Schlagwort-Archive: Kerker

Dokumentation: The Wolfpack (2015)


Titelbild, Bildausschnitte & Trailer © by Universum Film


Fakten
Jahr: 2015
Themen: Film, Eskapismus, Soziale Isolation, Aufwachsen
Regie: Crystal Moselle
Konzept: Crystal Moselle
Kamera: Crystal Moselle (+ Archivaufnahmen der Angulo-Familie)
Musik: Danny BensiSaunder JurriaansAska Matsumiya
Schnitt: Enat Sidi


Review
Wie viel Realität steckt eigentlich in den von uns allen so heißgeliebten Filmen? Oder anders, und zwar weit kritischer, sich dessen bewusst, dass Film immer nur reine Fiktion bleiben kann, formuliert: Kann überhaupt in einem bemerkenswerten, gar glaubhaften Maß Realität in Filmen stecken? Wahrheit, die das fiktionale Gewand transzendiert, weil sie auch einer prüfenden Betrachtung durch die Wirklichkeits-Brille standhält? Und wie nah sollten wir demnach Filme an uns heran und unseren Horizont bestimmen lassen?

Fragen, die besonders wir alle hier in diesem Internet, also die schreibende, twitternde, sabbelnde Zunft, die wir doch Tag ein, Tag aus Werke analysieren, interpretieren und versuchen fiktional initiierte Fragestellungen irgendwie mit der Welt um uns zur Deckung zu bringen, uns regelmäßig stellen sollten und müssen. Um optimalerweise zu dem Ergebnis zu kommen, dass Film zwar immer in der Lage war (und ist und sein wird) die großen, wichtigen Fragen zu stellen, also verpackt in einem Paket, das unserer Welt verblüffend ähnlich ist, kleinere bis größere Denk-Impulse zu setzen, die es sich lohnt weiter zu denken, auch wenn nach 120 Minuten der Vorhang gefallen ist, aber eben dennoch nie Realität abbildet. Wer letzteres tatsächlich glaubt, eventuell gar der Verlockung erlegen ist, sein Weltbild vollständig auf all den sorgsam durchkonstruierten Kartenhäusern seiner heimischen Mattscheibe aufzubauen (“das ist so, hab ich doch in Film XY gesehen“), tut gut daran die eigene Rezeption noch mal zu überdenken – das Ergebnis könnte sonst ein fatales sein.

Umso beachtlicher ist der Ausgang, der in THE WOLFPACK dokumentierten Geschichte um sieben Geschwister (davon sechs Brüder), die unter der erdrückenden Herrschaft ihres esoterisch-spirituell fehlgeleiteten Vaters die ersten fünfzehn bis zwanzig Jahre ihres Lebens in vollkommener sozialer Abschottung verbrachten. Die die Wohnung in guten Jahren 3-4 mal (und dann nur geschlossen als Familie) verlassen durften, von der Mutter per Home-School unterrichtet wurden und als ihr persönliches Tor zur Welt (neben dem Blick in die Ferne, aus den Fenstern ihres New Yorker Problemviertel-Appartements) vor allem die von ihrem Vater mit inbrünstiger Leidenschaft angelegte, mindestens 5000 Titel auf VHS und DVD umfassende Film-Sammlung nutzten. Alte Klassiker zwischen VOM WINDE VERWEHT und CASABLANCA, aktuelle Blockbuster vom Schlage eines DARK KNIGHT und zuletzt die wundervoll verschrobenen Welten eines Quentin Tarantino oder der Coen-Brüder waren Teil dieser Bibliothek, die auf Anhieb sicher jedem Filmliebhaber die Kinnlade herunter klappen ließe – unter dem Aspekt, dass sie maßgeblich zur Formung des Welt- und Persönlichkeitsbildes dieser jungen Männer herangezogen wurde und als Vorlage für die zahlreichen Reenactments in den heimischen vier Wänden diente, in denen eben nicht nur ein Film nachgespielt, sondern sich eine eigene Form der Realität ERSPIELT (und somit erschaffen) wurde, wächst jedoch zunächst statt Begeisterung eher ein dicker Kloß im Hals: gibt es auch nur irgendein denkbares Szenario, in dem diese krude Form des Aufwachsens gut ausgehen kann? Dokumentation: The Wolfpack (2015) weiterlesen

Film: Haze (2005)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Rapid Eye Movies


Fakten
Jahr: 2005
Genre: Horror, Survival
Regie: Shin’ya Tsukamoto
Drehbuch: Shin’ya Tsukamoto
Besetzung: Shin’ya Tsukamoto, Takahiro Murase, Takahiro Kandaka, Masato Tsujioka, Mao Saito, Kaori Fujii
Kamera:  Shin’ya Tsukamoto
Musik: Chu Ishikawa
Schnitt: Shin’ya Tsukamoto


Review
Aufgewacht. Beängstigendes Dröhnen überall. Angst. Verstörende Schreie. Panik. Beklemmende Enge. Orientierungslosigkeit. Schmerzen. Aber woher sind wir gekommen? Und wohin in diesem kargen, unwirklichen Labyrinth?

48 Minuten Laufzeit sind im filmischen Sinne äußerst kurz. Gerade so ein mittellanger Film. Doch in Angesicht dieser verstörenden, von Anfang bis Ende maximal fordernden Reise durch morbide Phantasien von Hölle, Verlorenheit und Qual und der tiefen Immersion die sie hervorruft, erscheinen sie 1) endlos und 2) trifft DIY-One-Man-Army Tsukamoto genau die Entscheidung, bei der andere Filmemacher zu häufig hadern: er lässt den Film nur so lange gehen, wie er gehen muss, um sein Anliegen auszuerzählen. Das ist kurz? Egal, es reicht trotzdem, denn HAZE strahlt eine Eiseskälte aus und geht tief im Hirn auf Penetrationstour – erfolgreich: jede Synapse die zur Rezeption dieses Films herangezogen wird, reicht danach erstmal zur Erholung den gelben Schein ein. Auch wenn ich mich gegen den Begriff eigentlich sträube (weil er zu unpräzise ist und somit nichts sagt): Viel zu durchgeknallt ist das dargebotene, um es entspannt anzusehen und danach unbeirrt im Tagesprogramm weiterzumachen.

Wahrscheinlich steht und fällt der Film mit den ersten paar Sekunden: Ein unbekannter wacht in einer dunklen, kalten und klaustrophobischen Umgebung auf. Verwundet und unfähig sich an ein “Vorher” zu erinnern. Kalte Betonwände, erdrückende Enge, der einzige Weg geht tiefer rein. Film: Haze (2005) weiterlesen