieren als treffender Indikator für die Teile ihrer einstigen Menschlichkeit, welche Atlanta’s “Zone 6” bereits irreversibel ausgebrannt hat.
Als Harrelson’s Figur, ein runtergekommener Detective, der sein Leben nur noch von einem Moment zum nächsten zu leben scheint, in einer frühen Szene an afroamerikanischen Demonstranten vorbei geht und auf ihr hasserfülltes Zurufen hin die eigene Krawatte (welche nicht zufällig das Muster der US-Flagge schmückt) mit sarkastischem Grinsen hochhebt, um das Symbol eines Galgenstricks zu formen, macht dieser Moment vielleicht am deutlichsten klar, was Hillcoat uns mit TRIPLE 9 eigentlich erzählen will. Dieses Amerika hier – die dunkle Seite einer Nation, welche sich in Ghettos, Gewalt und Hass manifestiert hat – ist der Strick um die Hälse all derer, die der amerikanische Traum abgehängt hat. Diese “Zone 6”, in der Polizeifahrzeuge mit Rammböcken ausgerüstet sind und die Stürmung von Wohnhäusern mit militärischem Equipment durchgeführt wird, ist eine Grenze, an der Welten kollidieren und in einer Explosion, die keine Gewinner zulässt, in Rauch aufgehen. Eine abgefuckte Welt ohne Hoffnung auf die Leinwand gebracht.
Zermürbende Gewaltausbrüche, Misstrauen und Verachtung, sowie das völlige Verschwimmen der Seite des Gesetzes sind nur logische Folgen des Daseins in diesen Zuständen. TRIPLE 9 spielt mit diesen Folgen und liefert als Antwort einen formel brillanten, vor Testosteron-schwangeren, stinkenden Fressen förmlich überqellenden, knüppelharten Genrekracher, der überzeugt. Nicht zuletzt aufgrund des schier unglaublichen Casts, der teils in Rollen, die man so nicht für möglich gehalten hätte (Kate Winslett als eiskalte Russenmafia-Bitch) besetzt ist, funktioniert das für Genrefans durchweg – die packenden Actionsequenzen, egal ob Shootouts, oder Autoraserei, steuern ebenfalls ihren Teil bei. Für viele, das konnte ich der Reaktion einiger Sitznachbarn in der Vorstellung entnehmen, ist das sicher nur belanglose, in seiner grimmig-todernsten Art “total peinliche” Stangenware. Persönliche Präferenz. Geschenkt. Für mich hingegen stellt TRIPLE 9 wohl das berauschendste Stück Thrillerkino seit langem dar.
Wertung
8 von 10 eiskalten Mord-Intrigen
Veröffentlichung
TRIPLE 9 startet heute im Verleih von Wild Bunch Germany in den deutschen Kinos. Wenn nur irgend möglich, sollte aufgrund von unübersetzbarem Slang (und Südstaaten-Dialekt) der O-Ton gewählt werden.
Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
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2 Gedanken zu „GeSneakt: Triple 9 (2016)“