Serie: MARVEL’s Daredevil – Season #2 (2016)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Netflix


Fakten
Jahr: 2016
Genre: Neo-Noir, Comicverfilmung, Thriller, Drama
Showrunner: Drew Goddard
Crew (Writer, Director, Cinematographer, Editor): IMDb-Übersicht
Besetzung: Charlie Cox, Deborah Ann WollElden HensonJon BernthalElodie YungPeter ShinkodaVincent D’OnofrioRosario Dawson
Musik: John Paesano


Review
Es brennt in Hell’s Kitchen und der Mann mit der Maske ist, so kündigte es uns bereits die letzte Einstellung der Season #1 an, nun endgültig zum Daredevil geworden – einem kompromisslosen, die Massen spaltenden Helden, einem nie weichenden, dunklen Damokles-Schwert über den Köpfen der Kriminellen. Doch ist es nicht er, den sie dieser Tage zu fürchten haben – auch wenn Matt Murdock bei seinen nächtlichen Streifzügen im Namen des Gesetzes Knochen bricht, bis seine Ziele krankenhausreif geprügelt in Gewahrsam genommen wurden und jeden morgen erneut mit blutigen Fäusten heimkehrt, überschreitet er nie die Grenze zum Mord. Glaubt immer daran, dass jeder der Verbrecher noch die Chance hat sich zum Guten zu wandeln. In den letzten Nächten jedoch, bewahrt diese Hoffnung die bösen Jungs nicht mehr vor dem Schlimmsten – mit militärischer Präzision wird ein Mafia-Clan nach dem nächsten ausgeschaltet.

Ein unbekannter Gegenpol zu Daredevil ist aufgetaucht. Einer, der ebenfalls mit der Intention die Straßen zu säubern umher streift, allerdings nicht davor zurück schreckt weitaus drastischere Mittel zum Erreichen dieses Ziels zu wählen – der seine Opfer mit Kopfschüssen exekutiert, oder sie an Fleischerhaken ausbluten lässt, um sicher zu stellen, dass sie nie wieder ein Verbrechen begehen werden. Und regte bereits das drastische Handeln des Daredevil schon immer dazu an, sich über Sinn und Auslegung des Gesetzes, sowie die Effektivität des Rechtsapparates den Kopf zu zermartern, so tun sich durch den neu gesponnenen Dualismus der zwei Vigilanten (und ihrer Vorgehensweisen) nun endgültig tiefe moralische Gräben auf, die auch den Zuschauer zu verschlucken drohen, sofern er die langen Fragenkataloge, welche sich aus dem Gesehenen ableiten, nicht für sich selbst beantwortet. 

Wie weit darf man gehen, um erwiesene Mörder und Vergewaltiger unschädlich zu machen? Wie weit muss man vielleicht sogar gehen, um eine Gefahr für die Nachwelt zu vermeiden? Ist das geltende Gesetz ausreichend? Nutzt das Gesetz irgendwem, wenn Monster mit den richtigen Verbindungen und finanziellen Mitteln schon Stunden nach der Festnahme wieder auf freiem Fuß sind? Führt das Beharren auf dem Recht zu Erfolg? Ist irgendjemand in diesem Szenario überhaupt noch auf der richtigen Seite? Kann Selbstjustiz ein Weg sein? Gibt es wirklich Hoffnung für jede gescheiterte Seele?

Als der Daredevil, welcher sich natürlich gemäß seines bestehenden Kodexes – auch Verbrecher sind Menschen und Menschen müssen davor bewahrt werden umgebracht zu werden – sofort daran festbeißt den neuen Rächer von Hell’s Kitchen dingfest zu machen, dann tatsächlich das erste mal auf diesen, den Punisher, trifft, prallen Welten aufeinander. Ein einfaches Gespräch, doch die Erde scheint zu beben, die Luft zu flimmern. Das Ergebnis dieser Konfrontation sind Gedanken, die unseren (vermeintlichen) Helden auf schwerste Weise hinterfragen und drohen, sein Handeln gar vollständig als doppelmoralischen Rachetrieb zu dekonstruieren. Durch die Erkenntnis, wie ähnlich sich die zwei Männer im Kern sind, bröckelt auch das Schaffen des Daredevil zunehmend. Gibt es sie überhaupt, diese Grenze, die er nicht zu überschreiten wagt? Reicht sie, um das Handeln des einen zu legitimieren? Sind dessen Beweggründe wirklich nobel, oder fährt er (auch) nur seine ganz persönliche Vendetta – die jedoch zu nichts führt, weil er den finalen Schritt nicht geht?

