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Film geschaut: Deep in the woods – Au fond de bois (2010)


Deep in the woods (IMDb) – Psychothriller/Drama/Rape’n’Revenge, Frankreich, 2010 – RegieBenoît Jacquot, Skript:  Benoît Jacquot, Kamera:  Julien Hirsch, Musik:  Bruno Coulais, Copyright (Titelbild, Bildausschnitte, Trailer): Alamode Film


Review
Mit DEEP IN THE WOODS bekommen wir den seltenen Fall eines, unter anderen Vorzeichen stark abstrahierten Genre-Motives vorgesetzt – Obsession, Gewalt und weitere typische Horror-Motive, allesamt gewissermaßen in die Autorenfilmer-Variante eines Rape’n’Revenge-Streifens verfrachtet.

Im 19. Jahrhundert macht sich der sleazige Creep Timothée die (ziemlich) schöne Josefine, Tochter eines Edelmannes, gefügig und zwingt sie auf eine zehrende Odyssee durch die Wälder und Dörfer. Schenkt man dem Gezeigten Glauben – Timothée gewinnt ständig mit kleinen Zaubertricks die Gunst der Leute (oder auch ihre Angst) – gelingt ihm dies über das Mittel der Hypnose, doch ob es wörtlich zu verstehen ist, sei dahin gestellt. Viel mehr erscheint die Technik allegorisch, stellvertretend für die Wirkung welche Menschen, bzw. bei Ausweitung der Betrachtung auch ganz allgemein Geschlechter, aufeinander haben. Regisseur Benôit Jaquot agiert an der Basis seines Stoffes symbolisch, Timothée zieht Josefine, auf welche Weise auch immer, in den Bann.

In Spitzen entwickelt DEEP IN THE WOODS dabei ein Maß an unangenehmer emotionaler Härte, das sich gewaschen hat. Denn gegen ihren Willen wird Josefine nicht nur verschleppt, sondern auch brutal vergewaltigt, zur Schau gestellt und wie fremdgesteuert in absurde Darbietungen eingebunden. Das sitzt. Konträr der generellen Funktionsweise dieses kleinen, harten Horror-Subgenres, schlägt der Film in seiner zweiten Hälfte jedoch einen anderen Weg ein, der sich zwiespältig aufnehmen lässt. Je nach Sichtweise als deutlich klügere, weil tiefer in Psychologie abtauchende, oder eben NOCH fragwürdigere, weil locker und sorglos die eigene Prämisse legitimierende Variante, der sonst oft als reißerische Gewalt-Exzesse endenden Kandidaten aus dem Horror-Fach.

Josefine wirft ihrem Peiniger nach Durchstehen von Misshandlung und Erniedrigung nämlich keine körperliche Gewalt (nach dem gängigen Auge um Auge-Prinzip) entgegen, sondern dreht die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse im gemeinsamen Miteinander kontinuierlich zu ihren Gunsten. Sie arbeitet mit den Reizen der Frau, macht sich Timothée’s (offensichtlich vorhandenen) Gefühle für sie zu nutze und führt ihn nach und nach auf’s Glatteis, um dann im entscheidenden Moment zu fliehen. Keine Folter-Exzesse, sondern unterschwellige Verführung. Liest man DEEP IN THE WOODS auf diese Weise, entstehen spannende Fragen: Ist die (vermeintliche) Magie im Film ein Symbol für die machtvolle Anziehung zwischen den Geschlechtern? Will uns Jaquot statt eines mystisch angehauchten Horror-Thrillers also eigentlich etwas über den Umgang der Geschlechter erzählen? Möglich. Im Detail stecken sicherlich viele tiefergehende Gedanken, die sich nicht ohne weiteres auf Anhieb entschlüsseln lassen und so etwas ist immer löblich.

Aber…

Mir gelingt es nicht, diese Motive als Leitfaden des Films wahrzunehmen, denn in den Verlauf der Ereignisse webt sich schon bald eine höchst problematische Aussage ein: Bereits beim ersten Akt der Hypnose, später dann stetig, verschwimmt die Linie zwischen kalkulierter Instrumentalisierung ihres Peinigers und dem Eindruck, Josefine würde sich ebenfalls nach und nach in ihr Gegenüber verlieben. Ihm trotz aller Gewalt und des widerlichen Auftretens verfallen. Eine unberechenbare Hassliebe entsteht und dem fauligen Timothée lastet (durch Josefine’s Wandel) zunehmend der Charakter eines Befreiers an, der das wunderschöne, sich zuvor nur langweilende Mauerblümchen aus den Fesseln der spießigen Zivilisation entriss und auf ein Abenteuer der Selbstfindung mitnahm. Die Reise in die persönliche Hölle also als Erlösung? Stockholm-Syndrom meets Vergewaltigungs-Legitimation, als vermeintliche Aussage formuliert sich folgendes: “nimm dir halt mit Gewalt die Frauen die du willst, das ist völlig okay, falls sie sich später noch in dich verlieben”.

Sollte DEEP IN THE WOODS diesen Pfad bewusst bewandern, tatsächlich etwas schönes, erfüllendes, romantisches in Entführung und Vergewaltigung suchen, wäre das wohl eins der größten WTFs, die mir je in Filmform untergekommen sind und ginge schlichtweg gar nicht klar. Verachtenswerter als alles was Hollywood je an fragwürdiger Konservativen-Moral hervor gebracht hat. Dass Josefine im weiteren Verlauf (und zurück in ihrem „langweiligen“ Leben), als Timothée gefasst ist und in einer langen, wahnsinnig öde inszenierten Verhandlung verurteilt werden soll, nach wie vor in kurzen Momenten nach ihm schmachtet, die Faszination nicht abschütteln und die gemeinsame Zeit nicht hinter sich lassen kann, zeigt mir ebenfalls, dass ihr anfänglicher Horrortrip, inclusive Vergewaltigung, hier als Ausbruchs-Parabel fungieren soll.

Oder zumindest so sorglos und ungelenk inszeniert ist, dass der Inhalt (wie in meinem Fall) als eben solche aufgefasst werden kann. Weil ich immer noch nicht bis ins Letzte glaube, dass der Film tatsächlich aktiv besagte Aussagen treffen will – obwohl in den von mir so heiß geliebten französischen Nouvelle-Vague-Streifen die arroganten Arschloch-Typen ja quasi grundsätzlich mit grenzwertiger Ruppigkeit alle Frauen um sich rum herumschubsen, will ich daraus keine alpgemeingültige „französische Art“ ableiten, ist ja teilweise 50 Jahre her – und er in den ersten zwei Dritteln zeitweise eine durchaus krasse Wirkung (sowie meditative Bilder) erzeugte, pendele ich mich mit meiner Meinung von ihm irgendwo in der Mitte ein. Diverse angedachte Symbole gehen auf, das stimmt mich gnädig – nicht jedoch ohne einen Rest tiefer Skepsis.


Wertung
5 von 10 fragwürdigen Stockholm-Obsessionen


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