DAREDEVIL‘s Season #2 ist in beeindruckendem Maße an den psychologischen Aspekten dieser Themenkomplexe interessiert und formuliert sie aus, indem sämtliche Figuren eine ebenso starke psychologische Charakterisierung erhalten und skriptseitig in Situationen gezwungen werden, die das Beziehen einer klaren Position erfordern. Was sind die Folgen all dieses angeblichen Heldentums? Was fordert es? Starke Charaktermomente liefert die Serie vor allem für die Dreierkonstellation Matt Murdock, Foggy Nelson und Karen Page, die sich immer wieder mit dem eiskalten Rachedurst des Punishers konfrontiert sehen. Alle drei stehen mehrfach vor Weichen, die tiefschürfende Entscheidungen erzwingen, denn Murdocks Doppelleben kommt nicht ohne Opfer aus und diese nagen zu gleichen Teilen an der einst so tiefen Freundschaft der Männer und dem Verhältnis von Page zu ihnen. Das Schaffen von Klarheit wäre der Schlüssel, doch die Unfähigkeit reinen Tisch zu machen sorgt für Brüche, die auf lange Sicht einen Keil zwischen die Figuren treiben könnten. Packendes Drama allererster Güte.

Abseits dieser charakterlichen und moralischen Kernaspekte läuft DAREDEVIL‘s S2 leider nicht durchweg in vergleichbarem Maße rund. Das Auftauchen einer weiteren Figur, deren Name im MARVEL-Universum kein unbekannter ist, wirkt zunächst etwas erzwungen, auch weil die Erklärung und Legitimierung ihres Daseins recht generisch nach typischer Retconning-Methodik über Rückblenden (in eine bis dato unbekannte gemeinsame Vergangenheit) verläuft. In einem groß angelegten Verschwörungs-Plot, welcher zunächst ähnlich artifiziell eingeschoben anmutet, mausert sich diese anfangs eher unsympathische Dame jedoch ebenfalls zu einer ans Herz gewachsenen, tragischen Figur, deren Ambivalenz es nicht einfach macht, sich endgültig zu ihrem Handeln zu positionieren.

Ambivalenz ist überhaupt das Stichwort, welches wohl am besten zusammenfasst, mit welcher Wirkung DAREDEVIL über weite Strecken gekonnt jongliert. Im Grunde genommen sind all diese angeblichen Helden keineswegs Identifikationsfiguren, sondern auf verschiedenste Weise gepeinigte Opfer – gefangene Sklaven ihrer persönlichen Traumata. Sie alle leiden. Sie alle haben unschöne Dinge erlebt, deren Prägung bis ans Ende ihrer Tage nachhallen wird. Dabei ist es vor allem Jon Bernthal als Frank Castle, der dieses Leid mit einer so fulminanten Wucht transportiert, dass jedes Frame, in dem dieser brutal agierende, aber doch so gebrochene Mensch eingefangen ist, für einen Kloß im Hals und Gänsehaut zugleich sorgt. Die totale Präsenz. Bernthal ist schauspielerisch eine vollkommene Wucht und je mehr Häppchen seiner Historie ans Licht kommen, umso mehr schmerzt es, diesem einst so fröhlichen, voller Liebe steckenden Menschen bei seinem Werk als emotionslose Killermaschine mit unmenschlicher Agenda zuzusehen.

Und was er da tut, lässt das Schmerzzentrum des Gehirns bereits beim zusehen ein ums andere Mal unangenehm aufglühen. DAREDEVIL spart den markerschütternden Blick auf die drastischen Gewaltakte seiner Protagonisten nicht aus, sondern, im Gegenteil, hält immer ganz bewusst ein bisschen zu explizit drauf, was ihren Taten folgerichtig auch das letzte Bißchen Heroik nimmt. Wenn Murdock in Martial-Arts Plansequenzen, die nicht nur im TV- sondern dem gesamten Kino-Sektor große Teile der Konkurrenz alt aussehen lassen, ganze Horden von Motorrad-Rockern ausschaltet, offenbart der “Teufel” in ihm sein wahres Gesicht. Kompromisslos und mit aller Härte erweckt er den Anschein eines Besessenen, eines Getriebenen, der nicht Ruhe geben wird, bis auch das letzte Gesicht zu Brei geschlagen ist. Der Tanz mit dem Wahnsinn schrammt gefährlich nah an der Kannte entlang.

Plotwise zwar von kleineren Schwächen durchzogen, ist die zweite Staffel von DAREDEVIL dennoch ein fast perfektes Serienkonstrukt, das mit erschreckender Intensität den Point-of-no-Return in einem Strudel der Gewalt ausleuchtet.


Wertung
8-9 von 10 exekutierten Auftragsmördern


Veröffentlichung
MARVEL’S DAREDEVIL – Season #2 ist eine Netflix Produktion und bis jetzt auch nur dort im Stream zu sehen.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Amazon (*) (falls ihr das Amazon-Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

4 Gedanken zu „Serie: MARVEL’s Daredevil – Season #2 (2016)“

  1. Da haben wir die Staffel scheinbar sehr ähnlich erlebt. Jon Bernthal / Frank Castle hat mich auch sehr ergriffen, während ich besagte Dame anfangs gar nicht einordnen konnte und nicht desinteressierter hätte sein können. Aber es hat sich noch ziemlich gemausert.

    1. Ich bin mittlerweile gespannt, was MARVEL aus dem Serienuniversum macht. LUKE CAGE steht ja noch aus. Wenn Daredevil, Jessica und er zusammen auf die kacke hauen, wird das pfundig

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